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In Brandenburg stehen derzeit zahlreiche Plätze in Flüchtlingsunterkünften zur Verfügung – dabei geht es um Zimmer in Gebäuden wie hier im „Kreml“, dem ehemaligen Landtag in Potsdam.

© Bernd Settnik / dpa

Flüchtlinge aus Berlin nach Brandenburg: Vor dem Durchbruch

Nach monatelangem Streit steht nach PNN-Recherchen jetzt eine Einigung der Landesregierungen bevor: Berliner Flüchtlinge könnten bald nach Brandenburg ziehen, weil dort tausende Plätze in den Einrichtungen leer stehen.

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Potsdam/Berlin - Erst McKinsey, und nun das Nachbarland: Nach PNN-Recherchen stehen die beiden Landesregierungen der Hauptstadtregion Deutschlands nach monatelangem Hick-Hick nun doch vor einer Einigung, die die dramatischen Zustände bei der Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin entschärfen könnte – durch eine Aufnahme im Land Brandenburg.

Am Ostermontag hatte Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) signalisiert, dass das Land grundsätzlich bereit sei, Flüchtlinge aus dem Berliner Kontingent bei der bundesweiten Verteilung zusätzlich auf seinem Gebiet unterzubringen. Bereits zwei Tage später könnten dafür wichtige Weichen gestellt werden. Am heutigen Mittwoch treffen sich die Chefs der Senats- beziehungsweise Staatskanzlei, Björn Böhning und Rudolf Zeeb, um über die Bedingungen für eine solche länderübergreifende Regelung zu verhandeln, die auch bundesweit eine Premiere wäre.

Berlin würde alle Kosten übernehmen, wenn Flüchtlinge nach Brandenburg kommen

Einig sind sich nach PNN-Informationen beide Seiten bereits darüber, dass Berlin alle Kosten übernehmen würde, wenn Flüchtlinge nach Brandenburg „exportiert“ werden. Möglich wäre das, weil in Brandenburg inzwischen zwei Drittel der im letzten halben Jahr in einem Kraftakt neu geschaffenen Einrichtungen zur Erstaufnahme von Flüchtlingen nicht belegt sind, weil der Zustrom der Neuankömmlinge nachgelassen hat.

Brandenburgs Regierungssprecher Andreas Beese bestätigte am Dienstag den PNN, dass es in Brandenburger Erstaufnahmeeinrichtungen in Eisenhüttenstadt, der Landeshauptstadt Potsdam, Frankfurt (Oder), Wünsdorf und Doberlug-Kirchhain mit Stand 29. März exakt 4349 freie Plätze gibt – von rund 6200 Plätzen insgesamt. In Potsdam sind demnach von 899 Plätzen nur 106 belegt, in Frankfurt an der Oder, wo etwa das Ramada-Hotel angemietet worden war, sind in vier Einrichtungen im Stadtgebiet mit 1134 Plätzen aktuell 206 Flüchtlinge untergebracht. In den Messehallen der Oderstadt muss keiner mehr wohnen, und in Zelten landesweit auch niemand. In ehemaligen Kasernen wie in Doberlug-Kirchhain mit 866 Plätzen leben derzeit nur 189 Bewohner. Im ehemaligen Behördengebäude in Wünsdorf sind es 332 Belegungen auf 955 Plätzen. Weitgehend ausgelastet ist allein das neue Heim in Ferch, wo 227 Flüchtlinge leben; es könnte 268 Menschen aufnehmen. In Berlin müssen hingegen zehntausend Flüchtlinge in Turnhallen kampieren.

Froh um jede geräumte Turnhalle: Berlin will die Kooperation

Vor diesem Hintergrund wäre man im Roten Rathaus über jeden Flüchtling froh, den Brandenburg abnimmt, über jede Turnhalle, die geräumt werden kann. „Wir freuen uns über die grundsätzliche Bereitschaft und sind nach wie vor sehr daran interessiert, Flüchtlinge in Brandenburg unterzubringen“, sagte Senatssprecherin Daniela Augenstein den PNN. Berlin habe in der Vergangenheit immer wieder bewusst das Gespräch gesucht und sich für eine entsprechende Kooperation eingesetzt.

Bisher hatte Brandenburg unter Verweis auf den bundesweiten Verteilschlüssel abgelehnt, zusätzlich Berliner Flüchtlinge zu übernehmen. Vor allem eine Unterbringung in den ILA-Messehallen in Selchow bei Schönefeld, die aus Berlin immer wieder ins Spiel gebracht wurden, ist für Woidke inakzeptabel: Es wäre Unsinn, tausende Flüchtlinge in einem Dorf nahe Berlin unterzubringen. Ansonsten sei man grundsätzlich bereit, so Regierungssprecher Beese. Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) begrüßte denn auch „die positiven Signale“, die Ministerpräsident Woidke aussende. Den PNN sagte Czaja: „Das ist eine erfreuliche Wendung und unsere beiden Landesregierungen werden über die Konditionen zu reden haben.“

In Berlin ist der Druck immens. Hier leben allein knapp zehntausend Flüchtlinge in 63 Turnhallen, in Massenunterkünften, mit den bekannten Problemen: keine oder kaum Privatsphäre, Schlafstörungen, gesteigerte Aggressivität. Mal abgesehen davon, dass Flüchtlinge bei einem Umzug nach Brandenburg in Zimmern leben könnten, würden auch viele Berliner Turnhallen wieder zur Verfügung stehen. In der Senatsverwaltung sieht man deshalb den heutigen Gesprächen mit vorsichtigem Optimismus entgegen. Allerdings warnt Potsdam vor zu hohen Berliner Erwartungen. Man werde nicht alle freien Plätze für Berlin zur Verfügung stellen können und es seien noch rechtliche Fragen zu klären. So zum Beispiel, welche Verwaltungsgerichte für „in Brandenburg lebende, aber eigentlich Berliner Flüchtlinge“ zuständig sind.

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