zum Hauptinhalt
Streitbar. Jürgen Schönnagel musste oft für seine WG-Idee kämpfen.

© privat

Brandenburg: Ehrung für Gründer der Knacki-WG

Jürgen Schönnagel bekommt für Anti-Sucht-Projekt in der JVA Brandenburg Verdienstmedaille des Landtags

Potsdam - Es ist eine Wohngemeinschaft der besonderen Art: 19 Häftlinge leben in der JVA Brandenburg/Havel getrennt vom normalen Strafvollzug auf einem separaten Flur zusammen. Was klingen mag wie Kuscheljustiz, ist ein deutschlandweit einmaliges, seit vielen Jahren erfolgreiches Projekt der christlichen Suchtkrankenhilfe „Blaues Kreuz“. Denn die Räuber und Mörder, teils mit rechtsradikalem Hintergrund, die hier zusammen leben, kochen, reden haben eines gemeinsam: Sie haben unter Drogeneinfluss schwere Straftaten begangen.

In der WG sollen sie lernen, nach der Entlassung ein sucht- und straffreies Leben zu führen. „Es ist Schwerstarbeit für ein WG-Mitglied, das nie über sich selbst respektive sein Fehlverhalten nachdachte, jetzt mit einer Intensität sein Leben aufarbeiten zu müssen“, sagt Jürgen Schönnagel. Der Babelsberger, der die therapeutische Wohngruppe 1992 gründete und bis Oktober 2017 ehrenamtlich leitete, ist wie berichtet für sein Engagement am Freitag mit der Verdienstmedaille des Landtags Brandenburg ausgezeichnet worden.

„1990, in der spannenden Zeit der Wende, machte Jürgen Schönnagel den sonderlichen Vorschlag, für Straftäter mit einer Alkoholproblematik eine besondere Abteilung einzurichten“, heißt es in der Laudatio des Linken-Landtagsabgeordneten Andreas Bernig. Der „sonderliche Vorschlag“ wurde dank Schönnagels Hartnäckigkeit umgesetzt. „Ich bin Christ, gerne streitbar“, sagt der 73-Jährige, „ich lasse mich nicht verbiegen.“ Schließlich hatte er selbst Knasterfahrung als politischer Häftling, war, bevor er zum christlichen Glauben fand, alkoholabhängig. Das Brandenburger Modell wurde schließlich ausgeweitet: 2005 folgte eine weitere Wohngruppe für Suchtkranke in der JVA Luckau-Duben.

Heute ist der gebürtige Rathenower Schönnagel Ehrenvorsitzender des Blauen Kreuzes in Potsdam. Viele Promis überzeugten sich von Schönnagels Arbeit: die damaligen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe und Matthias Platzeck (beide SPD) besuchten die WG, auch der Fernsehmoderator Günther Jauch, zuletzt Finanzminister Christian Görke (Linke). Bereits 2013 entstand in Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium ein Anti-Drogen-Film für Schüler, in dem Häftlinge offen über ihren Absturz, ihren Weg in Sucht und Gewalt erzählen.

Jürgen Schönnagel ist einer von insgesamt 30 Brandenburgern, die am Freitag vom Landtag ausgezeichnet wurden. Die Verdienstmedaille des Parlaments wird seit 2014 an Bürger verliehen, die Herausragendes für das Land Brandenburg geleistet haben. Marion Kaufmann

Zur Startseite