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Keine Komplett-Eröffnung. Der Pannen-Flughafen BER bei Berlin soll so schnell wie möglich starten. Airport-Chef Hartmut Mehdorn will deswegen schrittweise vorgehen.

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: „Eigennützige Wutbürger“

Flughafensprecher Ralf Kunkel unterstellte BER-Gegnern in einem Vortrag, die Vernunft der Mehrheit zu blockieren. Nun gerät er selbst in die Kritik

Schönefeld - Seit 2006 leitet Ralf Kunkel die Pressestelle der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH. In einer Ehe würde man vom verflixten siebten Jahr sprechen, in dem sich bekanntlich viele trennen. Nicht so Kunkel. Seinen Job, der angesichts der Pannenserie des künftigen Großflughafens BER in Schönefeld nicht beneidenswert ist, sieht er nach wie vor als große Herausforderung an. Dass seine Arbeit manchmal frustrierend sein kann, kam dem 44-jährigen Franken bisher nie über die Lippen. Doch jetzt trifft Kunkel Kritik, weil er auf einer Veranstaltung des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft Ende Februar die Gegner des Flughafens und von Fluglärm unter anderem als „eigennützige Wutbürger“ und „radikale Egoisten“ bezeichnet haben soll.

Thema des Vortrags, der jetzt öffentlich wurde und Einblick in die Haltung der BER-Spitze gegenüber Kritikern gewährt, war die Krisenkommunikation am BER. Deren Anteil an der Pressearbeit verdoppelte sich im Vergleich zu den Vorjahren auf 70 Prozent im Jahr 2012, als am BER die Eröffnung platzte, die Kosten explodierten und die Arbeiten zum Erliegen kamen.

Kunkel vertritt in dem Vortrag die These, dass Großprojekte in Deutschland fast nicht mehr möglich seien: „Wir steuern geradewegs in die blockierte Republik.“ Und: Der „Eigensinn des radikalen Egoisten“ blockiere die „Vernunft der Mehrheit“. Den meisten Wortführern gehe es um „Beschaulichkeit in Vororten, nicht um mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung“. Außerdem seien es nicht nur „hehre Ziele wie die Stärkung von Bürgerrechten oder der Schutz seltener Käfer, die die Bürger antreiben. Meist sind es ganz profane persönliche Motive. In den meisten Bürgerinitiativen geben Immobilien- und Hausbesitzer den Ton an. Die Sorge um die Wertminderung des eigenen Grund und Bodens ist eine maßgebliche Antriebsfeder des Protests“.

Ralf Kunkel ist sich klar darüber, dass es in einer Demokratie legitim ist, die eigenen Interessen zu vertreten. „Bürgerbeteiligung ist sehr wertvoll, wie die Flugroutendiskussion eindrücklich gezeigt hat“, sagte Kunkel dieser Zeitung. „Aber manchmal gerät leider der Blick aufs Ganze in den Hintergrund: Der Flughafen BER ist bei allen Problemen das wichtigste Zukunftsprojekt für mehr Arbeitsplätze und weniger Fluglärm in unserer Region.“ Ausführlicher wollte sich der Flughafensprecher nicht äußern, auch nicht zu seiner auf der gleichen Veranstaltung geäußerten Kritik an Politikern und Medien.

In dem Vortrag heißt es, populistische Politik sei versucht, den „Lautsprechern“ der Wutbürger nachzugeben. Was er genau damit meinte, ist unklar. Zuletzt war der Aufsichtsratschef, Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), den Nachtfluggegnern entgegengekommen. Der Grund war die erste erfolgreiche Volksinitiative in Brandenburg, die eine komplette Nachtruhe am BER von 22 bis 6 Uhr forderte und vom Landtag angenommen wurde. Was angesichts der Lage am BER nachvollziehbar erscheint, ist Kunkel dagegen ein Groll. „Der Airport ist vollständig politisiert und aufgrund seiner Größe viel zu präsent, um in der Krise nicht dauernd von allen möglichen Seiten attackiert zu werden“, heißt es in Kunkels Vortrag. In diesem Fall gehe es nur noch darum, „dem politischen Gegner zu schaden. Sachargumente treten in den Hintergrund“. Im Klartext: Auch die Parlamente der Geldgeber sind demnach ein Problem in der Krisenkommunikation. konkret der Untersuchungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses, die verschiedene Ausschüsse auch im Brandenburger Landtag und im Bundestag, und obendrein die parlamentarischen Anfragen aus allen drei Parlamenten.

