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Kannte den Fall nicht: Arbeitsminister Günter Baaske (SPD) erfuhr vom RBB von der Vergangenheit seiner Referatsleiterin. Nun will er sie erneut überprüfen lassen.

© dpa

Brandenburg: Der Fall „Kristina“

Der RBB berichtete über eine Referatsleiterin im Arbeitsministerium und deren Stasi-Vita. Nun werden höchst unterschiedliche Geschichten erzählt

Potsdam - Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske (SPD) hat das Parlament im Vorjahr falsch über die Anzahl der Stasi-Fälle in seinem Ministerium informiert. Weil er den Fall einer Referatsleiterin nicht kannte, meldete sein Haus im Vorjahr keine Fälle an das Parlament. Das räumte er am Donnerstag ein. Ein Ministeriumssprecher bestätigte gleichzeitig einen Bericht des RBB-Magazin „Klartext“ über die Referatsleiterin für Grundsatzfragen, Angelika N., insoweit, dass sie, wie gestern berichtet, trotz falscher Angaben bei der Übernahme in den Landesdienst Karriere machen konnte. Die Frau sei aber – anders als von den PNN gemeldet zumindest abgemahnt worden.

Baaske, so sein Sprecher habe erst durch die RBB-Recherchen von dem Fall erfahren. Er habe nun Auskunft bei der Stasi-Unterlagenbehörde beantragt.

Die Referatsleiterin, so der RBB, sei weiterbeschäftigt worden, obwohl sie bei ihrer Übernahme in den Landesdienst zu ihrer Stasi-Vergangenheit gelogen hatte – was eigentlich, wie etwa bei zahlreichen Polizisten und Juristen, Lehrern und selbst einfachen Angestellten des Landes geschehen, ein Kündigungsgrund hätte sein können. Die Frau hatte ab 1984 als IM „Kristina“ für die Stasi gespitzelt. Zuletzt sollte sie für die Abteilung XX, die gegen Oppositionelle und Kirchengruppen vorging, aktiv werden.

Baaskes Sprecher verbreitete am Donnerstag, die Rechercheergebnisse von „Klartext“, über die die PNN berichtet hatte, stimmten hinsichtlich der Tätigkeit für die Abteilung XX und die Länge der IM-Tätigkeit nicht. Die Frau habe erklärt, die Stasi habe ihr mit beruflichen Nachteilen gedroht. Sie habe die IM-Tätigkeit 1986 eingestellt und nie für die Abteilung XX sondern nur für die Hauptabteilung II, die Inlands-Spionageabwehr, gearbeitet. Ministeriumssprecher Florian Engels: „Dies ist nach Auskunft der Mitarbeiterin und auf Basis vorliegender Akten – auch der BSTU – falsch.“

Doch es gibt zumindest Zweifel. Denn nach den in der Stasi-Unterlagenbehörde BStU vorliegenden Akten wurde die Akte IM „Kristina“ 1986 (Angelika N. war 31 Jahre alt), von Berlin an die Bezirksverwaltung Potsdam der Staatssicherheit übergeben – zusammen mit der Akte ihres Ehemanns, der ebenfalls als IM tätig war und zeitweise gar selbst IM geführt hatte. In der Akte, auf deren Deckblatt schon gut sichtbar und dick die Abteilung XX vermerkt ist, findet sich ein Aktenvermerk. Gefertigt hat ihn am 27. Januar 1986 der bisherige Führungsoffizier. In dem Vermerk zur Übergabe des spitzelnden Ehepaares heißt es dort: „Am 24.1.1968 wurde mit Gen. Grimmer (Referatsleiter der BV Potsdam, Abteilung XX) eine Absprache betreffs der Übergabe der IMS „Bremer“ und Kristina“ durch unsere Diensteinheit geführt. Gen. Grimmer erklärte sich bereit, beide IM zu übernehmen und beabsichtigt, mit diesen selbst zusammenzuarbeiten. Es wurde vereinbart, daß der gemeinsame Übergabetreff am 21.2.1986, 14.00 Uhr, in der Wohnung der IMS, stattfindet.“

Ob die Übergabe an diesem Tag stattfand, ist nicht bekannt. Abschließend heißt es in dem Vermerk: „Maßnahmen: Aufarbeitung der IM-Akten, um sie über die Abteilung XII des MfS an die BV Potsdam, Abteilung XX, zu übergeben.“

Monate später findet sich ein Eintrag in dem Vorgangsheft des Genossen Grimmer von der Stasi-Bezirksverwaltung Potsdam, der „Kristina“ und deren Ehemann, den IM „Bremer“ weiterführen sollte: Datum des Eintrags für die Akte der „Kristina“ war demnach der 5. Oktober 1986.

Laut Arbeitsministerium habe die Frau angegeben, die IM-Tätigkeit im September 1986 eingestellt zu haben.

Anders als bei abgeschlossenen – also beendeten – IM-Vorgängen, findet sich in dem penibel von den Stasi-Offizieren zu führenden IM-Vorgangsbüchern bei Stasi-Obrist Grimmer kein Eintrag über eine Archivierung also Schließung der Akte in Potsdam. Und nur wenige Tage vor der Aktenregistrierung in Potsdam durch Grimmer schrieb der alte Führungsoffizier in Berlin in sein Vorgangsheft (eine Art Fahrtenbuch für IM), dass er die Akte nach Potsdam („BV Pdm, Abt. XX“) übergeben hat. Auch er hatte also den Vorgang nicht geschlossen, die Akte nicht archiviert. Am 29. September schrieb er in Berlin noch eine „Einschätzung“ zu „Kristina“. Die endet mit folgendem Satz: „Seitens des IM besteht die Bereitschaft, weiterhin mit dem MfS inoffiziell zusammenzuarbeiten.“

Die Stasi-Akte der IM „Kristina“ wurde in Potsdam – nicht in Berlin – in Wendezeiten von Stasi-Offizieren zerrissen. Nur ein Teil ist bisher rekonstruiert.

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