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Brandenburg: „Die Bedeutung eines Landrats ist vielen nicht klar“

Politikwissenschaftler Dittberner: Einführung von Direktwahlen ist ein langfristiges Projekt

Herr Professor Dittberner, am Sonntag durfte die brandenburgische Bevölkerung in fünf Landkreisen erstmals ihren Landrat direkt wählen. Doch nur wenige Wahlberechtigte haben von der Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ist das Experiment Direktwahl in Brandenburg aus ihrer Sicht gescheitert?

Das würde ich nicht sagen. Es ist ja ein langfristiges Projekt. In jedem Fall finde ich es besser, die Bürger wählen den Landrat, als irgendein Gremium, das keiner kennt. Für ein abschließendes Urteil ist es außerdem noch zu früh. Wir sollten erst einmal die Stichwahlen und die Wahlen in den anderen Kreisen abwarten. Vielleicht ist dann ja auch das Wetter besser.

Dennoch, die Wahlbeteiligung war in allen Kreisen äußerst dürftig. Viele Kreiswahlleiter und Politiker haben ausschließlich die schwierigen Witterungsbedingungen dafür verantwortlich gemacht.

Ich glaube nicht, dass es nur am Wetter gelegen hat. In Brandenburg ist die Bereitschaft wählen zu gehen bekanntlich generell ausbaufähig. Allerdings nimmt die Wahlbeteiligung bundesweit ab, was auch mit der sogenannten Politikverdrossenheit zu tun hat. In Brandenburg gibt es aber nochmal ein besonders ausgeprägtes Misstrauen gegenüber der Politik. Viele Bürger im Land glauben, die Politiker machen am Ende sowieso was sie wollen.

Haben die jüngsten Stasi-Enthüllungen in der brandenburgischen Landespolitik und auf kommunaler Ebene dieses negative Bild vielleicht noch verstärkt? Hat dies die Lust am Wählen zusätzlich getrübt?

Dass solche Geschichten in Brandenburg großen Einfluss auf das Wahlverhalten haben, sogar zu einer Wahlverweigerung führen können, kann ich mir nicht vorstellen. Viel mehr glaube ich, dass die Strukturen der kommunalen Verwaltung nicht ausreichend nachvollziehbar sind. Vielen Wählern ist zum Beispiel gar nicht klar, welche Bedeutung das Amt des Landrates für ihren Alltag hat. Das ist eigentlich paradox, denn schließlich ist ein Landrat für so bürgernahe Einrichtungen wie Kitas und die Feuerwehren zuständig.

Erst 2008 fanden Kommunalwahlen statt. Im Superwahljahr 2009 wurde die märkische Bevölkerung für die Europawahl, dann für die Landtags- und Bundestagswahlen an die Urnen gerufen. Vielleicht sind viele auch einfach nur wahlmüde und wollen gar nicht ständig abstimmen?

Bestimmt haben einige Leute das Gefühl, dass sie zu oft wählen gehen müssen. Seine Stimme abgeben zu dürfen sollte aber nicht als Last, sondern vor allem als Ehre empfunden werden. In anderen Ländern, etwa in der Schweiz, wird die Möglichkeit wählen zu können viel mehr als in Deutschland noch als Bürgerrecht angesehen. Nichtwähler mit einem Bußgeld zu bestrafen, wie es zum Beispiel in Belgien Praxis ist, halte ich allerdings nicht für sinnvoll.

Am 24. Januar stehen in den fünf Kreisen Stichwahlen an, bevor dann auch in den anderen Kreisen zum ersten Mal direkt gewählt wird. Was sind ihrer Meinung nach die Lehren aus den Ergebnissen vom Sonntag?

Die Politiker und auch die Verwaltungen müssen den Bürgern noch besser klar machen, was ein Landrat eigentlich macht, für was er zuständig ist und welche Auswirkungen das Amt auf ihren Alltag hat. Die meisten Wähler haben zwar ein recht klares Bild von den Aufgaben eines Bürgermeisters, oder den Zuständigkeiten eines Ministers, können aber mit dem Landratsamt nicht viel anfangen. Durch die geringe Wahlbeteiligung sollte man sich aber nicht gleich vom eingeschlagenen Weg abbringen lassen und die Flinte ins Korn werfen.

Das Gespräch führte Matthias Matern

Der Politikwissenschaftler Professor Jürgen Dittberner (70) lehrte bis 2009 mit dem Schwerpunkt Parteienforschung an der Universität Potsdam und ist mittlerweile im Ruhestand.

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