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Das historische Rathaus auf dem Marktplatz stammt aus dem 18. Jahrhundert.

© dpa

Die Hamptons von Berlin?: Ein Blick auf Merkels Heimat, die Uckermark

Hier kennen die Leute sie aus der Zeit, als sie noch „Kasi“ hieß: Angela Merkel kommt aus Templin in der Uckermark. Dort hat sie ein Wochenendhaus. Ob es sie zu ihrer Rente häufiger aufs Land zieht? 

Templin - Nach ihrer Rente zieht die Kanzlerin mit ihrem Mann Joachim, den sie zärtlich „Puffel“ nennt, und einem Mops namens „Putin“ aufs Land, in die Uckermark. Dort bekommt es Angela Merkel mit einem Mord zu tun. Sie wird Hobby-Detektivin. Das ist die Geschichte von „Miss Merkel“, einem Schmunzel-Krimi von David Salier. Der Krimi verkauft sich gut, auch in der Buchhandlung von Templin.

Templin, das ist Merkels Heimatstadt in Brandenburg, hier wuchs die Pfarrerstochter auf und ging zur Schule, noch heute hat sie in der Nähe ein Wochenendhaus. Das 16 000-Einwohner-Städtchen liegt zwischen Wäldern, Wiesen und Seen in der menschenleeren Uckermark anderthalb Autostunden nördlich von Berlin. Fernsehköchin Sarah Wiener sang dort auf ihrem Hof für einen Wahlwerbespot der Grünen mit, in der etwas windschiefen Variante von „Kein schöner Land“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Bundeskanzlerin Angela Merkel.

© via REUTERS

Gerade war Merkel auf den letzten Metern ihrer Regierungszeit in Templin, um ein Bäumchen zu pflanzen und zum Spatenstich für eine Kita. Auf die Frage, ob sie künftig häufiger kommen werde, sagte Merkel bei ihrem Besuch: „Bestimmt“.

Viele in der Stadt kennen sie und ihre Familie noch von früher: die Mutter Herlind Kasner, die bis ins hohe Alter Englisch an der Volkshochschule unterrichtete, und den Vater Horst Kasner, der ein bekannter Pfarrer war. Merkels Mathelehrer Hans-Ulrich Beeskow ist ein gefragter Interviewpartner. Er leitete zu DDR-Zeiten den Spezialclub „Junge Mathematiker“ und kennt Merkel (früher „Kasi“) aus dieser Zeit. „So ein begabtes Mädchen“ sei ihm nie wieder begegnet, sagte er, als Merkel 2019 Templiner Ehrenbürgerin wurde.

Die spätere Kanzlerin (2. Reihe, Mitte, leicht verdeckt) mit ihren Schulfreunden aus der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule (Archivfoto von 1971).
Die spätere Kanzlerin (2. Reihe, Mitte, leicht verdeckt) mit ihren Schulfreunden aus der 10. Klasse der Polytechnischen Oberschule (Archivfoto von 1971).

© dpa

Hilfe, die Berliner kommen

Die Uckermark ist eine spezielle Gegend. Einerseits gibt es dort nicht viel, sie ist wie viele Regionen im Osten von der Abwanderung der jungen Leute geprägt. Andererseits hat sie in den Medien den Spitznamen „die Hamptons von Berlin“, in Anlehnung an das Wochenendziel der reichen New Yorker. Uckermark, das klingt für manche wie Prenzlauer Berg: schön, aber teuer geworden und schon lange kein Geheimtipp mehr. Nach dem Motto: Hilfe, die Berliner kommen. Zu viele Leute mit dicken Autos, die Gemüse beim Bauern kaufen, weil sie das so authentisch finden.

Blick in die Ernst-Thälmann-Straße nahe dem Marktplatz.
Blick in die Ernst-Thälmann-Straße nahe dem Marktplatz.

© dpa

Templin ist noch etwas anderes: eine ruhige Kurstadt im sogenannten zweiten Speckgürtel von Berlin. Gerade hat dort jemand die größte Zucchini Deutschlands gezüchtet. Bekannt ist die Therme, es gibt viel Wasser, Fachwerkhäuser, alte Stadtmauern, eine Kartbahn. Und die Westernstadt, das „El Dorado“, das gerade Schauplatz für das „offizielle Bud Spencer und Terence Hill Fantreffen“ war. Ein Poster davon hängt noch im Waffelstand neben dem alten Rathaus.

Dort macht Tourismuschef Ernst Volkhardt Werbung: „Wenn Sie sieben Tage keine Menschen sehen wollen, können Sie sich hier gut bewegen.“ Wenn man mehr als im Umland erleben wolle, müsse man nach Templin kommen. Dass die Stadt Merkels Heimat ist, hat ihr viel Presse und Aufmerksamkeit gebracht. Volkhardt hat die Kanzlerin als bescheiden und zurückhaltend erlebt. „Sie geht ganz normal einkaufen.“ Man habe sie früher auch mit der Familie bei Kaffee und Kuchen im Café sitzen sehen. Ausschlachten will die Stadt das Thema Merkel nicht. Es gibt also keine speziellen Touren oder Plaketten an Häusern wie dem Waldhof, wo die Pfarrersfamilie lebte.

 Tourismuschef Ernst Volkhardt.
 Tourismuschef Ernst Volkhardt.

