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Anfang des Jahres 2017 soll die "Nationale Bewegung" im Brandenburger NSU-Untersuchungsausschuss untersucht werden.

© dpa

Exklusiv: Untersuchungsausschuss kritisiert Landesregierung: Wird NSU-Aufklärung in Brandenburg blockiert?

Im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags Brandenburg erhebt die Opposition schwere Vorwürfe: Weil der Verfassungsschutz Akten zu V-Mann „Piatto“ schwärzt, werde die Aufklärung behindert. Und das Justizministerium hält sich nicht ans Schredderverbot.

Potsdam - Brandenburgs Landtagsopposition wirft der Landesregierung vor, die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses zu behindern. Grund sind massive Schwärzungen in den Akten des Verfassungsschutzes zum V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“, obwohl die Akten von den Abgeordneten als Geheimsache zu behandeln sind.

NSU-Aufklärung mit geschwärzten Akten nicht möglich

„Mit den jetzigen Schwärzungen von Akten im Geheimschutzraum ist eine Aufklärung des Falles Piatto nicht möglich“, sagte CDU-Obmann Jan Redmann den PNN. „Wenn die Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums weniger Ressourcen in die Aktenschwärzung stecken würde, stünde mehr Personal zur Verfügung, um extremistische Umtriebe in Brandenburg zu beobachten und zu analysieren“, sagte die Grünen-Obfrau Ursula Nonnemacher.

Beide fordern, die Akten zu „Piatto“ teils zu entschwärzen und eine komplette Geheimakte an den Ausschuss herauszugeben. Bei der Sitzung des Untersuchungsausschusses am heutigen Montag wollen Redmann und Nonnemacher auch beantragen, den Geheimschutz herunterzustufen. Eine Gefahr für das Wohl Brandenburgs und der Bundesrepublik sei bei den 20 Jahre alten Berichten nicht erkennbar, sagte Redmann. "Die Entschwärzung ist erforderlich, da sonst eine inhaltlich Aufklärung nahezu unmöglich gemacht wird", sagte der CDU-Politiker.

Längst bekannte Namen wurden unkenntlich gemacht

„Piatto“ ist die Schlüsselfigur für die Rolle des Brandenburger Verfassungsschutzes im NSU-Komplex. Er war 1998 im Umfeld des NSU-Trios eingesetzt und gab Hinweise auf den Verbleib, bevor dessen Mordserie begann. Strittig ist, ob der Verfassungsschutz die NSU-Morde hätte verhindern können.

Auch die Schwärzungen selbst hält der Ausschuss für falsch. Namen von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes unter der Führungsebene, von Justizmitarbeitern und Neonazis sind unkenntlich, sogar längst bekannte V-Mann-Führer von „Piatto“ und dessen Klarname Szczepanski. 

Verfassungsschutz klagt über Belastung - Opposition vermutet wegen Aktenschwärzung

Ein weiterer Grund für das Misstrauen: Dem Ausschuss sind erst im Dezember die Akten zu „Piatto“ vorgelegt worden, dabei war ein Großteil der Papiere 2012 für den NSU-Ausschuss des Bundestages digitalisiert worden. „Warum wir auf diese digitalisierten Unterlagen so lange warten mussten, ist mir rätselhaft“, sagte Nonnemacher.

Für Verwunderung sorgt im Ausschuss die Darstellung des Verfassungsschutzes, die Behörde wäre durch die Zuarbeit blockiert, bis zu einem Viertel der Mitarbeiter würden Akten sichten, schwärzen und digitalisieren. Nonnemacher erklärte, sie habe den Eindruck, dass nicht die Sichtung, sondern „die Aktenschwärzung in relevantem Umfang Personal bindet“.

Redmann nannte die Klagen der Behörde über die Belastung durch den Untersuchungsausschuss nicht nachvollziehbar. Die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes seien gar nicht mit Sichtung und Zusammenstellung von Akten betraut. Vielmehr habe der Ausschuss dafür einen Savchverständigen eingesetzt. Wenn die Schwärzungen bereits aus dem Jahr 2012 für den Bundestags-Untersuchungsausschuss stammten, wie der Verfassungsschutz den Obleuten des Untersuchungsausschusses erklärt habe, "wäre nicht erklärlich, wofür das Personal eingesetzt werden musste".

