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Die Haasenburg in Neuendorf: Heim der verletzten Seelen

In die Einrichtungen der Haasenburg kommen Jugendliche, bei denen alle anderen pädagogischen Maßnahmen scheiterten. Jetzt gibt es massive Vorwürfe, doch die Erzieher wehren sich. Ein Blick hinter die Mauern der geschlossenen Einrichtung.

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Tobias strahlt. „Herr Hanke, Herr Hanke – wir haben auf jeden Fall den zweiten Platz“, ruft der 14-Jährige, während er vom Volleyballplatz gelaufen kommt. „Wir haben gegen Müncheberg gewonnen und jetzt spielen wir gegen Neuendorf.“ Cliff Hanke klopft dem Jungen auf die Schulter. „Super“, sagt er, „ich drück’ die Daumen.“

Das Volleyballturnier unter hohen Bäumen, die schmetternden, hechtenden oder anfeuernden Mädchen und Jungen, die gelben Bungalows mitten im Wald – die Szene könnte in jedem Ferienlager spielen. Tatsächlich handelt es sich aber um eins von drei brandenburgischen Heimen der Haasenburg GmbH, die derzeit wegen angeblicher Misshandlungen in die Schlagzeilen geraten sind. Und in die politischen Diskussionen. Denn sie gelten als sogenannte geschlossene Einrichtungen.

Das heißt, hierher kommen Jugendliche, bei denen alle anderen Maßnahmen gescheitert sind: vom Aufenthalt in „normalen“ Kinderheimen oder Pflegefamilien bis hin zu Aufenthalten in psychiatrischen Einrichtungen. „Für die meisten unserer Jugendlichen hat ein Familienrichter den Beschluss gefasst, dass freiheitsentziehende Maßnahmen gegen sie angewendet werden dürfen, wenn sie andere oder sich selbst massiv gefährden“, sagt Hinrich Bernzen. „Ein solcher Beschluss ist sozusagen das allerletzte Mittel und wird nur auf Grundlage von Sachverständigengutachten angewendet.“

Bernzen ist der Sprecher der Haasenburg GmbH, die Heime in Neuendorf, Jessern und Müncheberg als privater Träger betreibt. Und in denen, so die Vorwürfe, Jugendliche mit Isolation und Gesprächsverbot drangsaliert worden und mit Einschließen bestraft worden sein sollen. Ein heute 19-Jähriger wurde nach eigenen Angaben im Jahr 2010 mehrere Tage lang „am Bett fixiert“, die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt deshalb, der Betreiber bestreitet die Vorwürfe.

Wegen der Negativschlagzeilen hat Haasenburg-Sprecher Bernzen in dieser Woche Journalisten in die Einrichtung in Neuendorf eingeladen. 14 Bundesländer schicken Kinder und Jugendliche hierher – auch wenn der pädagogische Ansatz umstritten ist. Während manche Experten meinen, dass man mit Strafen generell nicht erziehen darf, hält der Direktor der Jugendpsychiatrie an der Rostocker Uni, Frank Häßler, geschlossene Plätze für sinnvoll, „weil manche Jugendlichen einfach nur zu erreichen sind, wenn sie auch über eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort den Therapien zugänglich gemacht werden.“ Wobei die Jugendlichen in der Haasenburg nicht generell eingesperrt sind. Der Zaun kann von jedem überwunden werden und wird es auch manchmal, wie die Erzieher erzählen. Manche Jugendliche dürfen allein nach draußen, andere nur mit Betreuern.

Den Anti-Aggressionsraum will Bernzen den Journalisten nicht zeigen. Das ist die letzte Maßnahme, wenn Jugendliche sich nicht mehr bändigen lassen. Fixierungen gibt es allerdings nach einer Verordnung seit 2010 nicht mehr, sagt Bernzen. Kritik, die in den Jahren zuvor unter anderem von Gerichten in Cottbus und Berlin an der Arbeit der Haasenburg geäußert wurde, will er nicht kommentieren. „Seither hat sich viel geändert“, sagt er.

Nicht geändert hat sich, dass viele Heimbewohner als Intensivtäter gelten, sie haben Menschen verletzt, Drogen konsumiert oder mit ihnen gehandelt, haben sich prostituiert oder Selbstmordversuche hinter sich. Oft wurden sie schon in ihren Familien zum Opfer oder später auf der Straße, sie sind extrem misstrauisch, voller Verletzungen und ohne Vertrauen.

Tobias zum Beispiel – das ist natürlich nicht sein richtiger Name – kam vor einem halben Jahr in die Haasenburg. „Zwei Polizisten brachten ihn“, erinnert sich Cliff Hanke. „Er hat getobt und gebrüllt, dass er sowieso wieder abhauen wird.“ Hanke ist Sporttherapeut für die Haasenburg-Heime in Brandenburg und man merkt ihm an, dass ihn die pauschalen Vorwürfe, hier würden Kinder und Jugendliche misshandelt, sehr verletzen. „Jedes Mädchen und jeder Junge hat hier einen persönlichen Betreuer“, sagt Hanke. „Und trotzdem dauert es extrem lange, bis viele Vertrauen fassen. Manche schaffen es nie.“ Als Sporttherapeut hat er zu allen Kontakt und wie Tobias, der ihm anfangs brutale Prügel angedroht hat, sind ihm viele ans Herz gewachsen.

Hamburg will vorerst keine Kinder mehr in die Haasenburg schicken. Die Berliner Bildungsverwaltung empfiehlt den für die Unterbringung zuständigen Jugendämtern der Bezirke dringend, bis zur Klärung der Vorwürfe keine weiteren Unterbringungen in Einrichtungen der Haasenburg zu veranlassen. Für die drei bereits dort untergebrachten Jugendlichen soll der Verbleib geprüft werden.

Bei den in Brandenburg zuständigen Jugendämtern gibt es keine Bedenken. Trotzdem nimmt am morgigen Freitag die vom Bildungsministerium einberufene und mit unabhängigen Experten besetzte Untersuchungskommission ihre Arbeit auf. Haasenburg-Sprecher Bernzen sagt, dass alle Mitarbeiter das begrüßen: „Mal abgesehen davon, dass wir uns nichts vorzuwerfen haben: Die Kameraleute sind bald wieder weg – was bleibt, ist die Frage, wie die Gesellschaft mit diesen jungen Menschen umgeht, für die es keine einfachen Wege gibt.“

Für Sporttherapeut Hanke, der selbst Kinder hat, ist es am schlimmsten, wenn ein ehemaliger Heimbewohner rückfällig wird und manchmal sogar seine Mutter bedroht. „Das zeigt, wie tief diese Kinder verletzt sind. Die denken, sie müssten immer nur kämpfen und dürften sich nie anlehnen oder mal eine Träne rauslassen.“

Deshalb sei Vertrauen und Aufmerksamkeit so unendlich wichtig, sagt Hanke und ruft Tobias, der schon wieder zum Volleyballplatz stürmt, hinterher: „He“. Der Junge dreht sich um. „Ich drück’ dir die Daumen“, sagt Hanke noch einmal.

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