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Uniformierte Helfer in der Not. Weil keine Zelte mehr aufzutreiben waren, bat das Land Brandenburg die Bundeswehr um Hilfe. Sie baute eine Zeltstadt auf einem alten Kasernengelände, das allerdings weit außerhalb der Stadt Doberlug-Kirchhain liegt. 

© Bernd Settnik/dpa

Flüchtlinge in Brandenburg: Marsch, ins Zelt

Bei der Herrichtung von Flüchtlingsunterkünften in Brandenburg wirkt vieles improvisiert. Das stößt mittlerweile auf Kritik. Die Politik setzt auch auf Hilfsbereitschaft der Bevölkerung.

Von Sandra Dassler

Doberlug-Kirchhain - „Die Zelte stehen und bieten Platz für 500 Menschen“ – Wolfgang Brandt, Sprecher des Brandenburger Innenministeriums, wirkt erleichtert. Vor gut einer Woche hat die Bundeswehr 63 Zelte für Flüchtlinge in Doberlug-Kirchhain übergeben. „Wann die Flüchtlinge kommen, hängt davon ab, wie viele um Asyl bitten.“ Zuletzt hielten sich in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Eisenhüttenstadt sowie in den Nebenstellen 2249 Menschen auf. Die Zahl der belegbaren Plätze beträgt 2800, mit der Zeltstadt kommen noch einmal 500 dazu. „Das verschafft uns den nötigen Puffer, um uns ganz auf die Organisation der winterfesten Unterbringung zu konzentrieren“, sagt Brandt.

In Brandenburg wird die Flüchtlingshilfe durch das beim Innenministerium angesiedelte Koordinierungszentrum Krisenmanagement (KKM) zentral gesteuert. „Wir haben eine außergewöhnliche Lage“, sagt Brandt: „Nicht nur, dass in den ersten sieben Monaten 9100 Flüchtlinge kamen und es bis Jahresende wahrscheinlich rund 14 000 sein werden, es war auch in ganz Europa kein geeignetes Zelt aufzutreiben. Deshalb haben wir uns an die Bundeswehr gewandt, die schnell geholfen hat.“ So schnell, dass sich manche Kommunen übergangen fühlten. So beklagte der Bürgermeister von Doberlug-Kirchhain, dass er erst kurz vor dem Anrücken der Bundeswehr informiert worden sei. „Wir haben doch selbst sehr kurzfristig Bescheid bekommen“, sagt Wolfgang Brandt: „Dann wurden Stadt und Kreis sofort informiert.“

Gute Zusammenarbeit wird auch künftig notwendig sein, ist doch die Zeltstadt mehrere Kilometer vom Zentrum entfernt. „Angedacht ist, eine Buslinie einzurichten“, sagt Brandt und weist Kritik zurück, wonach Brandenburg die Flüchtlinge generell weit außerhalb unterbringe: „Wir sind erst einmal froh, dass die Menschen überhaupt ein Dach über dem Kopf haben“, sagt Brandt: „Die einstigen Kasernen sind geeignet, aber sie stehen nun mal oft im Wald.“

Tobias Becker vom Flüchtlingsrat Brandenburg ist anderer Ansicht: „Seit über 20 Jahren verfolgt Brandenburg bei der Flüchtlingsaufnahme eine Politik der Provisorien – von ehemaligen Kasernen über hastig errichtete Container bis hin zu Zeltlagern.“ Und ist sicher, dass es der Landesregierung nie um Unterbringung im Sinne einer Aufnahme ging, sondern dass „Aussonderung und Ausschluss der Flüchtlinge durch Untätigkeit willentlich in Kauf genommen“ wurden. „Warum“, fragt Becker, „ist nichts zu hören von aktiver zügiger Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus angesichts des großen Zuzugs von Menschen?“ Die Mittel dafür seien da, wenn es politisch gewollt wäre. Der Flüchtlingsrat fordert die Politik auf, sofort nachhaltige Programme zu erarbeiten, die bezahlbaren Wohnraum schaffen und kurzfristig mit Wohnungsbaugesellschaften im Land zu verhandeln, ob leer stehende Wohnungen für Flüchtlinge genutzt werden können. Außerdem sollten vor Ort Strukturen geschaffen werden, die eine gute Versorgung und die Integration der Flüchtlinge ermöglichen. Dazu müsste zuerst die Kommunikation mit den Kommunalpolitikern besser laufen und die Zusammenarbeit mit den Willkommensinitiativen. Denn anders als etwa zu Beginn der 90er-Jahre gibt es viele Brandenburger, die sich für die Neuankömmlinge engagieren. Allerdings machen viele von ihnen, beispielsweise in Wandlitz, die Erfahrung, dass es den Ämtern und den Betreibern der Unterkünfte oft nicht recht ist, wenn sich jemand um die Asylsuchenden kümmert.

