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Die Enquete-Kommission im Landtag in Potsdam.

© Bernd Settnik/dpa

"Fehlender Aufarbeitungswille": Enquete zu SED-Diktatur verprellt Experten

Nächste Krise in Brandenburgs Enquete-Kommission: Erneut springt mit Prof. Stefan Appelius ein Gutachter ab – mit heftigen Vorwürfen gegen Rot-Rot.

Potsdam - Brandenburgs Enquete-Kommission zu den Folgen der SED-Diktatur im Land stürzt in die nächste Krise. Erneut springt ein Experte ab, diesmal ist es der Politikwissenschaftler Professor Stefan Appelius, Spezialist für DDR-Opposition und Dozent an der Potsdamer Universität. Gegenüber den PNN begründete Appelius seinen Ausstieg mit jüngsten rot-roten Angriffen gegen beauftragte Gutachter und „fehlenden Aufarbeitungswillen“ der Koalition: „Jeder Gutachter begibt sich in Gefahr, in politische Scharmützel zu geraten.“ Er war im Januar 2011 mit einem Schlüssel-Gutachten beauftragt worden. Er sollte die grundlegenden Weichenstellungen in Brandenburg nach 1990, die „Schlüsselentscheidungen und Entwicklungspfade ... im Vergleich zu anderen neuen Ländern“ untersuchen. Er hatte den mit 5000 Euro dotierten Werkvertrag „wegen wachsender Bedenken“ noch nicht unterschrieben.

In seiner schriftlichen Absage an den Landtag wirft er der Regierungskoalition vor, in keiner Weise an Aufarbeitung interessiert zu sein. „Sie versucht, mit ihren in 21 Jahren gewachsenen Machtstrukturen die historische Aufarbeitung der Vergangenheit mit allen Mitteln zu verhindern“. Er kritisiert etwa, dass jetzt gefundene Unterlagen zur Stasi-Überprüfung des ersten Landtags (PNN berichtete) unter Verschluss bleiben. „Ohne vollständige Offenlegung“ aller Unterlagen – auch der zu den Stasi-Kontakten von Ex-Ministerpräsident Stolpe – sei die „Arbeit der Enquete eine Farce“. Zudem seien Enquete-Wissenschaftler aus den Koalitionsreihen mehrfach „medial attackiert und diffamiert“ worden. Appelius bezieht sich auch auf den jüngsten Fall, der in der heutigen Sitzung ein Nachspiel hat.

Wie berichtet hatte der SPD-Vertreter Thomas Günther ein Gutachten des Politologen Rainer Alisch vom Forschungsverbund SED-Staat zum DDR-Bild von Parteien im Land noch vor Abnahme und Behandlung in der Enquete als „polemische Streitschrift“ verrissen. Nach dem früheren Berliner Vize-Stasi-Beauftragten Jens Schöne und dem von der SPD gestellten Enquete-Mitglied Wolfgang Merkel ist es der dritte Experte, der abspringt. Die Reaktionen dazu sind geteilt. Die Enquete-Vorsitzende Susanne Melior (SPD) sagte, sie halte angesichts des noch nicht unterschriebenen Werkvertrages die öffentliche Begründung für einen Vorwand: „Es sieht eher danach aus, dass er einen Grund gesucht hat.“ Angesichts der Komplexität des Gutachtens will sie anregen, den Auftrag auf mehrere Wissenschaftler aufzuteilen.

Die Opposition aus CDU, FDP und Grünen bedauerte die Absage, äußerte Verständnis für die Begründung. „Man kann verstehen, dass sich Wissenschaftler verheizt fühlen“, sagte Grünen-Chef Axel Vogel. Dass aus den rot-roten Reihen Gutachter verprellt werden, sei für die Enquete eine „bittere“ Entwicklung, sagte die FDP–Abgeordnete Linda Teuteberg. Der CDU-Vertreter Dieter Dombrowski bezog seine Kritik – die Linken ausdrücklich davon ausnehmend – allein auf die SPD, von der die Angriffe auf Gutachter kamen. „Die SPD versucht zielstrebig, die Arbeit der Enquete-Kommission zu sabotieren.“ Man stelle Gutachter bloß, anstatt mit Gutachtern zu arbeiten, sagte Dombrowski. „Wenn mancher Kollege fleißiger wäre, hätten wir ein paar Probleme weniger.“ Der Linke Peer Jürgens nannte die Kritik von Appelius am Umgang mit Wissenschaftlern nachvollziehbar. Den Vorwurf fehlenden Aufarbeitungswillens von Rot-Rot wies er zurück. „Der Auftrag für das Gutachten belegt das Gegenteil.“

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