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Angeklagt. AfD-Politiker Jan-Ulrich Weiß (r.) vor Prozessbeginn.

© Bernd Settnik/dpa

Brandenburg: Der Lange und der Dicke

AfD-Abgeordneter Jan-Ulrich Weiß leugnet vor Gericht Zigarettenschmuggel in Millionenhöhe

Neuruppin - Er will von nichts gewusst haben. „Von irgendwelcher Schmuggelware war und ist mir nichts bekannt“, lässt der Brandenburger AfD-Landtagsabgeordnete Jan-Ulrich Weiß seinen Anwalt im Neuruppiner Landgericht verlesen. „Ich hatte keine Ahnung.“ Für den 42-jährigen Politiker, Vater von sieben Kindern, Sohn einer Pastorin und eines Diakons, geht es um alles. Die Existenz, das Landtagsmandat und rund 8000 Euro Diäten im Monat, die er seit Herbst 2017 bezieht. Dem Nachrücker von Alexander Gauland im Potsdamer Parlament droht eine Haftstrafe zwischen sechs Monaten und zehn Jahren wegen Steuerbetrugs durch Zigarettenschmuggel im großen Stil.

Sein Mitangeklagter Christian R. (37) legt am Montag zum Prozessauftakt ein Geständnis ab, belastet Weiß schwer. Gemeinsam hätten sie 2013 den Schmuggel von rund 5,8 Millionen unversteuerten Zigaretten aus den Niederlanden nach Großbritannien organisiert. Laut Staatsanwaltschaft entstand den Niederlanden so ein Steuerschaden von mehr als einer Million Euro.

„Langer“ (Weiß) und „Dicker“ – so sind die beiden Angeklagten im Handy des Fahrers abgespeichert, der im März 2013 bei einer Kontrolle in England mit der verbotenen Fracht hochgenommen wurde, aber selbst nicht angeklagt ist. Die Versionen der Geschichte, die „Langer“ und „Dicker“ über ihre Verteidiger verlesen lassen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Beide stammen aus Templin in der Uckermark, kennen sich aus der Speditionsbranche. Weiß, eigentlich Landwirt, arbeitete früher für ein Fuhrunternehmen, zunächst als Fahrer, dann als Disponent.

Der Mitangeklagte, ausgebildeter Berufskraftfahrer, versucht mit einem Deal eine Bewährungsstrafe von maximal zwei Jahren zu erreichen. Er bekennt sich schuldig. „Es tut mir leid, dass ich mich von der Aussicht auf leichtes Geld verleiten ließ“, lässt er seine Potsdamer Anwältin Marlen Block vortragen. Er habe sich selbstständig gemacht und keinen Kredit für einen Transporter bekommen. Schon früher sei er in der Branche mit Leuten in Kontakt gekommen, die ihm angeboten hätten, ihm zu einem Zuverdienst verhelfen zu können. Bei einem dieser Bekannten habe er sich in seiner finanziellen Notlage gemeldet. In Polen habe ihm dieser eine Offerte gemacht: Er suche einen Fahrer und ein Unternehmen mit sauberen Papieren, über das sich Transporte unverzollter Zigaretten abwickeln ließen. Der in Aussicht gestellte Schmugglerlohn: ein Euro pro Stange, je Helfer rund 5000 Euro.

Er habe Weiß kontaktiert, gefragt, ob er mit von der Partie sei, Fahrer und Fährfahrt nach England organisieren könnte. Weiß habe zugesagt und über einen Bekannten einen Fahrer angeheuert, sich überhaupt mit um die Logistik gekümmert. Er sei vorher noch nie gerichtlich in Erscheinung getretenen, lässt „Dicker“ noch mit verlesen.

Weiß, der 2014 wegen Volksverhetzung nach einem antisemitischen Facebook-Post angeklagt war, aber freigesprochen wurde, lässt über seinen Anwalt eine gänzlich andere Geschichte verlesen. Nach einer Zeit als Hausmann selbständig im Brennstoffhandel, habe ihn der Mitangeklagte damals um Hilfe gebeten. Selbstverständlich nicht bei illegalen Machenschaften, sondern dabei, ein kleines Fuhrunternehmen auf die Beine zu stellen. Er sollte Fracht für den polnischen Lkw organisieren, den R. in Deutschland anmelden und dann auf Tour schicken wollte. Er habe helfen wollen und gegen ein kleines Zubrot für seine Familie habe er auch nichts einzuwenden gehabt. „Aber es ging nicht um Tausende Euro“, lässt Weiß erklären. Und selbstverständlich sei es nicht um Schmuggelware gegangen. Gläser aus Antwerpen habe er über eine Frachtbörse für jene Fahrt geordert, bei der die Zigaretten gefunden wurden. Wie die auf den Lkw gekommen sind – Weiß weiß angeblich von nichts. „Der wirkliche Lenker der Angelegenheit war R.“ Und was auf dem Lkw gewesen sei, liege schließlich in der Verantwortung des Fahrers.

Doch dieser kämpft vor Gericht trotz seines jungen Alters mit großen Gedächtnislücken. Der 28 Jahre alte Saalfelder betritt in Thor-Steinar-Jacke als Zeuge den Gerichtssaal. Wer ihm den Auftrag erteilt hat, wann er wohin gefahren sei und vor allem, was er geladen habe, will die Vorsitzende Richterin Grit Burzer wissen. „Ich weiß es nicht“ ist der Satz, den der Zeuge Steffen K. am häufigsten zum Besten gibt. Er habe gesundheitliche Probleme, nehme Herztabletten, außerdem sei alles so lange her. Der Kontakt mit „Langer“ und „Dicker“ habe sich die Waage gehalten, sagt R., sichtlich bemüht, Weiß nicht als Drahtzieher dastehen zu lassen, sondern allenfalls als Randfigur.

Bei der Vernehmung durch die Staatsanwaltschaft 2014 hörte sich das noch ganz anders an. Er sei erst selbstständig gewesen, sei aber dann von Weiß bei dessen Minifirma „Weiß Frachtenvermittlung“ angestellt worden, sagte R. damals aus. Auch die Handydaten zeigen, dass der Fahrer fast immer den „Langen“ kontaktiert hat. Am 15. März 2013, nachdem der Schmuggel bereits aufgeflogen ist, überweist Weiß ihm 500 Euro Abschlagslohn. Auch daran erinnert sich der einstige Schmuggelfahrer erst, als die Richterin es ihm vorhält. Er habe vor dem Prozess keinen Kontakt zu einem der beiden Angeklagten gehabt, versichert der Zeuge auf Nachfrage der Vorsitzenden Richterin.

Am Freitag wird der Prozess mit der Hörung weiterer Zeugen, unter anderem Vernehmungsbeamten, fortgesetzt. Dann könnte auch schon das Urteil fallen, so die Richterin. 

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