Ebenso schwierig ist es, wenn schon bestehende Willkommensinitiativen nicht in die Planungen zu neuen Flüchtlingsunterkünften einbezogen werden, wie unlängst in Wünsdorf. Das bringt diese in schlechte Position bei Diskussionen, denn die wachsende Zahl der Flüchtlinge wird durchaus kritisch gesehen. Egal, wo eine neue Unterkunft gebaut werden soll – fast immer gibt es Widerstand, auch wenn die Bedenken meist verbrämt geäußert werden: „Das ist doch unzumutbar“, heißt es: „bei der Hitze im Zelt“ oder „so weit draußen“ oder „in so einem kleinen Dorf“. An den Stammtischen wird anders geredet. „Für die Erhaltung unseres Schwimmbades und Kindergartens hatten die kein Geld“, heißt es da etwa: „Aber für die Flüchtlinge wird alles getan. Da rückt sogar die Bundeswehr an.“

Der Bundestagsabgeordnete Martin Patzelt (CDU), der zwei Flüchtlinge aus Eritrea privat in seinem Haus aufgenommen hat, warnt vor einer Polarisierung in der Bevölkerung. Ehrenamtliche Kommunalpolitiker wie der Bürgermeister von Kittlitz fühlen sich überfordert, werden gar von Rechtsradikalen bedroht. In Thalberg, einem Dorf mit 542 Einwohnern, sprachen sich bei einer von Bürgern gestarteten Umfrage 64 Prozent gegen die zeitweilige Unterbringung von 50 Flüchtlingen in der früheren Schule aus. Dafür waren weniger als drei Prozent. Allerdings sind die Ängste im Vorfeld oft auch Auslöser für Bürgerengagement. So entstand die Bürgerinitiative „Finsterwalder zeigen Mitgefühl und Solidarität“, die sich um Flüchtlinge kümmert, die auf einem alten Flughafengelände leben. „Wir hoffen sehr, dass dieses bislang sehr positive Miteinander auch erhalten bleibt, wenn jetzt weitere Flüchtlinge direkt in der Stadt untergebracht werden“, sagt der Finsterwalder Pfarrer Markus Herrbruck: „Aber ich bin da guten Mutes.“

Dass dies auch im nur wenige Kilometer von Finsterwalde entfernten Doberlug-Kirchhain der Fall sein wird, hofft auch Bürgermeister Bodo Broszinski (FDP). „Auf einer Einwohnerversammlung wurde jedenfalls deutlich, dass es viel Hilfsbereitschaft gibt“, sagt er. „Natürlich ist die Verweildauer gerade bei einer Erstaufnahmeeinrichtung nicht lang, aber wir versuchen, uns auf die neue Situation und einen Bevölkerungszuwachs von zehn Prozent einzustellen.“

Das erfordere nicht wenige Entscheidungen – etwa, was die Infrastruktur für die Zeltstadt anbelangt. „Zwar sind wir nicht der Betreiber, aber als Stadtverwaltung natürlich in alles einbezogen. Und die Bürger fragen ohnehin immer bei uns nach“, so Broszinski. Seinen Urlaub hat er deshalb erst mal verschoben.

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