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Brandenburg: „Die Konflikte im Energieland werden stärker“

Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) über Braunkohleförderung und alternative Energien

Herr Minister Christoffers, von einer neuen Energiepolitik aus Ihrem Haus ist die Rede, wegen der stärkeren Ausrichtung auf Erneuerbare Energien. Wird die rot-rote Landesregierung auf Grün getrimmt?

Rot-Rot wir nicht auf Grün getrimmt, sondern setzt den Koalitionsvertrag um. Es geht um vier Eckpfeiler, erstens den Vorrang für erneuerbare Energien, zweitens die Frage der Energieeffizienz, drittens um den Energiemix unter Einschluss der Braunkohleverstromung – was im Sinne der Klimaschutzziele die CCS-Technologie umfasst. Und es geht viertens um die Fähigkeit, den produzierten Strom überhaupt aufzunehmen. Wir haben gegenwärtig die Situation, dass die Netze nicht mehr die Kapazität haben, die erzeugte Strommenge in Gänze aufzunehmen - dies gilt insbesondere bei Starkwindzeiten. Und es geht natürlich um die gesellschaftliche Akzeptanz für technologische Entwicklungen. Das Tempo der Einführung neuer Energietechnologien hängt nicht vom technologisch Machbaren, sondern von der gesellschaftlichen Akzeptanz ab.

Sie wollen den Anteil von Ökoenergie am Primärenergieverbrauch auf mehr als 20 Prozent steigern, zwischenzeitlich machte die Zielgröße 25 Prozent die Runde. Selbst die Energiestrategie von Schwarz-Rot sah 20 Prozent vor. Wo ist der Unterschied?

Wir haben gegenwärtig einen Anteil von 16 Prozent. Wenn wir die Energiestrategie überarbeiten, prüfen wie alle Möglichkeiten, diesen Anteil weiter auszubauen. Eins ist klar, mit der Klimaschutzpolitik muss es zu einem Ausbau erneuerbarer Energie kommen. Wenn wir das Tempo erhöhen könnten, wäre das gut und richtig. Ob uns das gelingt, hängt von der Evaluierung und der gesellschaftlichen Akzeptanz ab.

Das bedeutet aber gleichzeitig, den Anteil des Braunkohle-Stroms zurückzufahren. Wie wollen sie den Einstieg in den Kohle-Ausstieg bewerkstelligen? Wann ist es soweit?

Ich bereite hier nicht den Einstieg in den Ausstieg vor. Wir haben im Koalitionsvertrag gesagt, Braunkohleverstromung ist eine Brückentechnologie. Ich gehe davon aus, dass die Kohleverstromung in den nächsten 40 bis 50 Jahren nicht zurückgefahren wird, sondern weltweit sogar ausgebaut, wenn ich mir Länder wie Indien, China oder auch andere europäische Länder anschaue. Deswegen brauchen wir eine klimafreundlichere Energieerzeugung aus Braunkohle - die dringend notwendig ist für eine Grundlast- und Vorsorgungssicherheit. Aber auch mit Blick darauf, das Klimaveränderungen nicht an Landesgrenzen halt machen. Wir reden über ein globales Problem. Also brauchen wir eine klimafreundlichere Technologie, das kann CCS sein.

Sie fahren eine richtige Kommunikationsstrategie, eine Charmeoffensive, sagen selbst, wir bräuchten eine gesellschaftliche Debatte. Woran hapert es denn derzeit?

Wir haben eine Situation, dass viele Akteure eine bestimmte Energietechnologie ablehnen. Wir habe Windkraftgegner, die für einen Ausbau der Braunkohletechnologie sind. Wie haben Braunkohlegegner, die für den Ausbau der Windkraft sind. Da kann man sich die Argumente auszusuchen. Was wir brauchen, ist ein Energiemix. Das heißt, wir werden Zielkonflikte in der Gesellschaft haben über das Tempo und die Richtung der Energieerzeugung. Diese Konflikte muss ich annehmen, mit den Akteuren reden. Dazu muss man als Politik Ziele formulieren und nach einer Rückkopplung zu den Akteuren eine Entscheidung herbeiführen - in dem Wissen, dass die Entscheidung die Zielkonflikte nicht auflösen, sie aber beherrschbar machen wird. Dabei werde ich mit Sicherheit nicht alle Interessen berücksichtigen können - es sei denn, ich würde auf eine Energie- und Klimaschutzpolitik verzichten, die auf eine CO2-Reduzierung abzielt.

Kommen wir zu CCS, bis zur Sommerpause soll im Bund ein Gesetz vorgelegt werden, warum reicht eine „Lex Brandenburg“ nicht aus, warum eine bundeseinheitliche Lösung?

Gerade weil Klimaschutz keine allein brandenburgische Angelegenheit ist, sondern bundesweit geregelt werden muss. Ein Bundesgesetz, das nur darauf abzielt, Bewegungsmöglichkeiten für bereits bestehende Anlagen zu schaffen, ist falsch. Wenn es denn ein Weg ist, stellt sich die Frage der Abscheidung und Speicherung von CO2 bundesweit. Ob dann an den jeweiligen Standorten CO2-Speicher möglich sind, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Sie haben aus Landessicht Kriterien an das Gesetz formuliert, zum Beispiel zur Entschädigung für Grundstückseigentümer. Für die Regionen um Neutrebbin und Beeskow liegen die Genehmigungen für die Erkundung der unterirdischen Speicher vor. Erwarten Sie von Vattenfall eine Entschädigung für Werteverfall?

