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Brandenburg: Erfolg auf alten Kanälen

Mit einem Kühlraum in Phöben hat Michael Kunzmann vor 23 Jahren begonnen. Heute beliefert seine Firma Spitzen-Restaurants in ganz Deutschland mit regionalen Spezialitäten

Von Matthias Matern

Berlin/Potsdam - Austern aus der Bretagne, Kaninchen aus Brandenburg und Trüffel aus Spanien. Gerade prüft Rainer Zielske eine Lieferung südamerikanisches Rindfleisch. Eingemummelt in seine hochgeschlossene Jacke öffnet er die einzelnen Verpackungen auf der Europalette und studiert die Etiketten der eingeschweißten Gourmetsteaks. Eine empfindlich kühle Brise zieht vom Lagertor herein. Das Thermometer in der Warenannahme der Firma Havelland Express in der Berliner Gottlieb-Dunkel-Straße zeigt knapp drei Grad Celsius an. „Das ist noch gar nichts im Vergleich zu dahinten“, sagt Zielske und zeigt grinsend auf die schweren Metalltüren im Hintergrund.

Rund 3000 Produkte aus aller Welt, darunter viele Erzeugnisse aus Brandenburg, warten im 2000 Quadratmeter großen Lager des Tempelhofer Food-Logistikers auf ihre Abnehmer aus der Spitzengastronomie – teilweise bei bis zu minus 25 Grad. Angefangen haben die zwei Firmenchef des Havelland Express, Michael Kunzmann und Horst Bernd Paech, vor rund 23 Jahren jedoch mit gerademal einem Tausendstel der heutigen Fläche, einem zwei Quadratmeter großen Kühlraum in Phöben (Potsdam-Mittelmark) – und einer Vision.

„Unsere Idee war es, die alten Versorgungskanäle für Berlin aus der Zeit von vor dem Zweiten Weltkrieg zu reaktivieren. Wir wollten den Produzenten im Osten dabei helfen, den Westen zurückzuerobern“, erzählt Kunzmann. Damals nach der Wende habe ja keiner mehr Ostprodukte gewollt, erinnert sich der heute 46-Jährige. „Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich damals mit einem Kaninchenzüchter aus Beelitz zusammensaß und er mir sagte, er wisse gar nicht mehr, was er machen soll.“ Kurzerhand machten sich Paech und Kunzmann mit einem gebrauchten Lieferwagen in Brandenburg auf die Suche nach besonderen regionalen Spezialitäten und warben bei Küchenchefs der Region für die Produkte aus dem Umland. Bereits 1995 knüpften die beiden Handelsbeziehungen zum bei Gourmets weltweit geschätzten Pariser Großmarkt. „Das war eine hochspannende Zeit. Natürlich sind wir auf dem Land zuerst auch auf viel Skepsis gestoßen. Doch das Vertrauen ist gewachsen und blieb in der Regel auch bestehen“, sagt der Westberliner Kunzmann. Viele der Produzenten der ersten Stunde gehören auch heute noch zum Stammkreis der Lieferanten. Etwa 25 Prozent der Waren aus dem Sortiment des Havelland Express stammen Kunzmann zufolge aus Brandenburg. Regionale Spezialitäten wie das Havelländer Apfelschwein, das Linumer Wiesenkalb oder Wild aus dem Fläming werden auf einer eigenen Seite auf der Homepage des Lebensmittelgroßhändlers besonders beworben.

Inzwischen beschäftigen Kunzmann und Paech 50 Mitarbeiter, machen jährlich einen Umsatz von rund 25 Millionen Euro. Rund 80 Lieferungen pro Tag kommen in der Gottlieb-Dunkel-Straße an. Zu den Kunden gehören zahlreiche Vier- und Fünf-Sterne-Hotels und diverse Botschaften. Von insgesamt rund 1000 Kunden spricht das Unternehmen. Der Havelland Express beliefert unter anderem das Hotel Kempinski in Berlin, das Hotel Bayrisches Haus in Potsdam und die US-amerikanische Botschaft in der Hauptstadt. 2004 eröffnete das Unternehmen zudem Büros in Prag und in Warschau. „Innerhalb von 24 Stunden liefern wir bis in die letzte Ecke Deutschlands, aber unser Schwerpunkt ist die norddeutsche Halbkugel“, sagt Kunzmann stolz.

Gerne würde er noch mehr Produkte aus Brandenburg in sein Sortiment aufnehmen. „Der Bedarf ist da. Die Kunden wollen einfach wissen, wo die Gurke herkommt, wie das Schwein aufwächst.“ Das Problem in Brandenburg seien aber die betrieblichen Strukturen. „Es gibt entweder nur Massentierhaltung oder Bio-Idealisten“, sagt Kunzmann. Letzteren fehle zumeist aber das unternehmerische Know-how. „Machen wir uns nichts vor, viele Betriebe in Brandenburg hängen doch am Tropf.“ In der Tierhaltung etwa sei der ganzheitliche Ansatz entscheidend, meint der Lebensmittellogistiker. „Ein gutes Filet und Koteletts können sie immer verkaufen. Aber was passiert mit dem Rest?“ Vor allem aber wünsche er sich mehr Obst und Gemüse aus der Region in seinem Sortiment. Doch im Berliner Umland werde häufig nur in Monokulturen angebaut, beklagt Kunzmann. „Ich brauche aber keine fünf Lkw voll Brokkoli, sondern Vielfalt.“ Die Ansprüche in der Gastronomie seien nun einmal anders als im Handel. Zudem gehe die Zahl der Gartenbaubetriebe immer mehr zurück. „Geeigneten Nachwuchs zu finden, ist für viele Betriebe ein Riesenproblem. Manche Nachfolger lassen sich lieber ein Windrad auf den Acker stellen, als Gemüse zu züchten.“

Regionalen Gemüsebauern dürfte es allerdings ohnehin schwerfallen, mit der Experimentierlust mancher Spitzenköche Schritt zu halten. So hat Kunzmann für seine Kundschaft etwa auch so ausgefallene Produkte wie Helianthi-Wurzel oder Oca-Wurzel, auch als Sauerklee-Wurzel bekannt, im Angebot. „Besonders im Trend liegen gerade Flower-Sprouts. Eine Hybridzüchtung aus Brokkoli und Grünkohl“, sagt der Firmenchef.

Der tägliche Umgang mit so vielen erlesenen Produkten ist auch bei Rainer Zielske nicht ohne Folgen geblieben, zumal auch in der firmeneigenen Kantine ausschließlich mit Waren aus dem Havelland-Express-Lager gekocht wird. „Man ist einfach verwöhnt, achtet zum Beispiel beim Einkaufen ganz anders darauf, was in den Wagen kommt“, bestätigt Zielske, der seit sechs Jahren im Unternehmen tätig ist. Während er noch die Palette mit Rindfleisch abarbeitet, zieht bereits ein verführerischer Duft von gebratenem Hühnchen und Thymian durch das Treppenhaus der Unternehmenszentrale.

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