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Angezählt. Für Brandenburgs Ministerpräsident und SPD-Landeschef Dietmar Woidke war die Absage der Kreisreform kein Befreiungsschlag. Nun hat er an neuen Fronten zu kämpfen – auch in der eigenen Partei.

© Hannibal/dpa

Ende der Kreisreform in Brandenburg: Wie Woidkes Macht zerrinnt

Nach dem Reform-Stopp: Ministerpräsident Dietmar Woidke sucht einen Weg aus der Krise. Doch selbst in der einst starken Landes-SPD ist nichts mehr wie es war. Und jetzt? Eine Analyse

Potsdam - Die Absage der verunglückten Kreisgebietsreform hat Brandenburgs rot-rote Regierung unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zugleich in eine schwere Krise gestürzt – in die schwerste seit der Landtagswahl 2014. Es sind dramatische Entwicklungen. Woidke sucht einen Ausweg. Nach dem Rücktritt von SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz ist es nicht ausgeschlossen, dass sich das Personalkarussell weiterdreht. Kann Woidke das alles überstehen, wieder in den Griff bekommen? Was ist los mit der SPD? Eine Analyse.

Woidke als Regierungschef geschwächt

Es war seine Reform. Nach dem Scheitern des wichtigsten Regierungsprojektes kann Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nicht zur Tagesordnung übergehen. Es geht um alles, auch für ihn. Für die Landtagssitzung ab 15. November hat Woidke eine Regierungserklärung dazu angekündigt, wie die Krise überwunden werden soll, was die rot-rote Koalition bis zur Landtagswahl 2019 noch schaffen will. Auch personelle Konsequenzen hat er nicht ausgeschlossen. Allerdings steckt Woidke in einem kaum auflösbaren Dilemma: Die Ablehnung der Kreisreform durch die „kommunale Familie“, durch Landräte, Bürgermeister und Kreistage, mit denen er die Absage begründet hat, hat identifizierbare Ursachen, konkrete Verantwortliche.

Es ist eine Folge von politischen, administrativen und kommunikativen Versäumnissen und Fehlern, von Innenminister Karl Heinz Schröter (SPD), der Koalition, von Woidke selbst. Eine Entlassung würde den Eindruck provozieren, einen „Sündenbock“ zu suchen. Hinzu kommen neue Schwierigkeiten und Risiken – wie der schneller nahende Ausstieg aus der Braunkohle oder die Dauerbaustelle des BER-Hauptstadt-Airports, wo weiterhin keine Eröffnung in Sicht ist. Und der neue gemeinsame Landesentwicklungsplan mit Berlin, der für viele Gemeinden Entwicklungschancen beschränkt, provoziert wieder Unmut. Viele Möglichkeiten im Krisenmanagement hat Woidke nicht. Eine wäre noch, im Landtag die Vertrauensfrage zu stellen.

Und wenn er stürzt, oder selbst die Konsequenzen zieht wie Stanislaw Tillich in Sachsen? In Brandenburgs SPD gibt es derzeit niemanden, der in der Lage wäre, ihn zu beerben, ob in Kabinett, Landtagsfraktion oder Partei. Bei vorgezogenen Neuwahlen hätte die CDU, mit Oppositionsführer Ingo Senftleben gut aufgestellt, gute Chancen, stärkste Kraft zu werden. Oder die AfD.

Das Minister-Problem

Innenminister Karl Heinz Schröter (SPD), Ex-Landrat von Oberhavel und damals Präsident des Landkreistages, ist mit seinem Brachialstil maßgeblich mitverantwortlich dafür, dass die Widerstände gegen die Reform immer größer geworden sind – und am Ende zu groß. Auch handwerklich gab es Defizite, mit den Entwürfen, verfehlten Terminen. Kann ein Kommunalminister einfach weitermachen, der eine geschlossene Ablehnung einer Kommunalreform durch Kreise, Städte und Gemeinden provoziert? In einer Presseerklärung hat Schröter jetzt die Absage der Reform unterstützt, die Überschrift war aber folgendes Schröter-Zitat: „Es ist richtig, die Reform neu aufs Gleis zu setzen.“ Hat da einer immer noch nichts verstanden?

Zugleich ist Schröter ein anerkannter, durchsetzungsstarker Polizei-Minister, und die Probleme der inneren Sicherheit verschärfen sich. Neue Turbulenzen kann die Polizei nicht gebrauchen. So stellte sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP) jetzt in einer Erklärung demonstrativ hinter Schröter: „Auch wenn der Regierungschef es nicht tut, wir als Gewerkschaft der Polizei sprechen unserem Innenminister unser vollstes Vertrauen aus.“ Wenn er zum Bauernopfer gemacht würde, so die GdP, wäre es die nächste Fehlentscheidung. Sollte Schröter von sich aus seinen Posten räumen, oder räumen müssen, liefe es höchstwahrscheinlich auf Staatssekretärin Katrin Lange - eine Woidke-Vertraute und Vize-Chefin der Landespartei - als Nachfolgerin hinaus. Allerdings trug Lange die administrative Verantwortung für die nun obsoleten Gesetzesentwürfe.

SPD Brandenburg in Erosion

Es ist frappierend, in welchem Tempo Entprofessionalisierung, personelle Auszehrung und Erosion der brandenburgischen Sozialdemokratie erfolgen, die als „Herzkammer“ der SPD in Ostdeutschland galt. Seit 1990 wurde sie hier bei Landtagswahlen stets stärkste Partei, stellte mit Manfred Stolpe (1990 bis 2002), Matthias Platzeck (2002 bis 2013) und nun Woidke den Ministerpräsidenten. Bei der letzten Bundestagswahl stürzte die SPD im Land auf Platz Drei hinter CDU und AfD ab. Und Woidke hat immer größere Mühe, die Reihen in Partei und Fraktion mit dem schwachen Chef Mike Bischoff geschlossen zu halten. Der Rücktritt von Generalsekretärin Klara Geywitz - die wie andere auch nach dem Anhörungsfiasko im Landtag noch die selbst die SPD spaltende Reform durchziehen wollte – bringt vor dem Parteitag am 18. November weitere Unruhe. Er darf als Absetzbewegung für die Zeit nach Woidke interpretiert werden. Für die Nachfolge hat er kaum Zeit und Auswahl.

Symptomatisch dafür, wie der innere Zusammenhalt in der SPD geringer wird, Entsolidarisierung zunimmt, war ein Auftritt von SPD-Landrat Gernot Schmidt, früher Fraktionsgeschäftsführer, im rbb-Fernsehen. Unmittelbar nach Woidkes Reform-Absage, die die Landräte – auch er – gefordert hatten, sagte er: „Ich bin natürlich sehr erstaunt, wie schnell politische Vorhaben im Land plötzlich in eine andere Richtung gehen. Das zeugt nicht von einer Zuverlässigkeit des Regierungshandelns und auch nicht von einer klaren Führung und Systematik.“ Viel fehlte nicht zu einer Rücktrittsforderung an den eigenen SPD-Regierungschef.

In Brandenburg ist Einiges ins Rutschen geraten. Man kann studieren, wie Macht zerrinnen kann.

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