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Brandenburg: Extreme Verweigerung

Ein früherer Neonazi und V-Mann soll im NSU-Prozess bei der Aufklärung helfen. Doch das Potsdamer Innenministerium wehrt sich. Kritiker sprechen von Sabotage

Potsdam/München - Mit dem, was dieser V-Mann ablieferte, hätte das Neonazi-Terror-Trio schon früh gestoppt und deren Mordserie verhindert werden können. Nun soll der frühere Neonazi Carsten Sz., der als V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes mit dem Decknamen „Piatto“ geführt wurde, im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München als Zeuge gehört werden – doch das brandenburgische Innenministerium wehrt sich mit einem Sperrvermerk. Opferanwälte halten das für einen Skandal, die Linke in Brandenburg, die kurz vor Abschluss des Koalitionsvertrages mit der SPD steht, wirft dem SPD-geführten Innenministerium Blockade vor und fordert eine offensiven Aufklärung der Verwicklungen des V-Manns im NSU-Umfeld.

Derzeit verhandelt das Münchner Gericht mit dem Innenministerium über die Modalitäten der Zeugenvernehmung. Die war von Opferanwälten im NSU-Prozess beantragt worden. Der Strafsenat folgte dem und hat für den 4. November Carsten Sz. geladen. Doch das Innenministerium knüpft Bedingungen daran. Weil Sz. nach seiner Enttarnung als V-Mann seit Juni 2000 wegen Morddrohungen und inzwischen auch Familienangehörige an einem geheim gehaltenen Ort in einem Zeugenschutzprogramm der brandenburgischen Polizei leben, bestehe eine „strukturelle und dauerhafte Gefährdungssituation“.

Daher müsse Sz. besonders geschützt werden. Es gehe nicht darum, eine Aussage zu verhindern oder inhaltlich einzuschränken. Sz. solle lediglich vor Fragen zu privaten und persönlichen Umständen geschützt werden, die seine heutige Identität und seinen Aufenthalt aufdecken könnten, hieß es in Potsdam.

Das Innenministerium verlangt, dass „Piatto“ nicht vor Gericht, sondern nur per Videoübertragung an einem geheimen Ort in Begleitung eines Anwalts vernommen, das Erscheinen verfremdet und die Stimme verstellt wird – und bei allem die Öffentlichkeit aus dem Gerichtssaal ausgeschlossen wird. Die Gefahr, dass „Links- oder Rechtsextremisten" im Gerichtssaal Fotos des Zeugen machen könnten, sei zu groß.

Opferanwalt Sebastian Scharmer sieht keinen „Grund, warum man Piatto nicht als Zeugen hören kann“. Das Vorgehen des brandenburgischen Innenministeriums sei ein „Akt der Sabotage“. Selbst die Bundesanwaltschaft, aber auch die Verteidiger der angeklagten Neonazis finden die Haltung des Innenministeriums überzogen. Hinzu kommt, sagt Scharmer, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit für eine Revision ein Risiko sei. Zudem verweist Scharmer auf andere Zeugen, wie den früheren V-Mann Tino Brandt, gegen dessen Vernehmung das thüringische Landesamt keine Einwände hatte. Am Gericht könne man durchaus wie auch bei anderen Fälle organisieren, dass der Zeuge nicht mit Besuchern in Kontakt kommt und dass keine keine Fotos gemacht werden. Der Zeuge könne durch mehrere Maßnahmen am Gericht selbst geschützt werden.

Auch die Linke-Landtagsabgeordnete Kerstin Kaiser verwies gegenüber den PNN, dass andere frühere V-Leute offenbar gefahrlos ohne besonderen Schutz der Behörden – wie ihn Brandenburg durchsetzen will – im NSU-Prozess ausgesagt haben. Der sogenannte „Quellenschutz“ dürfe keinesfalls dazu herhalten, „Verwicklungen des Brandenburger Verfassungsschutzes, seiner V-Mann-Führer oder V-Leute in Straftaten zu bemänteln“. Allein ein solcher Eindruck wäre fatal. Brandenburgs Innenministerium müsse „endlich offensiv und kompromisslos“ zur Aufarbeitung und Aufklärung der NSU-Verbrechen beitragen und seine bisherige Position korrigieren. Eine umfassende Aussagegenehmigung für den verurteilten Neonazi-Überzeugungstäter Carsten Sz. sei dabei das Mindeste.

Immerhin laufen nun die Drähte zwischen dem Oberlandesgericht München und dem Innenministerium in Potsdam heiß. Bislang steht der Termin für die Zeugenvernehmung in genau einer Woche. Für wichtig halten die Anwälte die Aussage von Carsten Sz., um herauszufinden, was damals in der rechtsextremistischen Szene über den NSU bekannt war, über dessen Aktionsradius, dessen Ziele, über Wafffenlieferungen und Spenden. Schließlich gehe es bei der Anklage auch um den Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung.

„Piatto“ hatte Brandenburgs Verfassungsschutz 1998 über das untergetauchte Terrortrio informiert – dass die Neonazis sich Waffen besorgen und Banken überfallen wollen. Die Hinweise waren von den Behörden nicht in ihrer Tragweite erkannt worden oder versickert. Zudem mauerte der Verfassungsschutz bei der Verwertung der Informationen in Sachsen und Thüringen und bestand schon damals auf Quellenschutz. Platziert war „Piatto“ bei einem Neonazi-Versand in Sachsen im direkten Umfeld des NSU-Terrortrios von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe, als dieses 1998 im Raum Chemnitz untertauchte. In den Jahren darauf begingen die drei zehn Morde an Migranten und einer Polizistin. Fest steht, dass „Piatto“ eine der wenigen Quellen bundesweit war, die Hinweise auf das Trio gab. Nicht geklärt ist bislang, welche Rolle der V-Mann selbst bei der Waffenbeschaffung für den NSU gespielt hat. Er selbst rüstete sich bis zu seiner Abschaltung als V-Mann für den militanten Kampf.

Auch die Umstände seiner Anwerbung im Gefängnis 1994 und seine vorzeitige Entlassung aus der Haft wegen Mordversuchs an einem Nigerianer sind dubios. Nicht ausgeräumt ist der Vorwurf, der Verfassungsschutz habe die Justiz getäuscht. Der NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag hatte die Zusammenarbeit mit „Piatto“ deshalb scharf kritisiert. Das Innenministerium in Potsdam wies die Vorwürfe regelmäßig zurück und hält den Einsatz von „Piatto“ für gerechtfertigt, weil zahlreiche rechte Gewalttaten verhindert worden seien.Alexander Fröhlich

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