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Auf dem Weg der Besserung. Der Berliner Rabbiner Daniel Alter wurde von Jugendlichen, die offenbar arabischer Herkunft sind, angegriffen und verprügelt. Seine sechsjährige Tochter bedrohten die Angreifer mit dem Tod.

© dapd

EXTREMISMUS: „Ich sehe doch, wie manche schauen“

Der Angriff auf den Berliner Rabbiner Daniel Alter und seine Tochter zeigt, wie schwer es Juden im Alltag haben.

Berlin - Ihrem Mann geht es besser – vielleicht kommt er an diesem Freitag aus dem Krankenhaus –, ihre beiden Töchter gehen wie gewohnt zur Schule, ihre Hausgemeinschaft hat Blumen gebracht und Geld gesammelt – Hannah K. versucht, sich gefasst zu geben. Die zartgliedrige Frau mit den dunklen Haaren sitzt in der Trattoria gleich neben ihrer Haustür.

Hier in der gewöhnlich als gutbürgerlich bezeichneten Beckerstraße in Berlin-Friedenau wurde am Dienstagabend Hannahs Mann, der Rabbiner Daniel Alter, vermutlich von einer Gruppe arabischstämmiger junger Männer zusammengeschlagen – nachdem er bejahte, Jude zu sein. Selbst seine kleine Tochter bedrohten die Täter – „sie geht damit zumindest äußerlich ganz cool um“, sagt Hannah K.: „Übrigens ist sie nicht sechs, sondern sieben Jahre alt. Das müssen sie unbedingt schreiben, das ist ihr wichtig.“ Sie setzt einen kleinen Teddybär auf den Tisch der Trattoria. „Der ist für sie von der Hausgemeinschaft. Die hält richtig gut zu uns.“

Hannah K., die mit ihrer Familie vor vier Jahren aus Mitte nach Friedenau gezogen ist, hatte hier nie Angst. „Aber dass man bedroht wird, damit rechnet man schon immer“, sagt sie: „Ich habe meinen Mann gebeten, die Kippa nicht zu tragen oder sie zu bedecken – wenigstens, wenn er die Kinder bei sich hat. Ich sehe doch, wie manche Menschen schauen, wenn sie mitbekommen, dass wir Juden sind.“ In der Jüdischen Schule, in die Hannahs Töchter gehen, sei es für die Jungen sogar vorgeschrieben, die Kippa mit einem Basecap zu bedecken, erzählt Hannah K.

Die Ermittlungen nach dem Übergriff auf den 53-jährigen Rabbiner in Friedenau sind laut Polizei in vollem Gange – doch eine konkrete Spur hatten die Beamten des Staatsschutzes am Donnerstag noch nicht. Unterdessen wurde eine weitere rassistisch motivierte Tat bekannt. Am Dienstagabend war eine 28-jährige ukrainische Frau mit ihren drei kleinen Kindern auf einem Spielplatz am Bürgerpark Marzahn von einem Mann mit volksverhetzenden Parolen beleidigt worden. Der Unbekannte zeigte ihr und ihrer italienischen Freundin (18) den „Hitlergruß“, berichtet die Polizei. Danach verschwand der Mann. Drei Tage zuvor, am Sonnabend, gab es einen rassistischen Übergriff auf zwei dunkelhäutige Frauen und ein sechsjähriges Mädchen in Wedding. Die beiden in Guinea geborenen Frauen saßen an einer Tramhaltestelle, als ein Unbekannter die Sechsjährige vom Sitz schubste. Er entkam unerkannt.

Antisemitismus, Rassismus, Rechtsextremismus – nahezu täglich werden Menschen in Berlin Opfer solcher Anfeindungen, Beleidigungen bis hin zu Gewalttaten. Allerdings hat die Polizei in Berlin im vergangenen Jahr einen leichten Rückgang antisemitischer Straftaten verzeichnet. Im Jahr 2011 zählte der Staatsschutz 126 antisemitische Straftaten. Im Jahr davor waren es noch 148 Fälle.

Von den 126 antisemitischen Vorfällen, die im Jahr 2011 registriert wurden, haben laut Polizei 113 einen rechtsextremistischen Hintergrund und erfüllen den Straftatbestand der Volksverhetzung. Zu den Straftaten gehören auch judenfeindliche Parolen, die an Wände geschmiert wurden. Von den 126 Fällen waren laut Polizei zehn Taten „auslandsextremistisch motiviert“ – hier gehen die Ermittler davon aus, dass die Taten in Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt stehen.

Auch wenn die Statistiken einen Rückgang antisemitischer Gewalt belegen, fühlen sich viele Juden in Berlin nicht sicher. Der Rabbiner Andreas Nachama sagte dieser Zeitung, er meide Busse und Bahnen. Er sei selbst vor zehn Jahren in der S-Bahn in Steglitz als Rabbiner erkannt und attackiert worden. „Zwar erst nur verbal, aber als ich die Bahn verließ, jagte mich der Mann auf die Straße.“ Dort habe er sich mit einem Tritt gegen den Angreifer gewehrt und sei in einem Taxi geflohen. „In Europa muss man sich leider auch heute noch darüber im Klaren sein, dass man in der Öffentlichkeit als Jude in Schwierigkeiten kommen kann“, sagte Nachama.

Innensenator Frank Henkel (CDU) sagte dieser Zeitung, dass das Angstgefühl unterschiedlicher Gruppen, etwa Gläubige, die negative Erfahrungen gemacht haben, ernst zu nehmen sei. „Es ist nicht Aufgabe der Politik, solche Ängste zu verharmlosen oder anzuheizen“, sagt Henkel. Von No-go-Areas wolle er aber nicht sprechen. „Das hieße, dass sich die Sicherheitsbehörden aus bestimmten Gebieten zurückziehen. Der Rechtsstaat weicht nirgends zurück.“

Die Zivilgesellschaft zum Glück auch nicht. Am heutigen Freitag soll es bei einem Integrationsfest in Friedenau auch Solidaritätsbekundungen mit dem Rabbiner und seine Familie geben. Für kommenden Sonntag rufen die SPD Friedenau und die Evangelische Kirche zum Protest auf. Auch die Islamische Föderation in Berlin hat den Angriff auf den Rabbiner aufs Schärfste verurteilt. Man wolle alle erforderlichen Maßnahmen gegen die Täter unterstützen und mit der Jüdischen Gemeinde zusammenarbeiten.

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