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Auf wichtigem Posten. „Staatskanzlei, Rübe.“ Anrufern ist Vera Rübe ein Begriff. Die Potsdamerin war eine Institution in der Landesregierung. Über viele Jahre organisierte sie die Termine in der Regierungszentrale, zuletzt im Wirtschaftsministerium.

© Andreas Klaer

Ein Treffen mit Vera Rübe: Im Vorzimmer der Macht in Brandenburg

Ob Tesla-Verhandlungen oder Marotten der Ministerpräsidenten und Staatskanzleichefs: Vera Rübe ist über die Vorgänge in der Landesregierung bestens informiert. Aber schweigen gehört zu ihrem Beruf.

Potsdam - Vera Rübe wusste natürlich längst Bescheid. Als die Geheimverhandlungen zwischen Tesla und dem Brandenburger Wirtschaftsministerium laufen, macht sie die Telefonate zwischen Konzernchef Elon Musk und Minister Jörg Steinbach (SPD) klar, koordiniert die Termine. Bei einem Abendessen mit der Familie kommt ihr 23-jähriger Enkel, ein Autofreak, auf die Elektro-Flitzer von Tesla zu sprechen. Da habe sie in sich hineingegrinst und gedacht: „Ach Junge, wenn du wüsstest...“

Denn selbstredend hat Vera Rübe nicht mal ihrem Enkel verraten, dass Tesla eine Ansiedlung in Brandenburg plant, in einer Gigafactory in Grünheide E-Autos vom Band rollen sollen. Der Coup wurde am 12. November öffentlich gemacht – die Wirtschaftsnachricht der vergangenen Jahre, eine Megaüberraschung. Nur ein enger Kreis war in die Pläne eingeweiht, nicht einmal das Nachbarland Berlin wusste, mit wem Brandenburg Gespräche führt. Vera Rübe schon. Aber kein Sterbenswörtchen kam über ihre Lippen. Alle hielten dicht. „Das hat ja mal richtig gut geklappt“, sagt sie zufrieden.

Die Tesla-Pläne sind das letzte große Geheimnis, das über den Schreibtisch von Vera Rübe ging. Nach 28 Jahren im Landesdienst geht die 65-Jährige in den Ruhestand. Die meiste Zeit ihres Arbeitslebens zog die gebürtige Schildaerin, die im Potsdamer Kirchsteigfeld wohnt, in der Staatskanzlei im Stillen die Strippen. Jürgen Linde, Rainer Speer, Clemens Appel, Albrecht Gerber – seit 1991 saß Vera Rübe als Chefsekretärin in der Regierungszentrale, hat einige SPD-Staatskanzleichefs kommen und gehen sehen. Als Albrecht Gerber 2014 als Minister ins Wirtschaftsministerium wechselt, nimmt er Vera Rübe, ihre Erfahrung und Diskretion mit.

Betriebsgeheimnis bleibt Betriebsgeheimnis

Nichts auszuplaudern sei ihr nie schwer gefallen. Bei der Sparkasse in Finsterwalde macht sie zu DDR-Zeiten eine Lehre zur Bankkauffrau. „Da wurde mir eingeimpft, dass ein Betriebsgeheimnis ein Betriebsgeheimnis ist.“ Als ihre Tochter 1973 geboren wird, die Krippe schon um 17 Uhr schließt, sie den Bankjob auf dem Land mit schlechten Busverbindungen nicht mehr gut mit der Familie vereinbaren kann, orientiert sie sich neu, kommt über eine Zwischenstation 1979 nach Potsdam, erst zum Amt für Forstwirtschaft, dann 1988 zum Backwarenkombinat in Potsdam, dort, wo heute das Porta-Möbelhaus steht. Vera Rübe arbeitet für den Kombinatsdirektor. Dann kommt die Wende. „Nach einem Jahr war alles vorbei“, sagt sie.

In einer Partei war sie nie, nicht vor und nicht nach der Wende. Aber Politik interessiert sie, Bürokräfte werden gebraucht. Sie bewirbt sich bei allen Ministerien – und kann in der Staatskanzlei anfangen. Zunächst unter Rainer Speer, der da noch Abteilungsleiter ist. Als Speer ins Umweltministerium geht, wechselt Rübe die Abteilung, wird die rechte Hand von „Käptn Bauer“, dem früheren Kapitän zur See Johann-Peter Bauer, der sich in Potsdam auch ehrenamtlich stark engagiert hat, etwa für den Wiederaufbau der Garnisonkirche.

Auch der Chef muss mal leiden

In der Staatskanzlei lassen unterdessen die Aufbauhelfer aus dem Partnerland Nordrhein-Westfalen nicht lange auf sich warten. Einen Schreibtest soll Vera Rübe machen, zeigen, wie schnell sie im Maschinenschreiben ist. Sie weigert sich. „Eure Schreibmaschinen haben auch keine andere Tastatur gehabt als unsere“, sagt sie zu der Personaldame aus dem Westen.