Lassen Sie mich zunächst eines klarstellen: Erkunden und Aufsuchen heißt nicht Speicherung, dafür müssten wie eine CCS-Gesetzesgrundlage haben. Wir haben derzeit nur die Erlaubnis zum Erkunden und Aufsuchen - auf Grundlage des Berggesetzes. Und zum Thema Entschädigung: Bei einer Speicherung muss sichergestellt sein, dass der Verursacher an sozialen und regionalen Folgekosten beteiligt werden muss. Deshalb schlagen wir eine Speicherabgabe vor, um damit einen regionalen Interessenausgleich herbeizuführen. Das ist eine ganz andere Debatte als vor zehn Jahren, Folgekosten für derartigen Technologieentwicklungen kann und wird die öffentliche Hand nicht mehr tragen. Da muss es eine Beteiligung der Verursacher geben.

Wo ist da der Anreiz für die Unternehmen, in die Technologie zu investieren?

2014 beginnt eine neue Emissionshandelsphase, die Bedingungen werden gerade ausgehandelt. Der Emissionshandel muss so gestaltet werden, dass er als Anreiz gilt, die CCS-Technologie zum Einsatz zu bringen. Das ist die politische Aufgabe. Bei CCS reden wir aber nicht nur über Energieerzeugung, sondern wir reden über energieintensive und CO2 ausstoßende Industrien insgesamt wie Stahl, Zement, Chemie und Raffinerien. Auf europäischer Ebene wird ganz offen über eine Dekarbonisierung der Wirtschaft gesprochen, über eine CO2-freie Wirtschaft in Europa. Das ist ein stückweit Ordnungs- und Strukturpolitik.

Ist Brandenburg CO2-Speicherland?

Die Formationen, die gegenwärtig untersucht werden, sind überhaupt nicht in der Lage, das CO2 aus ganz Deutschland aufzunehmen. Mit den zu erkundenden Speichermöglichkeiten - wenn die Technik denn funktioniert, was wir alle noch nicht wissen, und wenn wir dort wirklich speichern können - wären wir in der Lage, das CO2 aus der Pilot und aus der Demo-Anlage in Brandenburg aufzunehmen. Wenn die Technik umfassend zum Einsatz kommen soll, muss es eine europäische Lösung geben. Aber das ist alles Zukunftsmusik. Wir werden hier kein CO2 aus anderen Bundesländern aufnehmen können, dazu haben wir überhaupt nicht die Kapazität.

Aber irgendwo muss das CO2 ja hin

Dazu brauchen wir die bereits angesprochene europäische Lösung, denn dazu bedarf es einer europaweiten Infrastruktur und riesiger Investitionen.

Zur Windkraft, die Debatte dreht sich schon länger um Abstände zu Wohngebieten und um Windparks in Wäldern. Wie viele Windkraftanlagen brauchen wir denn bis 2020 noch zusätzlich, um das erklärte Ziel zu erreichen?

Heute dauert es 15 Jahre, bis eine Windkraftanlage wirtschaftlich betrieben wird. Niemand, der heute ein Windkraftfeld errichtet, wird die Anlagen austauschen, bis die Wirtschaftlichkeitsgrenze erreicht ist. Es hängt vom Tempo der technologischen Entwicklung ab, wie viele Windeignungsgebiete ausgewiesen werden müssen. Derzeit gehen wir von 4 000 Hektar zusätzlich aus. Ob das benötigt wird, hängt von der weiteren Technologieentwicklung ab - Stichwort Repowering. Bei der Ausweisung kommen wir zunehmend in Konflikt mit Natur- und Landschaftsschutz. Die Vorrangregelung für erneuerbare Energien muss diese Zielkonflikte aufnehmen und eine Lösung finden. Dann wird es dazu kommen, dass gegenwärtige Regelungen nicht einzuhalten sind. Man wird sich entscheiden müssen, als Politik, als Gesellschaft, was ist denn das untergeordnete Problem. Wenn das übergeordnete Thema Klimaschutz heißt, muss ich mich beim Einsatz erneuerbarer Energie darauf einlassen, dass ich Kriterien überprüfen muss, die mich gegenwärtig behindern.

Gab es Defizite in der Kommunikation? Das hört sich ja geradezu danach an, als würden Sie jetzt nach Jahren die Konflikte endlich mal angehen.

Wie beispielsweise die Region Märkisch-Oderland davon erfahren hat, dass dort erkundet und möglicherweise irgendwann einmal CO2 gespeichert werden soll, da gab es Defizite in der Unternehmens- und Kommunikationsstrategie von Vattenfall. Wir sind in der Situation, dass Brandenburg nicht mehr Energielabor ist, sondern Energieland. Bei den erneuerbaren Energien haben wir einen Punkt erreicht, wo die sozialen, ökologischen und regionalen Konflikte bei der Anwendung der Technologie stärker zum Tragen kommen. Im Allgemeinen ist jeder für die Einführung von erneuerbaren Energien, aber konkret... Insofern ist eine Ausweitung der Kommunikation zwingend erforderlich.

Auch bei Solarflächen gibt es wie bei Windkraft und Biomasse Konflikt. Ist Brandenburg nicht einfach zu klein, sind wir nicht schon am Limit?

Nein. Wir haben noch Flächen, vor allem haben wir die gesellschaftliche Notwendigkeit, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu forcieren. Wir haben Konversionsflächen oder geringwertige Ackerböden, die genutzt werden können. Auch die Doppelnutzung von Flächen ist machbar, etwa für Solaranlagen auf Rahmen und nebenbei für Schafhaltung. Oder für Windkraftanlagen und Biomasse.

Das Gespräch führten Alexander Fröhlich und Matthias Matern.

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