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Unberechenbar. Innenminister Schröter mit zerlegtem Langzeitzünder.

© Bernd Settnik/dpa

Brandenburg: Eine Last für Generationen

Am Mittwoch wird in Oranienburg die 200. Bombe seit der Wende entschärft. Innenminister Schröter warnt vor Gefahr durch Selbstdetonationen

Oranienburg - Die Oranienburger werden noch über Jahrzehnte mit den Bombenblindgängern aus dem Zweiten Weltkrieg in ihrer Stadt im Norden Berlins leben müssen. Obwohl die Kreisstadt von Oberhavel in den vergangenen Jahren intensiv abgesucht und zahlreiche Bomben entschärft werden konnten, würden weitere 300 Bomben im Untergrund vermutet, sagte Brandenburgs Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) am Montag. Es handle sich um eine Generationenaufgabe. Am Mittwoch wird die 200. Bombe seit der Wende entschärft. Knapp 10 000 Menschen müssen dann ihre Wohnungen und Arbeitsstellen verlassen.

Besonders der Zustand der Bomben mit chemischem Langzeitzünder sei 70 Jahre nach dem Weltkrieg kritisch, durch die fortschreitende Verrottung drohten Selbstdetonationen. „Deshalb müssen wir weiter mit Hochdruck daran arbeiten, die Gefahren für die Bürger zu beseitigen“, sagte der Minister. Seit Ende des Weltkriegs habe es fünf Selbstdetonationen gegeben, Menschen kamen dabei zu Schaden. Von den bislang 199 entschärften Bomben waren 114 mit Langzeitzünder versehen. Allein 2016 wurden fünf Bomben entschärft. Wegen der wachsenden Gefahr arbeiten die Sprengmeister der Brandenburger Polizei seit 2010 nur noch mit einem ferngesteuerten Wasserstrahlschneider.

Die nun gefundene US-Bombe liegt in sieben Metern Tiefe in der Nähe eines Werks des Pharmakonzerns Takeda, unweit des Bahnhofs. Ziel der massiven Bombenangriffe der Alliierten war die Stadt wegen eines Eisenbahnknotenpunkts und der Auerwerke, wo die Amerikaner Anfänge des Baus der Atombombe vermuteten und wo heute Arzneien produziert werden. Die Alliierten hatten mehr als 10 000 Fünf- und Zehn-Zentner-Bomben über Oranienburg abgeworfen, auch wegen der Heinkel-Flugzeugwerke, eines Flughafens und mehrerer SS-Depots.

Wie besonders die Lage in Oranienburg ist, zeigt ein Blick auf die Kosten. Laut Innenministerium gab das Land von 1991 bis 2015 insgesamt 358 Millionen Euro für die Kampfmittelberäumung aus. Allein in Oranienburg sind davon 103 Millionen ausgegeben worden. Das sei mehr als alle anderen Bundesländer zusammen für ihre Bombenentschärfungen ausgegeben hätten, sagte Schröter. Brandenburg werde auch in diesem Jahr wieder rund vier Millionen Euro für die Bombensuche in Oranienburg aufwenden. „Das ist mehr als die Hälfte der Gelder für Sachmittel, die für diese Aufgabe landesweit zur Verfügung stehen“, sagte Schröter.

Auch für Oranienburg selbst wird die Lage zur Belastung – mit Folgen für die Entwicklung. „Diese Kriegslast ist für die gesamte Stadt und vor allem auch für die wirtschaftliche Entwicklung ein großes Hemmnis“, sagte Oranienburgs Vize-Bürgermeister Frank Oltersdorf. Die Stadt hat in diesem Jahr 2,6 Millionen Euro in Suche und Entschärfung der Bomben gesteckt, 2017 sind vier Millionen Euro eingeplant. Für die kommenden Jahre sind 150 Millionen Euro reserviert worden. Für Oltersdorf wären die Gelder im Bau von notwendigen Kindertagesstätten und Schulen besser angelegt. „Denn trotz der Bomben wächst Oranienburg“, sagte Oltersdorf. Zwar könne schneller gesucht werden, weil es neue Technik gibt: Neben dem ferngesteuerten Wasserstrahlschneider ist seit 2015 auch ein extrem starkes elektromagnetisches Suchgerät im Einsatz, das schon 28 Mal in Oranienburg gebraucht wurde. Allein 2016 konnten elf Verdachtspunkte abgeklärt werden, ohne dass die Bagger anrücken mussten. Dennoch steigen die Kosten jedes Jahr weiter, sagte Oltersdorf.

Immerhin will sich nun der Bund, der bisher nur für deutsche Weltkriegsmunition aufkam, stärker beteiligen. Bislang zahlte das Land allein. Von 2016 bis 2019 steuert der Bund erstmals 60 Millionen Euro bei – für Schröter nur ein erster Schritt. Alexander Fröhlich

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