Dass sie Ansagen machen kann, auch gegenüber dem Minister, wenn der mal nicht ganz so flink die Unterschriftenmappe zurückbringt – dafür war Vera Rübe auch jetzt noch im Wirtschaftsministerium berüchtigt. „Ich bin da sehr hartnäckig“, räumt sie lächelnd ein, „da muss dann auch der Chef mal leiden.“

Der sogenannten „Anpassungsfortbildung“, die viele Brandenburger nach der Wende absolvieren müssen, kann sie sich allerdings nicht widersetzen. Recht, Buchführung – ein Jahr lang, einmal pro Woche werden die Ost-Mitarbeiter geschult. „Die haben uns doch tatsächlich erklärt, wie man einen Bleistift bestellt“, erzählt Rübe amüsiert. Was die ostsozialisierten Mitarbeiter in der Staatskanzlei schnell lernen: Die Uhren gehen jetzt anders. Während die Ost-Mitarbeiter morgens pünktlich auf der Matte stehen, gehen die NRW-Truppen erst mal eine Runde Tennis spielen. „Gegen 17 Uhr kamen sie dann vom Tennisplatz zurück, wenn wir dachten, jetzt ist Feierabend. Und dann mussten plötzlich noch gaaanz dringende Sachen erledigt werden.“ Und noch etwas erfährt Vera Rübe: Was es mit Karneval auf sich hat. „Während der tollen Tage brauchte man in Bonn gar nicht erst anzurufen, da ging nie jemand ran.“

Die Wahrheit dehnen

Einer hatte diese aus NRW importierte unpreußische Art des Zeitmanagements offenbar schnell verinnerlicht: Rainer Speer, der nach der Wende Abteilungsleiter und von 1999 bis 2004 Chef der Staatskanzlei war. „Der hatte ein dickes Fell“, sagt Vera Rübe. Da können sich die Akten in seinem Büro türmen – Speer in seinem typischen Hosenträger-Outfit bleibt gelassen, zündet sich erstmal eine Zigarre an, legt die Füße auf den Schreibtisch und dreht die Stereoanlage mit den gläsernen Boxen auf Anschlag. „Da haben die Wände in der Staatskanzlei gewackelt.“

Um ihre Chefs gut aussehen zu lassen, muss Vera Rübe die Wahrheit auch mal ganz sanft dehnen. Sie ist gerade im Urlaub, eine Kollegin koordiniert einen Termin für Staatskanzleichef Clemens Appel, Speers Nachfolger. Die Kollegin schickt Appel zur falschen Adresse. Der steht mitten in der Pampa, weiß nicht, wohin – und ruft in seiner Not Vera Rübe an, die den ersten Tag aus dem Urlaub zurück ist, von nichts weiß. Aber sie schaltet sofort, sucht die richtige Adresse raus, lotst Appel um – und greift zu einer klitzekleinen Notlüge. „Die Leute, die er treffen sollte, habe ich angerufen und gesagt, er stehe ihm Stau“, erzählt sie.

Wie das so ist mit dringenden Terminen, weiß Vera Rübe auch von ihrem Mann. Der war Fahrer bei der Landesregierung. Den Staatssekretär der früheren SPD-Sozialministerin Regine Hildebrandt hat er unter anderem gefahren. Da sei es schon mal vorgekommen, dass sich Hildebrandt und ihr Staatssekretär vor deren Haus in ein Auto setzten und ihre Dienstberatung fortsetzten – während die beiden Fahrer im anderen Wagen warteten, berichtet Vera Rübe. „Dann ist Frau Hildebrandt nach einer gefühlten Ewigkeit aus dem Auto gestiegen und hat gesagt: ,So, jetzt muss ich noch einen Frankfurter Kranz backen.’“

Ausgerechnet 2001, in jenem Jahr in dem Regina Hildebrandt den Kampf gegen den Brustkrebs verliert, ändert sich auch Vera Rübes Leben schlagartig. Eine Routineuntersuchung. Dann die Schockdiagnose: Brustkrebs. Manfred Stolpe schickt ihre eine Karte mit Genesungswünschen in die Klinik. Drei Jahre, bevor er seine eigene Krebsdiagnose erhält. „Ich war doch nur eine normale Mitarbeiterin“, sagt Vera Rübe. „Aber er hat an mich gedacht.“

Überhaupt „Papa Stolpe“. Von Brandenburgs erstem Ministerpräsidenten schwärmt sie noch heute. „Ein toller Mensch“, sagt sie. „Manchmal stand er einfach im Büro, um mit uns zu plauschen.“ Vorlagen, die ihm Mitarbeiter ausgearbeitet haben, gibt er nie ohne eine kleine, persönliche Anmerkung zurück – oder einen aufgemalten Smiley. Und Stolpes Nachfolger Matthias Platzeck (SPD)? „Der war auch freundlich“, sagt sie diplomatisch.

In elf Tagen wird Vera Rübe 66, der Krebs ist besiegt, „aber man kann nie sicher sein“, sagt sie und klopft dreimal auf den Tisch, jetzt, wo der Ruhestand beginnt, mehr Zeit bleibt für die Familie – und dafür, die Politik mit Abstand zu verfolgen, ohne Termindruck, Telefonate, Unterschriftenmappen. Natürlich werde sie weiterverfolgen, wie das denn so läuft mit der Tesla-Ansiedlung und der neuen Kenia-Koalition. Ihre Rolle als Geheimnisträgerin, als Organisatorin im Vorzimmer der Macht hat sie dabei noch nicht abgelegt. Über Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) sagt sie nichts Schlechtes. Vera Rübe antwortet einfach gar nicht auf die Frage, wie der amtierende Ministerpräsident denn so sei. Sie lächelt still in sich hinein und man ahnt, was sie gerade denkt: „Ach, wenn Sie wüssten ...“

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