Untersuchungsausschuss beschloss Schredderverbot - Justizministerium hält sich nicht daran

Es sind aber nicht nur geschwärzte Akten des Verfassungsschutzes, über die sich die Mitglieder im NSU-Untersuchungsausschuss wundern. Die Vertreter der Oppositionsfraktionen von CDU und Grünen sehen sich sogar genötigt, von der Landesregierung die Einhaltung des Löschverbotes für alle Akten mit Bezug zum Rechtsextremismus zu verlangen. Grund ist das Hadern der Regierung bei dem vom U-Ausschuss verhängten Vernichtungsstopp.

In dem von Stefan Ludwig (Linke) geführten Justizministerium ist das Schreddern von Akten – wie berichtet laut einer Regierungsantwort auf eine CDU-Anfrage – weiter möglich. Bislang sichtet eine Arbeitsgruppe im Ministerium Aktenkonvolute. Erhalten bleiben sollen nur Akten mit Namen von bereits im NSU-Komplex bekannt gewordenen Personen. Und auch die Staatskanzlei meldete rechtliche Bedenken gegen das Löschmoratorium an.

Ist das Unfähigkeit oder fehlender Aufklärungswille?

Vor der Sitzung des Untersuchungsausschusses am heutigen Montag zeigte sich die Opposition entsetzt. CDU-Obmann Redmann sagte den PNN: „Ich bin erschrocken darüber, dass Justizminister Ludwig noch immer nicht ausreichend sensibel mit relevanten Akten umgeht. Es stellt sich die Frage, ob Unfähigkeit oder fehlender Aufklärungswille dafür die Ursache ist. Beides wäre fatal.“ Grünen-Obfrau Nonnemacher sagte: „Unser Untersuchungsauftrag geht deutlich über den NSU-Komplex hinaus. Ganz abgesehen davon, dass auch innerhalb des NSU-Komplexes immer wieder neue Personen ins Blickfeld rücken.“

Der Untersuchungsausschuss prüft die gesamte Entwicklung des Rechtsextremismus in Brandenburg seit 1990, sucht Verbindungen zum NSU-Mördertrio, anderen möglichen Terrorzellen sowie Verstrickungen des Verfassungsschutzes. Ludwig sei vom Ausschuss ausdrücklich aufgefordert worden, ein umfassendes Löschmoratorium zu verhängen. „Dass das immer noch nicht geschehen ist, ist nicht hinnehmbar“, sagte Nonnemacher.

Ist die Bedeutung des Falls "Piatto" dem Justizressort bekannt?

Anlass für den im Oktober verhängten Schredderstopp: Die Staatsanwaltschaften Potsdam und Frankfurt (Oder) hatten die Akten zum V-Mann Carsten Szczepanski alias „Piatto“ vernichtet, nachdem diese vom zweiten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages zurückgesandt worden waren. Die Aktenvernichtung zeige, dass nicht einmal die Bedeutung des Falles „Piatto“ im Bereich des Justizressorts ausreichend bekannt sei, so Nonnemacher. „Wenn der Minister jetzt kein Löschmoratorium erlässt, das die Vernichtung relevanter Akten ausschließt, ist das politisch fahrlässig.“

Der Staatskanzlei riet Nonnemacher einen Blick in andere Länder. In Bayern sei die Vernichtung auch von Ermittlungsakten ohne NSU-Bezug gestoppt worden. In Baden-Württemberg habe es ein Vernichtungsmoratorium für alle Verfahrensakten von Staatsanwaltschaften und Gerichten gegeben. Brandenburgs Generalstaatsanwaltschaft erließ erst jetzt nach Bekanntwerden der Vernichtung von "Piatto"-Akten einen Schredderstopp, bei Polizei und Justiz gilt seit 2012 ein Moratorium

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