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Brandenburg: „Es fehlt an Erfahrung und Kompetenz“

Konfliktforscher Steil sieht Gefahr in Gemeinden, Nazi-Umtriebe zu leugnen Kommunen sollte die Projektförderung gegen Rechts nicht überlassen werden

Herr Steil, Sie haben die wissenschaftliche Begleitung für das „Civitas“-Programm derBundesregierung übernommen, mit dem zahlreiche Projekte gegen Rechtsextremismus gefördert wurden. Bedauern Sie, dass es jetzt ausläuft?

Dass das Programm 2006 zu Ende geht, war immer klar. Bedauerlich wäre, wenn Projekte, die erfolgreich gearbeitet haben, die über qualifizierte Mitarbeiter und funktionierende Netzwerke verfügen, nicht weitergeführt werden könnten.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel die Opferberatungen, die Mobilen Beratungsteams und die Netzwerkstellen, die in den Kommunen die verschiedenen Vereine und Initiativen zusammenzubringen. Aber auch viele andere Projekte aus den Förderprogrammen „entimon“ und „xenos“.

Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) möchte, dass künftig ausschließlich die Kommunen Fördergelder für den Kampf gegen Rechtsextremismus beantragen können. Aus ihrem Ministerium verlautet, das sei eine Empfehlung der Wissenschaftler, die das Projekt begleitet haben. Stimmt das?

Nein. Meine Kollegen und ich haben eine solche Empfehlung nie gegeben. Wir haben lediglich darauf hingewiesen – und das ist ein wichtiges Ergebnis unserer Forschung – dass alle Projekt auf Dauer nur erfolgreich sein können, wenn sie auf die jeweilige Situation vor Ort, also in den Kommunen, adäquat reagieren. Das bedeutet unter anderem, die kommunalen Entscheidungsträger mit einzubeziehen und die bereits bestehenden Netzwerke vor Ort zu nutzen oder zu stärken.

Dann sind Sie also dagegen, dass die Verteilung der Fördergelder künftig nur über die Kommunen läuft?

Ich halte es zumindest nicht für sinnvoll. Ein Bürgermeister, der erstens erkannt hat und zweitens zugibt, dass er ein Problem mit Rechtsextremismus hat, wird mit dem Geld etwas Gutes tun. Wir haben aber nach wie vor viele Bürgermeister, die schlichtweg ignorieren, dass es Rechtsextremismus oder Demokratiedefizite in ihrem Bereich gibt. Und wir haben viele Bürgermeister oder Stadtverordnete, denen die Kompetenz und die Erfahrung fehlt, um mit den Fördermitteln sinnvoll umzugehen.

Und die Alternative?

Besteht darin, dass nicht nur die Kommunen, sondern vor allem auch die freien Träger künftig Fördergelder beantragen können. Dazu könnten sich Träger der Sozial- und Jugendarbeit oder auch Vereine zu einem Trägerverbund zusammenschließen.

Aber was ist mit den landesweit agierenden Projekten wie der Opferperspektive oder den Mobilen Beratungsteams?

Die könnten von den Ländern übernommen werden. Dass dies geht, zeigt Brandenburg, wo die Mobilen Beratungsteams entstanden sind und von jeher durch das Land finanziert werden. Aber auch der Bund oder Bund und Länder gemeinsam könnten die Finanzierung übernehmen.

Hatten Sie bei der wissenschaftlichen Begleitung nichts zu kritisieren?

Oh doch. Wir haben sogar eine ganze Menge kritisiert.

Zum Beispiel?

Zum Beispiel haben es die Mitarbeiter mancher Projekte am Anfang nicht verstanden, die Menschen vor Ort wirklich einzubeziehen. Im ersten Bericht 2003 hatten wir das bemängelt. Aber man muss auch sagen, dass viele Mitarbeiter der Projekte die Kritik zur Kenntnis genommen und gelernt haben.

Wenn man die Wahlerfolge der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, Teilen von Berlin und vor zwei Jahren in Sachsen sieht – kann man da wirklich vom Erfolg der Projekte gegen Rechtsextremismus sprechen?

Das kommt auf die Erwartungshaltung an. Die Projekte können ja nicht die Ursachen für den Rechtsextremismus – hohe Arbeitslosigkeit, moralische Verwahrlosungstendenzen und den Mangel an demokratischen Traditionen – beseitigen.

Was können sie dann?

Sie können und haben beispielsweise die Jugendlichen einer Stadt dazu gebracht, sich wieder für ihren Wohnort zu engagieren. Sie können Kommunalpolitiker dazu bringen, Rechtsextremismus in ihrem Bereich nicht länger zu leugnen. Und sie können vor allem den von rechtsextremen Gewalttaten Betroffenen helfen, das Geschehene zu verarbeiten. Und sich nicht isoliert zu fühlen beziehungsweise einem Klima der Angst ausgesetzt zu sein.

Das Gespräch führte Sandra Dassler

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