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Brandenburg: Erinnerung an Dolgenbrodt

Touristen lieben das verschlafene Dorf. Doch vor mehr als 20 Jahren brannte hier ein Ausländerwohnheim – wie jetzt in Tröglitz

Dolgenbrodt/Pätz - Der aus dem Iran geflüchtete 34-jährige Asylbewerber Mohammad Pirayesh weiß nichts über die Geschehnisse im Nachbarort Dolgenbrodt in Brandenburg. Am 1. November 1992 brannte dort ein Flüchtlingsheim. Einwohner hatten den Brandstifter bezahlt. Am nächsten Tag sollten dort 86 Asylbewerber aus Afrika einziehen.

Am Osterwochenende wurde in Tröglitz im Nachbarland Sachsen-Anhalt eine für Flüchtlinge gedachte Unterkunft in Brand gesetzt. Erinnerungen an die Ereignisse vor mehr als 20 Jahren in dem brandenburgischen Dorf werden jetzt wieder wach.

Pirayesh lebt seit fast einem Jahr in einem Flüchtlingsquartier in Pätz. In Dolgenbrodt, 20 Kilometer entfernt von Pätz, gibt es keine Unterkunft für Asylbewerber – es fehlen geeignete Räume. „Ich fühle mich sehr wohl“, sagt Pirayesh auf Englisch. Er deutet auf den von ihm bewohnten Teil eines kleinen Zwei-Mann-Zimmers, auf Schrank, Bett und Tisch. „Ich will hierbleiben“, ergänzt er in deutscher Sprache, die er jetzt lernt. Ob er von dem schrecklichen Brand in Tröglitz gehört hat? Pirayesh bleibt stumm. Auf Erklärungen, was dort passierte, reagiert er verständnislos.

Die Ausländerbeauftragte des Landkreises Dahme-Spreewald, Elke Voigt, denkt bei Tröglitz sofort an die Ereignisse 1992 in Dolgenbrodt. „Das kommt dann alles wieder hoch“, sagt sie. Damals sei die Angst der Brandenburger vor Ausländern greifbar gewesen. „Auch heute fragen sich viele, wie leben die, was wollen die hier“, berichtet Voigt. Diese Gefühle müssten ernst genommen werden.

In Dolgenbrodt gab es seinerzeit – das Ende der DDR war noch nicht lange her – massiven Widerstand gegen die Asylbewerber. Einwohner schrieben an den Landrat und warnten vor einem zweiten Rostock – in Anspielung auf den Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen. Der Brand in Dolgenbrodt beschäftigte jahrelang die Justiz. Am Ende wurde der Brandstifter – ein zur Tatzeit 22-Jähriger – zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Auch vier Hintermänner erhielten Bewährungsstrafen. Sie hatten dem jungen Mann rund 11 000 Mark (rund 5640 Euro) gezahlt.

In den ersten Jahren litt das Image des Dorfes mit etwa 230 Einwohnern. Heute spielt das mehr als 20 Jahre zurückliegende Ereignis keine Rolle mehr. In dem Dorf ist es tagsüber menschenleer, die kleine Gaststätte nicht geöffnet. Mit dem Frühling zieht aber nach und nach Leben in die Ferienwohnungen und -häuser ein.

Wochenendausflügler lieben die Landschaft. Die Ruine des abgebrannten Heims mitten im Wald ist für einen Fremden selbst bei gutem Willen nicht mehr zu finden.

Ob Flüchtlinge in Pätz über das Geschehen in Tröglitz diskutieren, vermag Heimleiterin Claudia Wussow nicht zu sagen. Sie denkt aber, dass Informationen rege ausgetauscht werden. Direkt ansprechen will sie ihre 150 Schützlinge aus zwölf Nationen nicht, um ihnen zusätzliche Sorgen zu ersparen. „Angst soll nicht geschürt werden“, sagt Wussow. Die Frauen, Männer und Kinder hätten schon genug erlebt. Alleingelassen sind die Flüchtlinge in Pätz nicht. Ehrenamtliche unterstützen sie bei der Kinderbetreuung, laden zu Gesprächsrunden ein, organisieren Spielabende oder ein Fußballturnier. „Es ist ganz konkrete Hilfe“, erzählt die 43 Jahre alte Heimleiterin. Es werde auch viel für die Bewohner gespendet. „Gefühlt haben sich eine Tonne Kuscheltiere angesammelt“, sagt sie. Die Sprecherin der Brandenburger Flüchtlingshilfe, Gabi Jaschke, hofft auf mehr Initiativen aus der Bürgerschaft, um Flüchtlinge in den Alltag des Ortes einzubinden. „Das muss selbstverständlich werden“, sagt sie. Die Bemühungen um Integration dürften nicht allein Ehrenamtlichen überlassen werden. Willkommenskultur brauche viele Partner. Der evangelische Pfarrer Franz Jaumann sieht auch die Kirche in der Pflicht. Erst im Januar übernahm er die zwei Jahre lang verwaiste Pfarrstelle. „Was wird gebraucht, wo können wir helfen“, will er jetzt erkunden.

Asylbewerber Pirayesh hofft indes auf Arbeit in seinem Beruf als Schwimmlehrer. Der Christ hat in einer Kirchengemeinde bereits eine neue Heimat gefunden. Das deutsche Wort „Willkommen“ will noch nicht so leicht über seine Lippen: „Ich muss üben.“ Gudrun Janicke

Gudrun Janicke

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