© dpa

Wer googelt, findet leicht heraus, wo Merkels Datsche liegt: in Hohenwalde, am Fernreit- und Kutschweg Berlin-Usedom. Das klingt abgeschieden, ist es auch. Wer sich dem von außen schlichten weißen Einfamilienhaus mit einer Kamera nähert, wird von einem Polizisten kontrolliert. Ein Haus, ein Zaun, alles eher unauffällig und leicht zu übersehen. Ein paar Schritte weiter liegt ein Künstlerhaus. Ringsum Felder, Wälder und Seen. Einsamkeit.

Zwischen Stadt- und Dorfneurotikern 

Das zieht viele Stadtneurotiker an, die in Bienenzucht und Einkochen die neue Achtsamkeit entdecken. Die Filmemacherin Lola Randl hat das in einem autobiografischen Roman mit einiger Selbstironie verarbeitet. Sie lebt in Gerswalde, vom „Tagesspiegel“ als „Hipsterdorf“ bezeichnet. Vor zwölf Jahren ist sie aus Berlin-Mitte dorthin gezogen, in ein ehemaliges Hotel.

In ihrem malerischen „Großen Garten“ öffneten ein Biergarten, ein japanisches Café und ein Räucherfischstand. Es kamen scharenweise Leute, ein hippes Publikum wie auf den Berliner Streetfood-Märkten. Randl wuchs der Rummel zeitweise über den Kopf. Es habe so spielerisch angefangen, aber dann sei es gar nicht so leicht, den Spieß wieder umzudrehen, sagt sie.

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Passt für die Uckermark „die Hamptons von Berlin“? Randl sagt: „Es ist schon was dran, sonst wäre das ja nicht so zustande gekommen.“ Es sei eine wunderschöne Gegend. „Und das haben natürlich jetzt schon viele Leute gehört, die bereit sind, einfach sehr hohe Preise für die entsprechenden Lagen zahlen.“ Etwas anderes seien die Leute, die fest aufs Land ziehen wollten, nicht nur fürs Wochenende.

Sie findet in der Veränderung auch Gutes. So wohnt jetzt nebenan in Gerswalde eine Hebamme mit ihrer Familie, die ein Geburtshaus gründete. Und das mit den Hipstern? „Ich hab heute noch keinen gesehen“, sagt sie und lacht. Sie überlegt gerade, ob sie ihr Haus wie früher in ein Hotel verwandeln will. Oder vielleicht doch erstmal die ganzen Äpfel und Pflaumen im Garten ernten?

Die Filmemacherin Lola Randl  in ihrem Garten. 
Die Filmemacherin Lola Randl  in ihrem Garten. 

© dpa

„Berlin ist so laut geworden“

Randls ein paar Kilometer entfernt lebender Nachbar Dimitri Hegemann hat sich für seinen Wohnsitz in Berlin gerade einen Dezibelmesser gekauft. Die Sirenen in der Stadt nerven ihn. „Berlin ist so laut geworden“, findet er. Hegemann ist Technopionier, sein Club „Tresor“ prägte das Nachtleben der Nachwendezeit. Neben Berlin wohnt er in den sanften Hügeln der Uckermark. Er beobachtet, wie dort die Preise steigen. „Alles wird nur noch vermietet.“ Das habe sehr angezogen und bringe Spannung ins Dorf.

Abwanderung sei nach wie vor ein Problem. Hegemann setzt sich mit seiner Aktion „Happy Locals“ für Jugendkultur ein und sucht als „Raumforscher“ nach neuen Orten und Ruinen. Er findet, in der Provinz müsse es Cooleres geben als Konzerte von Jennifer Rush. Ihn selbst habe das Ausgehen befreit, sagt er. In Templin hat er in einem Gewerbegebiet einen verfallenen Schlachthof entdeckt, den er sich als „Kultur-Leuchtturm“ vorstellen kann, mit Club, Ateliers und Studios. „Am Wochenende muss es dort krachen, sonst verschnarcht es.“ Bei Facebook sucht er nach Leuten, die die „Top-Ruine“ wachküssen wollen.

Historische Fachwerkhäuser in der Berliner Straße.
Historische Fachwerkhäuser in der Berliner Straße.

© dpa

So könnte sich in Templin also noch einiges entwickeln, was Merkel ihrem Mann morgens aus der Lokalzeitung vorlesen könnte. Ihre konkreten Pläne für die Rente und ob sie ihre Wohnung an der Berliner Museumsinsel behält - das alles ist noch nicht bekannt. Ihr steht wie den Altkanzlern vor ihr ein Büro in Berlin zu. Es wurde bereits spekuliert, Merkel könnte nach Hamburg ziehen, ihre Geburtsstadt. Das hat sie dementiert. Sie will Berlin und der Uckermark treu bleiben, eine Pause machen und erstmal nachdenken, was ihr gefallen könnte - viel mehr weiß man nicht.

Der Templiner Bürgermeister Detlef Tabbert erzählt, wie volksnah und unprätentiös Merkel sei. Der Linke-Politiker lobt, sie habe in schwierigen Zeiten das Land 16 Jahre lang geführt und sich aus freien Stücken mit 67 aus ihrem Amt verabschiedet. Tabbert gönnt ihr, dass sie bald Zeit für ihre Hobbys wie das Wandern hat. Ob er denkt, dass sie künftig häufiger nach Templin kommt? „Das denke ich nicht nur, da bin ich ziemlich sicher.“ (dpa)

Caroline Bock

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