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Brandenburg: „Eine Fortführung der alten Koalition wäre mir lieber gewesen“

Die Würfel sind gefallen, doch was halten Interessenvertreter, Sozialverbände und Gewerkschaften von der neuen Regierung?

Von Matthias Matern

Potsdam - Die neue rot-rote Landesregierung hat ihre Marschroute festgesteckt. Wer in welchem Ressort demnächst das Sagen hat, ist ebenfalls geklärt. Dabei wurden auch die Zuständigkeiten der Ministerien ordentlich durcheinander gewirbelt. In fast allen Bereichen müssen sich Interessenvertreter, Verbände, Gewerkschaften und gemeinnützige Vereine auf die Änderung einstellen.

FINANZEN

Thomas Lilienthal, stellvertretender Vorsitzender vom Bund der Steuerzahler Brandenburg, begrüßt zwar die beabsichtigten Einsparungen im öffentllichen Dienst, warnt aber vor möglichen Folgen. „Die Einsparungen dürfen nicht dazu führen, dass die Verwaltungen lahmgelegt werden.“ Er sei deshalb gespannt, wie sich der Stellenabbau in der Praxis auswirken werde.

WIRTSCHAFT

„Eine Fortführung der alten Koalition wäre mir lieber gewesen“, sagt Knut Deutscher, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Cottbus. Mit Ralf Christoffers (Linke) habe er aber kein Problem. „Er ist uns als sachkundiger Realpolitiker bekannt.“ René Kohl, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Potsdam, meint: „Die angekündigte Fortsetzung der Wirtschaftsförderstrategie sowie die überfällige Überprüfung der bestehenden Schwerpunktbranchen werden von uns begrüßt.“ Axel Wunschel, Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg hat ebenfalls keine Bedenken. „Ich glaube, Christoffers kann unideologisch denken und weiß, dass Wirtschaft ein scheues Reh ist.“ Er hoffe sogar auf neue Impulse für eine Fusion von Berlin und Brandenburg, da nun in beiden Ländern die gleiche Koalition regiert. Aus Sicht von Manfred Loos von der Gewerkschaft Verdi Berlin-Brandenburg, setzt Rot-Rot mit dem Stellenabbau im öffentlichen Dienst bereits „falsche Akzente“. Große Hoffnung habe er nicht, dass es zu einer arbeitnehmerfreundlicheren Politik im Land komme.

INNEN

Michael Peckmann, Gewerkschaftssekretär im Landesbezirk Brandenburg der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fordert ein Ende des Stellenabbaus: „Ein über 2012 hinausgehender Stellenabbau hat katastrophale Auswirkungen für die Innere Sicherheit im Land. Das zu verhindern, muss Hauptaufgabe des neuen Innenministers sein; auch wenn er vorher andere Positionen vertreten hat.“

WISSENSCHAFT, FORSCHUNG, KULTUR

Die Passagen zu den Hochschulen im Koalitionsvertrag stoßen auf Kritik. „Rot-Rot belässt es bei den verdeckten Studiengebühren, die offiziell Verwaltungsgebühren heißen. Damit begeht die Linke Wortbruch“, sagt Jürgen Stelter von der grünen Hochschulgruppe der Universität Potsdam. Über die Abschaffung der Zwangsexmatrikulationen werde kein Wort verloren. „Das ist das Gegenteil von sozial gerechter Wissenschaftspolitik.“ In dem Papier würden zudem Bundesfinanzen wie die Hochschulpaktmittel werden als eigene Erfolge gepriesen. Von der größten Hochschule des Landes kommt indes Zustimmung. „Erfreulich ist, dass die Regierungskoalition Hochschulen und Forschung weiter stärken und den Hochschulpakt zwischen Land und Hochschulen fortschreiben will“, sagt die Präsidentin der Universität Potsdam, Sabine Kunst. Positiv sei auch, dass die künftige Landesregierung kooperative Formen der universitären und außeruniversitären Forschung unterstützen will, auch in Exzellenzclustern.

INFRASTRUKTUR UND AGRAR

Michael Wimmer, Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg, findet den neuen Ressortzuschnitt „nicht glücklich“. Schließlich sei der Ökolandbau die „Schnittmenge von Landwirtschaft und Naturschutz“. Udo Folgart, Präsident des Landesbauernverbandes, fürchtet zudem, dass es wieder zu langen Diskussionen zwischen den Ministerien über den Naturschutz komme. Andererseits sei er erfreut, dass der Agrarbereich aus dem alten Ministerium erhalten bleiben solle. „Der Ressortzuschnitt ist egal“, findet dagegen Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbundes Brandenburg. Wichtig wäre, dass sich der neue Minister mehr vom Bauernverband emanzipiere.

BILDUNG, JUGEND, SPORT

„Für mich ist es ein gutes Zeichen, dass das alte Ministerium erhalten bleibt“, freut sich Andreas Gerlach, Hauptgeschäftsführer vom Landessportbund Brandenburg: „Bildung, Jugend und Sport gehören zusammen.“

GESUNDHEIT, NATUR-

UND VERBRAUCHERSCHUTZ

Axel Kruschat, Geschäftsführer des Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) in Brandenburg, ist froh, dass Landwirtschaft und Naturschutz nicht mehr unter einem Dach sind. „Früher wurden Probleme zwischen den Bereichen oft verdrängt.“ Auch eine Zusammenführung mit dem Thema Gesundheit mache Sinn. Dem schließt sich Tom Kirschey, Landesvorsitzender beim Naturschutzbund Deutschland (NABU) in Brandenburg an. Andererseits seien viele Fördermöglichkeiten für den Naturschutz an Agrarförderprogramme der EU gebunden, gibt er zu bedenken.

SOZIALES UND ARBEIT

„Der Paritätische begrüßt den im Koalitionsvertrag vereinbarten Ausbau der Kindertagesbetreuung“, lobt Andreas Kaczynski, Vorstandsvorsitzender des Landesverbandes Brandenburg beim Wohlfahrtsverband Der Paritätische. Die geplante Trennung der Ressorts Soziales und Gesundheit halte er dagegen für wenig zielführend, da man aus der Diskussion zur Entwicklung von Armut und Ausgrenzung um den Zusammenhang von Benachteiligung und Gesundheitsrisiken wisse, so Kaczynski.

JUSTIZ

„Ich erwarte mir von Rot-Rot mehr Offenheit gegenüber Überlegungen für mehr Eigenständigkeit der Justiz“, sagt Klaus-Christoph Clavée, Vorsitzender des Landesverbandes im Deutschen Richterbund. Volkmar Schöneburg kenne er aber nur als Verfassungsrichter. „Seine rechtspolitischen Vorstellungen kenne ich nicht.“ Matthias Matern

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