zum Hauptinhalt
Standsicher? Ein riesiger Schaufelradbagger frisst sich durch den Braunkohletagebau bei Welzow. Die Erweiterung der Förderstätte könnte für Lieske zur Bedrohung werden. Das Lausitzer Dorf wäre dann zwischen der Kohlegrube und einem See eingequetscht.

© dpa

Exklusiv: Welzow Süd II: Katastrophe mit Ansage?

Ein neuen Gutachten zum vom Energiekonzern Vattenfall geplantem Tagebau im Süden Brandenburgs bestätigt erneut das Risiko großflächiger Rutschungen. Ein Szenario das an das Unglück von Nachterstedt im Jahr 2009 erinnert.

Von Matthias Matern

Cottbus/Potsdam – Die Zukunft von Lieske steht auf der Kippe. Nur eine kleine Fehlerstelle in der Dichtwand und dem kleinen Lausitzer Dorf (Spree-Neiße) droht eine Flutkatastrophe, ist sich der Diplom-Geologe und Geochemiker Ralf Krupp sicherer denn je. Nachdem sich der Wissenschaftler bereits 2012 für die Umweltschutzorganisation Greenpeace mit der Gefahr einer sogenannten Rutschung in Lieske durch die Pläne des schwedischen Staatskonzerns Vattenfall für das neue Tagebaugebiet Welzow Süd II beschäftigt hatte, hat er jetzt anhand von Rechenmodellen seine Ergbnisse untermauert. „Ein kleiner Haarriss in der Tonwand reicht und die Situation kann eskalieren. Dann bleibt nichts mehr übrig“, bestätigte Krupp am Montag. Am heutigen Dienstag soll sein neues Gutachten, das den PNN exklusiv vorliegt, veröffentlicht werden.

Laut Krupps Berechnungen droht Lieske Gefahr von zwei Seiten – vom neuen Fördergebiet und vom Sedlitzer See, einem aufgefüllten Tagebau. Das Teilfeld II, das Vattenfall aufschließen will und für das seit 2007 ein Planungsverfahren läuft, würde bis auf wenige Hundert Meter an Lieske grenzen. Das typische Straßendorf wäre damit zwischen dem See und der neuen Fördergrube eingequetscht. An der schmalsten Stelle wäre der Ort gerade einmal 500 Meter breit. Den Plänen des Energiekonzerns zufolge soll eine im Bau befindliche 100 Meter tiefe und nur rund einen Meter dicke Dichtwand aus Ton entlang der geplanten Tagebaukante das Abrutschen Lieskes verhindern. Bis 17. Septemer läuft noch das Anhörungsverfahren für den Braunkohleplan. Der erste Entwurf war 2012 durchgefallen, weil nicht nachgewiesen werden konnte, dass die mit dem Aufschluss verbundene Abbaggerung von Dörfern und die Umsiedling von rund 800 Menschen energiepolitisch notwendig ist.

Dem Konzern und den zuständigen brandenburgischen Behörden wirft Krupp vor, bei den Plänen für die Dichtwand vom Idealfall auszugehen. „Das Basisszenario ist, dass die Wand absolut dicht ist. Dann lassen sich natürlich keine kritischen Zustände errechnen“, so Krupp. Seinen Berechnungen zufolge aber könnte ein Minileck in der Dichtwand durch den Druck des Grundwassers vergrößert werden. Infolge würde das Grundwasser durch die fragile Sand- und Kiesschicht einen Graben bis zum Sedlitzer See freispülen, dessen Wasser sich dann ungehindert in den Tagbau ergießen würde. „Ein Prozess, der erst stoppt, wenn der See leergelaufen ist“, betonte der Wissenschaftler.

Eine solche Fehlerstelle in der Dichtwand könnte beispielsweise durch die Probeentnahmelöcher entstehen, die beim Errichten der Wand gebohrt werden, um das Absinken des Tons beim Verfüllen zu überwachen, erläuterte Krupp. Je nachdem, wie lange der Damm unter Lieske hält, könnten die Folgen verheerend sein. „Sollte es nachts passieren, könnte es kritisch werden. Wenn es ganz dumm läuft, kann es schlimmer als Nachterstedt werden.“ Am frühen Morgen des 18. Juli 2009 war in dem alten sachsen-anhaltinischen Braunkohlerevier ein rund 350 Meter breiter Streifen Land in den südlichen Ausläufer des Concordiasees, ein ehemaliges Tagebauloch, gerutscht hatte dabei ein zweistöckiges Einfamilienhaus, einen Teil eines Mehrfamilienhauses sowie einen Straßenabschnitt und eine Aussichtsplattform mit sich gerissen. Drei Menschen wurden verschüttet.

Wahrscheinlich ist laut Krupps Berechnungen auch ein sogenannter hydraulischer Grundbruch. Dabei drückt das Grundwasser, nachdem die Pumpen im neuen Tagebauloch abgestellt worden sind, durch den Boden der Förderstätte und weicht die steile Böschung an der Tagebaukante bei Lieske auf. „Rutscht die Böschung ab, liegt die Dichtwand frei. Doch ohne die Böschung fehlt der Dichtwand eine wichtige Stütze und sie kann dem Druck von rund sechs Bar, mit dem der Sedlitzer See auf den Damm drückt, nicht mehr standhalten“, so derWissenschaftler. „Unter den Bedingungen halte ich die Erweiterung des Tagebaus bei Lieske für zu riskant – und zwar nicht nur für die Liesker selbst, sondern auch für die Beschäftigten im Tagebau.“

Auch Greenpeace fordert angesichts der erneut bestätigten Gefahren die Einstellung des Braunkohleplanverfahrens. Sowohl bei Vattenfall als auch beim brandenburgischen Landesbergamt hält man Lieske dagegen weiterhin für sicher. „Wir kennen das neue Gutachten noch nicht, gehen aber nach wie vor davon aus, dass die Standsicherheit von Lieske gewährleistet ist, da die Ortschaft auf gewachsenem Boden steht und nicht auf ehemaligen Kippenflächen“, sagte Vattenfall-Sprecher Thoralf Schirmer den PNN. Auch Klaus Freytag, Präsident des Landesbergamtes, sieht keinen Grund zu Sorge. „Wir haben nach dem ersten Gutachten extra Proben am Fuß der Dichtwand genommen und sie von einem unabhängigen Labor untersuchen lassen. Die Ergebnisse lassen uns sagen, Lieske ist standfest“, so Freytag.

Diesmal aber lasse sich sein Gutachten nicht einfach so abtun, ist Ralf Krupp überzeugt. „Die Rechnungen können sie nicht einfach so vom Tisch fegen“, so der Wissenschaftler. Matthias Matern

Zur Startseite