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Glaubenszeichen. Kann man in Berlin noch Kippa tragen?

© Daniel Bockwoldt/dpa

Brandenburg: Der Ort, an dem es unklug wäre, Kippa zu tragen

Wie antisemitisch ist Berlin? Die Zahl der Straftaten ist nicht gestiegen, aber das Gefühl der Bedrohung wächst

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Berlin - Knapp 200 antisemitische Straftaten waren es allein im vergangenen Jahr in Berlin: Beschmierte Stolpersteine, Friedhofsschmiererei oder Volksverhetzung. Vier Mal war Gewalt im Spiel, zweimal in Mitte, je einmal in den Bezirken Lichtenberg und Neukölln. 2013 waren es bereits ähnlich viele Fälle.

„Wir hatten sogar mit einem Anstieg gerechnet“, sagt Polizeisprecher Stefan Redlich. 2013 fand der Gaza-Krieg statt, auch früher bereits hätten während solcher Konfliktphasen in Nahost diese Straftaten zugenommen. Dass dies nun ausblieb, führt Redlich auch auf eine klare Ansage der Polizei zurück. Eine gerichtlich als nicht volksverhetzend eingestufte Judenhass-Parole wurde trotzdem untersagt, andernfalls werde man einschreiten: Und die Demonstranten hielten sich daran. Redlich betont auch, man rate jüdischen Bürgern keineswegs, auf das Zeigen religiöser Symbole zu verzichten. Dazu hätten sie das Recht. „Die Polizei ist dazu da, sie dabei zu beschützen.“

Von der Aussagekraft polizeilicher Statistik hält wiederum Rabbiner Alter wenig. Seit drei Jahren habe Antisemitismus zugenommen, ein Indiz sei, dass „nicht nur auf den allermeisten Berliner Hinterhöfen, sondern auch auf den Schulhöfen Jude wieder als Schimpfwort benutzt wird“. Die Statistiken regten ihn auf, „weil sie so vieles nicht erfassen“, sagt er: „Zum Beispiel viele antisemitische Zuschriften, die wir erhalten, viele Schmierereien, die von der Polizei lediglich als Sachbeschädigung erfasst werden.“ Viele Beleidigungen würden wegen absehbar erfolgloser Ermittlungen nicht angezeigt. Die Warnung des Zentralratsvorsitzenden bestätigt er: „Es gibt viele Plätze in Berlin und zwar nicht nur in Neukölln, wo es ausgesprochen unschlau wäre, eine Kippa zu tragen oder sich anderweitig als Jude identifizieren zu lassen“.

Schon im Sommer 2013 war plötzliche die Rede von „No-go-Areas für Juden“ in Berlin. Ein Jahr zuvor hatten arabisch-stämmige Jugendliche den Rabbiner Alter vor dessen Friedenauer Haustür zusammengeschlagen. Und nun stellte Alter als Antisemitismusbeauftragter der Jüdischen Gemeinde zu Berlin fest: Für Juden, die als solche erkennbar seien, gebe es Viertel, „zum Beispiel Teile von Wedding und Neukölln“, die sie eher meiden sollten. In der türkisch-arabischen Community sei Judenfeindlichkeit doppelt so stark verbreitet wie in der Mehrheitsgesellschaft.

Nun hat der im November gewählte Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland an Daniel Alters Bemerkungen angeknüpft. Im RBB-Interview rät Josef Schuster Juden in Deutschland zur Vorsicht. Verstecken sei zwar keine Lösung, aber er frage, ob es sinnvoll sei, „sich in Problemvierteln, in Vierteln mit einem hohen muslimischen Anteil als Jude durch das Tragen der Kippa zu erkennen zu geben, oder ob man da besser eine andere Kopfbedeckung trägt“. Derartige Viertel gebe es „speziell in Berlin, aber nicht nur in Berlin“. Vor fünf Jahren hätte er sich so eine Entwicklung nicht vorstellen können. Die Aussagen des Vorsitzenden beruhen nach Auskunft seiner Pressereferentin „auf Erfahrungen, die Mitglieder jüdischer Gemeinden machen und über die er entsprechend informiert wird“.

Israels Botschafter in Berlin, Jakov Hadas-Handelsman, erinnerte die europäischen Juden zum wiederholten Mal an ihre Möglichkeit zur Auswanderung nach Israel. „Heute haben die Juden, anders als früher, eine Wahl. In Israel werden sie immer erwünscht sein“, sagte er. Die Tatsache, dass es im 21. Jahrhundert noch Antisemitismus gebe, sei eine Schande. Die meisten Juden und auch er fühlten sich zwar wohl in Deutschland. „Aber sicher ist es in Europa generell nicht, auch nicht für Juden. Die europäischen Völker sollten gut darüber nachdenken, was sie dagegen tun“, sagte er.

Der Oppositionsführer der Jüdischen Gemeinde Berlins, Micha Guttmann, will von No-go-Areas nicht reden, obwohl er einräumt, dass sich seit drei Jahren die Lage verändert. Josef Schuster stimmt er in dem Punkt zu, dass Alarmismus nichts bringe. Er wisse aber auch von jungen Juden, die in der U-Bahn angespuckt, angerempelt werden. Gefordert sei Wachsamkeit. Dafür dass die Jüdische Gemeinde ihre Gemeindezeitung künftig aus Sicherheitsgründen nicht nur an Einzelne, die das so wünschen, sondern durchweg ohne Absenderhinweis verschickt, fehle ihm allerdings das Verständnis. Frank Bachner, Sandra Dassler,

Thomas Lackmann

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