zum Hauptinhalt
Wie ein Detektiv. Archivar Nicky Rittmeyer im Magazin des Film- und Medienkunstarchivs der Akademie der Künste.

© Mike Wolff

Brandenburg: Ein Beruf für die Ewigkeit

Am morgigen Samstag wird in Berlin und Brandenburg der „Tag der Archive“ begangen Zu Besuch bei einem, der immer wieder echte Schätze hebt – und für den sein Job eine Berufung ist

Berlin - Archivare tragen graue Hemden. Archivare tragen graue Hemden und Brillen. Archivare tragen graue Hemden, Brillen und braune Aktentaschen. Ihr Alter ist fortgeschritten, sie sitzen in staubigen Büros, hinter vergilbten Dokumenten und ledergebundenen Büchern. Im Schein von Neonleuchten. Nicht?

Nicky Rittmeyer ist 38, trägt sportliche Schuhe, eine bordeauxfarbene Jacke – und brennt für seine Sache. Er arbeitet im Film- und Medienkunstarchiv der Akademie der Künste am Robert-Koch-Platz in Berlin-Mitte. Der Fokus liegt hier auf Film- und Medienschaffenden des Fernsehens und auf Künstlern, die nach 1933 ins Exil fliehen mussten. Mit ruhiger Stimme, aber ambitioniert erzählt Rittmeyer von seiner „keinesfalls verstaubten Tätigkeit“. Wie sein Berufsstand arbeitet, können Interessierte am Samstag in zehn Berliner und sieben Brandenburger Archiven erfahren.

Die Liebe zum Film hat Nicky Rittmeyer ins Archivwesen gebracht. „Das Schönste ist, dass ich in meinem Berufsalltag immer wieder überrascht werde“, sagt er. Ein Beispiel? „Rudolf Arnheim.“ Der jüdischstämmige Filmkritiker schrieb ab Mitte der 20er-Jahre für „Die Weltbühne“. Er emigrierte in den 30er-Jahren und lehrte ab 1942 in New York an der New School for Social Research und am Sarah Lawrence College. Ein Teil seines Nachlasses liegt im Archiv der Akademie der Künste. Was Rittmeyer überraschte? Die Archivare fanden heraus, dass eine von Arnheims Studentinnen Yoko Ono war – die später John Lennon heiratete.

„Nicht der Historiker macht Geschichte, sondern der Archivar“, sagt Rittmeyer und schmunzelt. Ohne ihn würden Originaldokumente und Quellen als Zeugen der Zeitgeschichte verloren gehen. Allerdings gibt es den Archivar als solchen gar nicht. Vielmehr handelt es sich um einzelne Spezialgebiete wie eben Film, zu denen er und seine Kollegen jeweils ein fundiertes Wissen brauchen.

Ein Film ist ein eigener Kosmos. „Eine kollektive Kunst“, schwärmt Rittmeyer. Ein Gemeinschaftsprodukt, bei dem Menschen aus unterschiedlichen Sparten zusammenkommen und ihr Wissen und Können in einem Werk bündeln. Und genau dies spiegelt das Film- und Medienkunstarchiv wieder. Es umfasst ein breites Spektrum an Vor- und Nachlässen von sowohl lebenden als auch toten Schauspielern, Regisseuren, Szenenbildnern, Filmkritikern – die Liste ist schier unendlich. Denn: „Wir müssen etwas tun, um auch weniger bekannte Künstler vor dem Vergessen zu bewahren.“

Im Magazin acht riecht es wie in manchen Bibliotheken oder Antiquariaten. Ein bisschen alt, nach Papier und Metall. Neonröhren an der niedrigen Decke, in der Mitte ein schmaler Gang, rechts und links verschiebbare, tatsächlich mausgraue Regale. Rittmeyer dreht an einem Rad. Zwei neue Reihen, vollgestopft mit Ordnern, Boxen und Filmrollen kommen zum Vorschein. Rechts an der Wand neben dem Eingang hängt eine Liste mit Namen. Sie beginnt mit: Adorf, Mario. Links, am zweiten Regal, hängt eine Tabelle. In sieben Feldern steht der Name Adorf.

Diese Sammlung besteht hauptsächlich aus Fotos. Allerdings nicht nur aus Fotos, die Adorf am Set zeigen, sondern auch aus Bildern, die er selbst aufnahm. Als Adorf 1965 im US-Western „Sierra Charriba“ mitspielte, fotografierte er in Mexiko Senta Berger in der Drehpause, Richard Harris auf einem Stuhl. „Das Bemerkenswerte hier sind jedoch die Fotos von der mexikanischen Bevölkerung vor Ort“, sagt Rittmeyer, „Motive, für die Hollywood sich gar nicht interessiert hat.“ Er holt einen Fotoband heraus. Aufnahmen in warmen Erdtönen, von Kindern, die Tücher um die Haare gebunden haben und schelmisch in die Linse schauen. Von älteren Männern mit Strohhüten. „Das ist etwas, was man von Adorf nicht kannte“, sagt Rittmeyer.

Das Film- und Medienkunstarchiv ist eines von sechs Archivabteilungen der Akademie der Künste. Sie arbeiten spartenübergreifend. Denn Künstler sind selten nur in einem einzigen Bereich aktiv. Neben Film- und Medienkunst gibt es die Abteilungen Bildende Kunst, Baukunst, Musik, Literatur und Darstellende Kunst. Insgesamt zwölf Kilometer lang sind die Regale voller Archivalien. Die Bestände werden inhaltlich erschlossen, strukturiert, online katalogisiert – und manchmal auch ausgeliehen: zum Beispiel an das Museum of Modern Art in New York.

Nicky Rittmeyer arbeitet derzeit am Bestand von Wera und Claus Küchenmeister – Schriftsteller und Drehbuchautoren, für ihre Staatsnähe in der DDR bekannt. Zudem ist er an einer Publikation über Regisseur Karl Fruchtmann beteiligt, der wegen seiner jüdischen Wurzeln emigrieren musste. Der Archivar will Transparenz schaffen, Zusammenhänge aufzeigen, recherchiert dafür in Filmlexika, in Datenbanken, erkundet unbeschriftete Fotos wie ein Detektiv. Wer sind die Personen darauf? Um welchen Film handelt es sich, wann wurde er gedreht? Aber er befasst sich auch mit aktuell tätigen Künstlern. Als Archivar müsse er auch „in die Zukunft orakeln“. Dabei fragt er sich: Wer hat das Potenzial, künftig relevant zu sein?

Die größte Herausforderung ist derzeit die Digitalisierung. Viele Dokumente entstehen nur noch digital. Wie erhält man sie lesbar? Probleme machen beispielsweise Mac-Disketten aus den 1990ern. Macs von heute können diese nicht mehr lesen. IT-Wissen wird immer wichtiger, sodass sich die klassische Ausbildung wandelt. „Der Bewahrungsanspruch der Archive prallt auf die Vergänglichkeit und unendliche Inhalte der modernen Technik.“ Es drohen Überlieferungslücken. „Nichts ist für die Ewigkeit“, sagt Rittmeyer, „auch nicht in unseren Archiven.“ So nah wie möglich aber will er der Ewigkeit kommen.

Sieben Archive im Land Brandenburg laden am Samstag zu einem Blick hinter ihre Kulissen ein (www.tagderarchive.de); in Berlin öffnen zehn Archive ihre Türen (www.berlinerarchive.de)

Anna Ehlebracht

Zur Startseite