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Ein Kranich fliegt am frühen Morgen zum Sonnenaufgang über die neblige Landschaft.

© ZB

Ein Garten als Kinderstube: Die unfreiwilligen Kranicheltern

Kraniche haben in diesem Jahr in Brandenburg wenig Nachwuchs. Schuld ist die Trockenheit - es fehlen geeignete Brutplätze und Nahrung. Und manchmal ist auch falsch verstandene Tierliebe ein Problem.

Greiffenberg - Leise piepsend staksen drei halbwüchsige Kraniche durch den Garten von Beate Blahy und Eberhard Henne in der Nähe von Greiffenberg in der Uckermark. Nichts ist vor den Schnäbeln der neugierigen Vögeln sicher - Fußmatten, Eimer, Gartengerät. Die drei, die als wenige Tage alte Küken zu ihnen kamen, sind „aus dem Gröbsten raus“, wie der ehemalige Brandenburger SPD-Umweltminister Henne es formuliert. Die beiden älteren, knapp vier Monate alten Kraniche fliegen tagsüber bereits auf die angrenzenden Felder, haben sich aber noch nicht komplett ihren wilden Artgenossen angeschlossen. Mittags und abends kommen sie noch immer zu ihren Menschen-Eltern zurück.

Henne und Blahy sind seit Jahren engagiert in der Arbeitsgemeinschaft Kranichschutz. Sie hoffen, dass sich die Tiere zum Abflug in die Winterquartiere dem Vogelzug anschließen. Willi, ein Monat jünger, ist nicht nur das Nesthäkchen, sondern auch das Sorgenkind auf dem Hof. „Er ist auf den Menschen geprägt, sieht sich selbst nicht als Kranich“, erzählt Blahy. Eine Auswilderung wird bei ihm wohl nicht gelingen. Er hat in freier Natur keine Chance.“ Gemeinsam mit ihrem Mann hat die langjährige Mitarbeiterin des Biosphärenreservates Schorfheide-Chorin bereits sieben Kranichküken aufgezogen, bei vier gelang die Auswilderung.

Ein junger Kranich, der von der Tier- und Naturschützerin Beate Blahy aufgezogen wird.
Ein junger Kranich, der von der Tier- und Naturschützerin Beate Blahy aufgezogen wird.

© ZB

„Die Elterntiere fliegen weg, die Jungen bleiben zurück“

Zu Kranicheltern werden die beiden Naturschützer im Ruhestand nur unfreiwillig. „Es ist immer das Gleiche. Passanten finden so ein laut piepsendes Küken, denken es ist verlassen und sammeln es ein“, erzählt Blahy. Dabei seien die Elterntiere nur auf Futtersuche. Und die führt die Kraniche auch mal etwas weiter weg, gerade jetzt, wo die lange Trockenheit das Nahrungsangebot verringert hat. „Ältere Jungtiere haben gelernt, sich während sie allein bleiben zu verstecken. Erst wenige Tage alte Küken können das noch nicht.“ Zudem habe die Coronakrise dazu geführt, dass sich viele Menschen häufiger in der Natur aufhalten und die Vögel stören. „Die Elterntiere fliegen weg, die Jungen bleiben zurück“, sagt sie.

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Ihre Schützlinge stammen aus unterschiedlichen Ecken Mecklenburg-Vorpommerns sowie aus dem Oderbruch. Das Vogel-Trio in Menschenobhut ist in diesem Jahr kein Einzelfall. Auch in der Naturschutzstation Woblitz bei Lychen in der Uckermark wurden zwei Küken abgegeben. Von zwei weiteren Fällen wissen die Uckermärker aus Schleswig-Holstein. Sie appellieren angesichts dieser Häufung von Vorfällen eindringlich, Kranich-Jungtiere in der Natur zu lassen. „Ansonsten verbaut ihnen der Mensch aus falsch verstandener Tierliebe womöglich ein artgerechtes Leben“, sagt Blahy.

Falsch verstandene Tierliebe trifft auch andere Arten

Christiane Schröder, Geschäftsführerin des Naturschutzbundes Brandenburg (Nabu), sieht darin einen Trend, aufgrund der zunehmenden Entfremdung des Menschen von der Natur. „Sie kennen ökologische Kreisläufe nicht mehr, wissen daher nicht, dass Vögel, die das Nest verlassen, bevor sie flügge werden, von ihren Eltern auch weiterhin gefüttert werden“, sagt Schröder. Die falsch verstandene Tierliebe betrifft ihren Erfahrungen nach auch andere Arten wie Rehkitze, junge Eichhörnchen oder Hasen. „Jetzt im Herbst beginnt wieder die Igelsaison. Dabei kommen die Tiere auch ohne unsere Hilfe zumeist gut durch die milden deutschen Winter“, macht Schröder deutlich.

Kraniche haben in Brandenburg in diesem Jahr wenige Nachwuchs.
Kraniche haben in Brandenburg in diesem Jahr wenige Nachwuchs.

© ZB

Während der Garten der beiden Kranichexperten zur Kinderstube für Europas größte Vogelart geworden ist, sieht es in freier Natur anders aus. Das Anwesen von Blahy und Henne liegt inmitten eines 23 Quadratkilometer großen Gebietes, in dem der Vogelflug überwacht wird, seit Jahrzehnten stark frequentiert von Kranichen. Im Herbst sammeln sich große Gruppen auf den Feldern vor dem Abflug in den Süden. In diesem Jahr hingegen sind kaum Kraniche zu entdecken. Und der Nachwuchs fehlt. „Die anhaltenden Dürre im Nordosten Brandenburgs hat zu einem flächendeckenden Austrocknen der Brutplätze geführt. Von den 25 Brutpaaren, die wir anhand ihrer Beringung identifizieren können, hat keines Küken großgezogen“, erläutert Blahy.

Deutlich weniger Jung- und Altvögel

Normalerweise betrage der Anteil der Jungvögel in den Gruppen 10 bis 15 Prozent, sagt Michael Modrow, in der AG Kranichschutz zuständig für Beringung und Brutplatzbetreuung in Brandenburg. „In diesem Jahr sind wir in Brandenburg gerade noch bei 5 Prozent.“ Kraniche bevorzugen Nist- und Schlafplätze im flachen Wasser, um sich vor Feinden wie Fuchs, Wildschwein oder Marderhund zu schützen. 

Die Quartiere sind ausgetrocknet, selbst Moore, die normalerweise auch in großen Hitzeperioden feucht bleiben. Insekten, Würmer und Käfer gebe es aufgrund der Trockenheit ebenfalls weniger. „Die Jungkraniche verhungern regelrecht“, sagt Modrow. Im Vergleich zum Vorjahr habe er in diesem Jahr auch 30 Prozent weniger Altvögel der sehr standort- und reviertreuen Kraniche in der Mark entdeckt. „Erwachsene Tiere mausern alle drei Jahre, verlieren dabei alle Schwungfedern. Sie können für sechs Wochen nicht fliegen und werden zur leichten Beute“, macht er deutlich. (dpa)  

Jeanette Bederke

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