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Brandenburg: Fertig zum Abheben

Tegel länger betreiben? Im Kreis der Airport-Gesellschafter wird das diskutiert. Ausgeschlossen ist es nicht

Berlin - Die Rechtslage ist eindeutig: Ein halbes Jahr nach Eröffnung des neuen Flughafens BER in Schönefeld muss der Flughafen Tegel stillgelegt werden. Dennoch gibt es immer wieder Überlegungen, wie die Schließung Tegels verhindert oder zumindest hinausgezögert werden könnte. Nach Informationen dieser Zeitung werden solche Gedankenspiele auch im Kreise der drei Gesellschafter – Berlin, der Bund und Brandenburg – angestellt. Ist die Schließung Tegels unabwendbar oder gibt es einen juristisch einwandfreien Weg, den Stadtflughafen auch über das zulässige halbe Jahr nach der BER-Eröffnung hinaus am Netz zu lassen? Die Antwort: Es wäre kompliziert und mühsam, aber möglich wäre es.

Der frühere Flughafenchef Hartmut Mehdorn fragte kurz nach Amtsantritt ganz unschuldig, warum man Tegel nicht einfach offen lassen könne. Zumindest bei einem der drei Gesellschafter der Berliner Flughäfen wird ebenfalls darüber nachgedacht, Tegel bis 2023 offen zu halten – bis dahin könnte in Schönefeld ein weiteres Terminal in Betrieb gehen. Begründet wird das vor allem mit absehbaren Engpässen am BER. Die liegen nicht bei den Kapazitäten der Start- und Landebahnen, sondern im Bereich der Passagierabfertigung. Mit der Inbetriebnahme eines zweiten Terminals (der Platz dafür ist in den Plänen markiert) würde die Abfertigungskapazität auf bis zu 35 Millionen Passagiere erhöht.

Nach geltender Rechtslage muss der Flughafen Tegel ein halbes Jahr nach der Eröffnung des neuen Flughafens BER in Schönefeld schließen. Als Eröffnungszeitpunkt gilt nicht etwa die Inbetriebnahme des neuen Terminals, sondern die der südlichen Start- und Landebahn in ihrer vollen Länge. Um die Automatik nicht jetzt schon auszulösen, dürfen die Piloten während der gerade laufenden Erneuerung der Nordpiste die Südpiste zwar vorübergehend, aber nicht in voller Länge nutzen.

Da die Eröffnung von BER für die zweite Hälfte 2017 geplant ist, müssten alle planerischen, juristischen und politischen Vorarbeiten für ein längeres Offenhalten von Tegel bis dahin abgeschlossen sein – und ob das Bundesverwaltungsgericht sein Urteil vom März 2006 bis dahin revidiert, ist völlig offen. Mit diesem Urteil war nicht nur der Weg für den Bau des neuen Flughafens in Schönefeld frei gemacht worden, in ihm wurden als Voraussetzung dafür auch die Schließung von Tempelhof und Tegel festgeschrieben. Schließlich hatten ja die Gesellschafter Brandenburg und Berlin die Notwendigkeit des Neubaus auch damit begründet, dass durch die Schließung der anderen beiden Flughäfen deutlich mehr Menschen vom Fluglärm entlastet als durch den Neubau belastet würden.

Als ersten Schritt hätten die drei Gesellschafter auf Regierungsebene zunächst einen Konsens herzustellen, dass und vor allem warum sie Tegel länger offen halten wollen. Dazu müssten Berlin und Brandenburg den gemeinsamen Landesentwicklungsplan Flughäfen (LEP FS) überarbeiten und dessen Neufassung dann beiden Landesparlamenten zuleiten. Der geltende LEP FS war gemeinsam vom Ministerium für Raumordnung und Infrastruktur in Potsdam und der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung am 30. Mai 2006 vorgelegt worden, zehn Wochen nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes in Leipzig, das am 16. März den Weg für den Neubau in Schönefeld frei gemacht hatte. Auf Seite 8 des LEP FS heißt es: „Mit Inbetriebnahme der Kapazitätserweiterung (in) Schönefeld sind die Flugplätze Berlin-Tegel und Berlin-Tempelhof zu schließen und ihre Flächen einer anderen Nutzung zuzuführen“. Auf Seite 33 liest man, mit dem Ausbau in Schönefeld und der Schließung der beiden städtischen Flughäfen nehme die Zahl der vom Fluglärm Betroffenen von 225 000 auf nur noch 60 000 ab.

