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Brandenburg: Die orange Revolution erreicht Berlin

Im Stadtbild setzt sich eine Farbe durch, die man lange nur von der Stadtreinigung BSR und aus Kiew kannte

Berlin – Die Revolution kam über Nacht. Seit Sonntagmorgen sind in der bis dahin wahlkampflosen Bundeshauptstadt die ersten politischen Plakate aufgetaucht. Zwei Parteien scheinen besonders viele Helfer aktiviert zu haben und prägen jetzt das Stadtbild mit einer fast identischen gemeinsamen Farbe, auch wenn sie inhaltlich nicht viel verbindet: Sowohl die bürgerliche CDU als auch die radikal-oppositionelle WASG setzen auf Orange. Vor allem im Berliner Stadtbezirk Mitte leuchten bereits ganze Straßenzüge in dieser Signalfarbe, und plötzlich entdeckt man allerorten zahlreiche weitere Farbtupfer der gleichen Couleur. Von den orangen Mülleimern der BSR über zahlreiche mit Orange dekorierte Werbeplakate wie die für André Hellers „Afrika! Afrika!“ bis zur aktuellen Sommermode, die mit der Farbauswahl der Polit- und Werbestrategen harmoniert.

Nachdem sie in der Ukraine ihren Anfang nahm, scheint die orangefarbene Revolution jetzt zumindest ästhetisch in Berlin angekommen zu sein. Waren Schwarz, Rot und Gelb noch die Farben, die WM-bedingt das Stadtbild während der ersten Sommerhälfte prägten, steht der Spätsommer ganz im Zeichen von Orange. Sogar die neuen Schmuck-Gullydeckel mit bekannten Berlin-Bauwerken drauf, die die Wasserbetriebe im Frühling eingeführt haben, scheinen dem Trend zu folgen: Ihr gusseisernes Braun ist mit einer leuchtenden Rostpatina überzogen – in Orange.

Farbhistorisch gesehen, kann man den Trend als weiteren Ausfluss der schon seit einiger Zeit zu beobachtenden Renaissance der 1970er Jahre sehen: In jener Zeit erlebte mit der Welle erstmals in großem Umfang produzierter Plastikartikel das Orange eine ungeahnte Blüte, zusätzlich befördert durch eine mit Hilfe der Flower-Power-Kultur angefeuerte Popularität leuchtender Signalfarben im Stoff-, Kleider- und Möbeldesign.

Ob das aktuelle neue Gewand der Stadt und ihren Orange-Protagonisten gut tut, darüber sind die Farbpsychologen zerstritten. Bei den politischen Anhängern der rot-gold-gelben Mischfarbe beruft man sich auf Erkenntnisse, denen zufolge Orange „die emotionale Dimension stärker anspricht“, wie es in einem internen „Style-Guide“ heißt, den die Bundes-CDU herausgab, nachdem man vor drei Jahren die neue Farbe in die Parteiwerbung einführte. Das CDU-Orange heißt übrigens technisch korrekt: Pantone Coated 1788 C. Das WASG-Orange tendiert dafür stärker in Richtung BSR – passend zum Saubermann-Image, das die Linksaußen-Partei sich wünscht.

Einschlägigen Foren von Orange-Befürwortern im Internet ist zu entnehmen, dass mit der Farbe auch Assoziationen wie Erfrischung, Fröhlichkeit, Jugend, Lust und Energie verbunden werden.

Zugleich gehen jene, die ganz auf Orange setzen, auch ein großes Risiko ein: Ein Diplomprojekt an der Filmakademie Baden-Württemberg zitiert bundesweite Umfragen, denen zufolge Orange die nach Braun unbeliebteste Farbe der Deutschen sei. Als Beleg führen die Orange-Skeptiker Assoziationen wie unsympathisch und aufdringlich an, die viele Menschen mit der Farbe verbänden. Zumindest ambivalent ist ein Farbeffekt, der gezielt in der Lebensmitteltechnologie eingesetzt wird: Orange soll die Magen-Darm-Funktion anregen und wird deswegen als Farbstoff Nahrungsmitteln beigefügt, mit denen man Kinder erreichen will, die nicht gerne essen.

Lokaler Vorreiter für das aktuelle orange Berliner Stadtdesign ist die BSR. Die Stadtreinigung brüstet sich damit, dass sie mit ihrer 1999 gestarteten Kampagne die lang verschmähte Leuchtfarbe wieder „de rigueur“ gemacht habe, also zu einem absoluten Muss für jeden, der etwas auf sich hält. Sauber, modern und positiv – das war damals die Botschaft der „Männer in Orange“.

Dass dennoch sieben Jahre vergehen mussten, bis der Trend stadtweite Nachahmer findet, liegt wohl an dem ambivalenten Erbe des Farbtons. „Vor fünf Jahren hätte das niemand wagen dürfen“, schrieb kürzlich der „Spiegel“ über die auch bundesweit zu beobachtende Pop-Farb-Renaissance: „Orange war geächtet, galt als billig und grell.“ Heute hingegen leuchte die Farbe in Kleiderläden ebenso wie in Regalen für Espressomaschinen und Küchenmixer.

Im Berliner Straßenverkehr dürfte sich der aktuelle Trend ebenfalls zunehmend bemerkbar machen. So hat Ford kürzlich seinen neuen Focus ST im Farbton „Electric Orange“ präsentiert. Und VW hat gerade seinen neuen Cross-Polo vorgestellt – in einem leuchtend-metallischen Orange. Eine Hoffnung der VW-Werbestrategen dürfte in Berlin allerdings enttäuscht werden: „Auffallend anders“ ist die Farbe ihrer Wahl dank des aktuellen Trends nun wirklich nicht mehr.

Bis zur Abgeordnetenhauswahl am 17. September dürfte die Orange-Dichte der Stadt täglich zunehmen. Vor allem, wenn auch noch die ökologisch orientierte Splitterpartei ÖDP in den Plakat-Wettstreit einsteigt: Deren Erkennungsfarbe ist ebenfalls Orange.

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