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Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) und Oberhavel-Landrat Ludger Weskamp (SPD) bei der Pressekonferenz zum ersten Brandenburger Corona-Fall am 3. März 2020.

© Soeren Stache/dpa

Ein Jahr Coronakrise: Als das Virus nach Brandenburg kam

Am 2. März 2020 wurde der erste Corona-Fall in Brandenburg entdeckt. Seither gab es 76.548 Infektionen. Eine Rekonstruktion.

Potsdam - Ursula Nonnemacher lacht. Nicht vor Freude, sondern vor Überraschung. Zuvor hat Oberhavels Amtsarzt Christian Schulze auf Journalistennachfrage bestätigt, was Brandenburgs Grüne Gesundheitsministerin offenbar nicht wusste: Der Mann, der mit ihr bei der Pressekonferenz im Potsdamer Ministerium sitzt, hat gerade erst einen Corona-Test gemacht. Denn er kam von einer Reise aus Südtirol zurück. Wenige Minuten zuvor hatten Nonnemacher, Landrat Ludger Weskamp (SPD) und Amtsarzt Schulze Stellung zum ersten Brandenburger Corona-Fall genommen: Ein 51-jähriger Mann aus Hohen Neuendorf, der wie Schulze vom Skiurlaub zurückgekehrt war. Aus Südtirol, eines der am stärksten von Corona betroffenen Gebiete zu der Zeit. Am Abend vor der Pressekonferenz, am 2. März 2020, war bekannt geworden: Das Virus hat Brandenburg erreicht. 

Von einer Krise war zunächst nicht die Rede 

Ein Jahr und sechs Eindämmungsverordnungen später gibt es längst nichts mehr zu lachen für Ursula Nonnemacher. Mehr als 76.500 Menschen haben sich seit Beginn der Pandemie in Brandenburg mit dem Virus infiziert. In Oberhavel, wo seinerzeit der erste Fall entdeckt wurde, sind es 5656. Eine Entwicklung, die auch die Notfallärztin Nonnemacher, seit Herbst 2019 im Amt, zunächst nicht abgesehen hat. Ende Januar, in ihrem ersten Interview nach dem Amtsantritt, sagte die Grünen-Politikerin noch: „Momentan gibt es keinen Anlass zur Beunruhigung. Das Risiko, sich anzustecken, ist für Brandenburgerinnen und Brandenburger derzeit gering.“ Man müsse zwar damit rechnen, dass Einzelfälle aus China nach Deutschland kommen. Für den Ernstfall sei Brandenburg aber gut vorbereitet. Selbst bei der ersten Corona-Pressekonferenz – ohne Abstand, ohne Maske (die sind zu der Zeit noch gar nicht verfügbar) – wiederholt die Ministerin ihr Mantra aus den Anfängen des Jahres 2020: „Das ist nicht Ebola.“ 85 Prozent der Erkrankten hätten eher leichte Symptome. „Wir sollten Corona ernst nehmen, ich warne aber auch vor übertriebenen Ängsten.“ 

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Wenige Tage zuvor war Brandenburg das erste Mal in Alarmbereitschaft: Ein mit dem Virus infizierter Mann aus Nordrhein-Westfalen war im stets gut besuchten Baderessort Tropical Islands in Dahme-Spreewald mit 91 Mitarbeiter zu Gast. Dann Entwarnung: In den märkischen Tropen infizierte sich niemand.

Man müsse auch in Brandenburg mit weiteren Fällen rechnen, klar, von einer Krise wolle sie aber noch nicht sprechen, sagte die Ministerin nach Bekanntwerden des ersten bestätigten Falls. Deswegen sei auch der Krisenstab des Landes bislang nur in Vorbereitung, aber noch nicht im Einsatz. Am 6. März 2020 tritt der auf das Coronavirus aktualisierte Pandemieplan des Landes in Kraft. Der Zentrale Landes-Krisenstab, der sich in der Vergangenheit bei Jahrhundert-Hochwassern oder Großwaldbränden bewährt hat, wird erst eine Woche später aktiviert. 

Kurz darauf schlossen die Schulen 

Am 13. März meldet sich Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) nach einer Sondersitzung des rot-schwarz-grünen Kabinetts erstmals zur Wort, verkündet, dass Schulen und Kitas in wenigen Tagen geschlossen werden, mahnt zur Besonnenheit: „Keine Hamsterkäufe, Ruhe bewahren.“ Brandenburg bekommt langsam die Krise. Dieser Ablauf – Woidke und seine Stellvertreter Nonnemacher und Innenminister Michael Stübgen (CDU), oft auch Bildungsministerin Britta Ernst (SPD) – informieren in der Staatskanzlei über neue Corona-Regeln, wird zum Alltag.