Das Argument der Lärmentlastung und des höheren Maßes an Sicherheit, durch die Gesellschafter vorgebracht, hatte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil deutlich gewürdigt. Es fand auch die behaupteten Vorteile der Konzentration auf einen einzigen Flughafen nicht nur nachvollziehbar, sondern stellt dieses Argument ins Zentrum der Urteilsbegründung. Es sind kaum Darlegungen denkbar, die es den Flughafengesellschaftern heute erlauben könnten, die damalige Argumentation ins glatte Gegenteil zu verkehren.

Ein Ansatzpunkt für eine Revision der Planung und der Beschlüsse – wahrscheinlich der einzige überhaupt – ergibt sich aus der Zahl der zu erwartenden Passagiere. Das Bundesverwaltungsgericht übernahm in seinem Urteil die Hypothese der Planer, 2023 seien bis zu 30 Millionen Passagiere zu erwarten. Tatsächlich wird diese Zahl schon heute erreicht, 2023 werden bis zu 35 Millionen Passagiere prognostiziert. Der neue Flughafen ist also bei seiner Eröffnung bereits zu klein. Deswegen plant die Flughafengesellschaft jetzt teure Provisorien für den Regierungsflughafen und Interimsterminals, um die Zeit bis zum Neubau eines zweiten BER-Terminals zu überbrücken. Vermutete Kosten: mehrere hundert Millionen Euro. Die logische Schlussfolgerung wäre eigentlich, bereits jetzt Planung und Bau des neuen Terminals einzuleiten. Davor scheut sich aber vor allem der Senat von Berlin. Erst mal eröffnen, dann sehen wir weiter, ist da die Devise.

Um politische Entscheidungen kommt aber nicht herum, wer Tegel länger offen halten will, denn erst dann könnten sich Gerichte mit der veränderten Lage befassen. Und eine eminent wichtige politische Entscheidung war der sogenannte Konsensbeschluss der drei Gesellschafter vom 28. Mai 1996, unterschrieben von Manfred Stolpe, Eberhard Diepgen und Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann. In diesem Konsensbeschluss, der den Landesparlamenten von Berlin und Brandenburg am 4. Juli 1996 zur Kenntnisnahme zugeleitet worden war, sind sowohl der Neubaubeschluss in Schönefeld als auch die beabsichtigte Schließung von Tegel und Tempelhof festgehalten. Formal zustimmen mussten die Parlamente nicht, das Planungsrecht liegt in der Kompetenz der Exekutive.

Wer also Tegel länger offen halten will, muss zunächst den Nachweis erbringen, dass anders vorübergehend das hohe Verkehrsaufkommen nicht zu bewältigen ist. Dann muss das Planungsrecht geändert werden, und dieses sowie ein neuerlicher Konsensbeschluss den Parlamenten zugeleitet werden. Es ist anzunehmen, dass der Bund gegen ein Offenhalten Tegels keine Einwände hat. Der stadtnahe Regierungsflughafen erfreut sich bei Politikern großer Beliebtheit. Brandenburgs Verhalten einzuschätzen, fällt schwerer. Die Anrainer von Schönefeld freuen sich vermutlich über jeden Tag, an dem sie nicht den gesamten Flugverkehr der Region ertragen müssen. Für die Berliner Politik wäre es eine Zerreißprobe. Die östlich und westlich Tegels wohnenden Berliner würden vermutlich zu Massendemonstrationen aufrufen. In der Gesamtstadt aber gibt es viele Menschen, die sich freuen, wenn Tegel möglichst lange offen ist.

Darauf, dass am Ende erst ein neues Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes Klarheit schafft, kann man jetzt schon wetten.

Gerd Appenzeller

Gerd Appenzeller

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