Bemerkenswert ist auch Kunkels Blick auf die Medien, die maßgeblich Mängel und Pannen beim BER nach der geplatzten Eröffnung im Mai 2012 aufgedeckt hatten. Schließlich ist der Flughafen in öffentlicher Hand, er gehört den Ländern Brandenburg, Berlin und dem Bund, es geht auch um Steuergelder für das Projekt, dessen ursprünglicher Kostenrahmen längst gesprengt ist. Kunkel dagegen beklagt, die Medien „spielen brav mit – der Quote und Auflage wegen“, wenn Kritiker Vorgänge, die Jahrzehnte zurückliegen, skandalisieren. Die Boulevardisierung schreite unaufhaltsam voran, im Zweifelsfall würden die Medien voneinander abschreiben und sich in Spekulationen gegenseitig überbieten. „Und sie wollen Köpfe rollen sehen.“ Kunkel gibt daher trotz des Transparenzversprechens von Aufsichtsratschef Platzeck und BER-Geschäftsführer Hartmut Mehdorn als Strategie aus: „Klare Kante zeigen.“ Vor-Ort-Pressetermine sollten nur restriktiv und anlassbezogen abgehalten, Gerüchten und Falschmeldungen soll entschieden entgegengetreten werden. Und bei Abgeordnetenbesuchen sollen Journalisten nicht dabei sein.

Letztere hatten in den vergangenen Tagen befremdet auf die „neue Informationspolitik“ reagiert. Mehdorf hatte am 1. Mai die Arbeitsgruppe „Sprint“, die sich um die beschleunigte Fertigstellung des BER kümmern soll, zum Auftakttreffen bestellt. Journalisten waren nicht zugelassen, stattdessen wurde eine knappe Pressemitteilung verfasst, drei Fotos verschickt und ein PR-Video nachgeschoben. Solche Videos für soziale Medien zu erstellen, ist nach Kunkels Ansicht eine Standardaufgabe moderner Pressearbeit. Auf die Vorhaltung, dass Journalisten keine vorgefertigten Informationen mögen und nachfragen wollen, sagte er: „Der Auftakt zu Sprint war schlichtweg ein interner Termin der Flughafengesellschaft.“ Ansonsten sei man immer offen für Fragen und Herr Mehdorn stark an Kommunikation und Transparenz interessiert.

Andere sehen das eher als Versuch, Probleme zu beschwichtigen. Der Verein Neue Aktion des Flughafengegners Ferdi Breidbach, der Kunkels Vortrag ins Internet stellte, erklärte: „Jeder, der nicht beim Anblick des BER-Baumurkses Glory, Glory Halleluja anstimmt, ist also ein Egoist, der nur an seine Vorgartenidylle denkt und nebenbei die Wirtschaft ruiniert.“ Matthias Schubert, Sprecher der Bürgerinitiative gegen Fluglärm in Kleinmachnow und maßgeblich am Erfolg des Volksbegehrens für ein Nachtflugverbot und den erfolgreichen Klagen gegen nicht im BER-Planfeststellungsbeschluss vorgesehene Flugrouten beteiligt, sagte zu Kunkels Äußerungen zum Bürgerprotest, politisches Engagement rühre immer aus Betroffenheit her. Das zeige sich auch im Schallschutz-Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg (OVG), das den systematischen Verstoß der Flughafengesellschaft gegen die Lärmschutzvorgaben für BER-Betroffene gerügt hatte. „Wenn jemand aus reinem Eigennutz handelt und auf unfaire und undemokratische Weise seine Interessen voranbringen will, dann ist es der Flughafen.“ Kunkel benehme sich „wie ein wilder Schwinger im Zustand der Verzweiflung“, der wild um sich schlage. „Es ist im Kern undemokratisch, was er da sagt. Niemand darf denunziert werden, nur weil er seine Interessen vertritt.“

S. Daßler und A. Fröhlich

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