Der erste Todesfall in Brandenburg 

Am 20. März 2020 schließlich: Brandenburg muss den ersten Todesfall im Zusammenhang mit Covid-19 beklagen. Wieder trifft es Oberhavel. Ein 81-jähriger, infizierter Mann mit schweren Vorerkrankungen stirbt im Klinikum Hennigsdorf. Mittlerweile nähert sich Brandenburg der Zahl von 3000 Corona-Toten. 

Die Todesfälle in Brandenburg: Stand 1. März 2021.
Die Todesfälle in Brandenburg: Stand 1. März 2021.

© PNN/ datawrapper

Am Anfang fehlt es, wie in allen Ländern, an allem: an Erfahrung und an Material, Beatmungsgeräten, Masken. Am 21. März 2020, einem Samstag, lädt das Ministerium eilig zu einem Vor-Ort-Termin: Die erste Lieferung mit 50.000 Atemschutzmasken für medizinisches Personal ist bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) in der Potsdamer Pappelallee angekommen. Sie gehen zuerst an die zu der Zeit 20 Abstrichzentren.

20. März 2020: Brandenburg bekommt die ersten 50.000 Atemschutzmasken.
20. März 2020: Brandenburg bekommt die ersten 50.000 Atemschutzmasken.

© Julian Stähle/dpa

Chaos beim Impfen 

Inzwischen sind es nicht mehr die Masken, die fehlen, sondern der Impfstoff oder besser: eine gute Organisation der Impfstoffverteilung. Als erste Brandenburgerin wird am 27. Dezember 2020 die 87-jährige Ruth Heise im Seniorenwohnpark des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in Großräschen im Kreis Oberspreewald-Lausitz geimpft. 

27.12.2020: Ruth Heise wird als erste Brandenburgerin gegen Corona geimpft. 
27.12.2020: Ruth Heise wird als erste Brandenburgerin gegen Corona geimpft. 

© Fabrizo Bensch/dpa

Doch dann geht es nicht recht voran: Gleich in der ersten Woche ist die zentrale Hotline überlastet, viele Senioren versuchen vergeblich, einen Impftermin zu bekommen. Insgesamt kommt Brandenburg beim Impfen langsamer voran als andere Länder. Am Sonntag lag die Quote laut dem Robert-Koch-Institut bei 4,1 Prozent (Berlin: fünf Prozent) – das ist der letzte Platz im Bundesvergleich. Der Eindruck: Chaos, Lähmung. Die zunächst wegen ihrer Ruhe, Fachkompetenz viel gelobte Krisenmanagerin Ursula Nonnemacher gerät zunehmend unter Druck. Einer der Hauptkritikpunkte, auch hinter den Kulissen im Kabinett: Unverständnis darüber, warum die Ministerin das Impfen über die KVBB, einen eher schwerfälligen Verband, organisieren ließ. 179 020 Corona-Schutzimpfungen wurden bisher durchgeführt, in einem Land mit 2,5 Millionen Einwohnern und hohem Seniorenanteil, 7,8 Prozent der Bevölkerung ist 80 Jahre und älter.

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Impf-Beauftragter soll Abhilfe schaffen 

Nun, zum 1. März hat das Land die Organisation der Impfungen selbst übernommen: Der frühere Sozialdezernent von Dahme-Spreewald, Carsten Saß, soll als Projektleiter das Impfen beschleunigen, die Beschlüsse des Lenkungsgremiums ausführen, in dem Landesregierung, Kassenärztliche Vereinigung, Rotes Kreuz, Krankenhausgesellschaft und Kommunen vertreten sind. Am Freitag verschickte das Land die ersten Briefe mit Impfeinladungen an die über 85-Jährigen, zudem ist es nun endlich möglich, online Impftermine zu buchen. Die Hausärzte sollen in dieser Woche in einem Pilotprojekt beim Impfen mit einsteigen, Erzieher und Grundschullehrer Termine vereinbaren können – nachdem die Kitas im zweiten Lockdown nie ganz geschlossen waren, die Grundschulen seit einer Woche wieder offen sind.

Während die AfD von Anfang an querschießt, die Pandemie kleinredet und mit der Einsetzung eines Landtags-Untersuchungsausschusses zur Corona-Politik Behörden, die mit der Pandemie-Bekämpfung genug zu tun haben, durch Ausschussarbeit ausbremst, hat auch die oppositionelle Linke ihre anfängliche Zurückhaltung abgelegt. Sie kritisiert nun unverhohlen den schwerfälligen Kurs der Kenia-Regierung, etwa was den aus ihrer Sicht unzureichenden Gesundheitsschutz von Lehrern und Schülern angeht. Nach einem Jahr Corona lacht in Brandenburg niemand mehr, nicht mal vor Überraschung. 

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