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Brandenburg: Dealer, Hehler, Salafist

Berlins Innensenator braucht Ausdauer im Kampf gegen Islamisten. Gegen einen fällt bald ein Urteil

Berlin - Im Hausflur stehen Fahrräder, vor den Wohnungstüren liegen Schuhe, eine Mutter legt Spielzeug im Hof ab. Die Briefkästen in der Perleberger Straße 14 in Moabit sehen an diesem Tag im Mai so aus, als wären sie gerade erst geleert worden. Nur einer ist mit Anzeigenblättern und Werbezetteln vollgestopft – ausgerechnet der Briefkasten, der dort nicht mehr hängen sollte: „Fussilet 33 e. V.“ steht auf dem Blech.

„Fussilet 33“ bezieht sich auf einen Koran-Vers und ist der Name eines Salafistenvereins. Die Islamistentruppe wurde im Februar von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) verboten. In den vom „Fussilet“-Verein betriebenen Gebetsräumen im Untergeschoss in der Perleberger Straße ging Breitscheidplatz-Attentäter Anis Amri ein und aus. Am Briefkasten steht auch der volle Name von Ismet D., 43 Jahre, Türke.

D. wurde ab 2010 als „Emir vom Wedding“ bekannt, dann zog sein „Fussilet“-Verein nach Moabit. Seit 2015 sitzt D. in Untersuchungshaft, er soll Dschihadisten in Syrien mit Geld, Technik und Rekruten geholfen haben. Den tunesischen Asylbewerber Amri hat D. selbst nicht getroffen. Aber seine Zöglinge in der Perleberger Straße kannten Amri. Nur Stunden vor dem Attentat besuchte der Tunesier die Moschee in der Perleberger Straße.

Islamisten – Berlin, die Polizei und Senator Geisel werden das Problem nicht los. Und vor allem: Die Szenen mischen sich. Dealer, Hehler – und zugleich Salafist? In Berlin keine Seltenheit mehr. So wie Amri als Asylbewerber nach Deutschland kam, sofort mit Schlägereien, Diebstahl, Sozialbetrug loslegte und regelmäßig frommen Imamen lauschte, so tun es – Schätzungen aus Justizkreisen zufolge – Hunderte allein in Berlin.

Erst am Mittwoch wurden bei Razzien neun Männer festgenommen. Sie sollen mit Drogen gehandelt haben – während mindestens vier von ihnen zudem Islamisten seien. Die Männer sind allesamt Flüchtlinge aus dem Irak und Syrien. Dem Polizeipräsidium zufolge griff der Staatsschutz zusammen mit Spezialeinheiten und einer Einsatzhundertschaft in Neukölln, Köpenick und Zehlendorf zu. Auch ein Steakhouse in Mariendorf durchsuchten die Beamten. Elektrogeräte, Drogen und Waffen wurden beschlagnahmt. „Gerade vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion über den Fall Anis Amri ist es mir wichtig zu sagen, dass das Landeskriminalamt eine hervorragende Arbeit macht“, teilte Senator Geisel nach der Razzia mit.

Vor wenigen Tagen hatte Geisel Anzeige wegen etwaiger Strafvereitelung und Urkundenfälschung im Amt gestellt: Staatsschützer sollen Berichte über Amri verändert haben, möglicherweise hätten sie ihn anderenfalls festnehmen und einen Antrag auf Untersuchungshaft stellen können. Jetzt stehe das ganze Landeskriminalamt am Pranger, sagte Geisel bei einem Besuch der Spandauer SPD, und „genau das ist das Ungerechte“, denn die Behörde mache „einen harten Job“. Dass es nun einen Untersuchungsausschuss zu Amri gibt, sei „’ne richtige Entscheidung“, so Geisel – dabei war es im Abgeordnetenhaus die FDP, die den Ausschuss gefordert hatte, die SPD schwieg zunächst. Oder die Videoüberwachung: Da hatte der Innensenator die Kompromisslinie zu beachten, die in seiner Partei die Befürworter und Gegner der Videoüberwachung trennt. Die Linie führt über Ideen wie „mobile Technik“, die auch beim Kirchentag eingesetzt wird, über das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz („nur bei Verdacht auf schwere Straftaten“) bis zu den Bürgerrechten. Geisel sagte: „Die offene Gesellschaft einzuschränken, ist ein Fehler“, dafür gab es Beifall von den Spandauern. Allerdings sollen bald mehr Polizisten eingestellt werden, sodass die Kontaktbereichsbeamten nicht im Streifenwagen mitfahren müssten, sondern zu Fuß auf den Straßen unterwegs sein könnten.

Der Senator will zudem jährlich fünf Millionen Euro statt bisher 400 000 Euro ausgeben, um zu verhindern, dass junge Muslime zu den Salafisten überlaufen. In Moabit wird das vielleicht nur noch wenig helfen: Rund um die Fussilet-Moschee gibt es seit Jahren eine Dschihadistenszene. Deren Männer dürften sich nun in Privaträumen treffen, einige werden die anderen elf, zwölf Berliner Moscheen besuchen, die offen für Salafisten sind. Dass es immer mehr Kontakte zwischen Dealern und Islamisten gibt, zeigte sich diese Woche auch bei einer Polizeiaktion in Kreuzberg. Junge Männer, die meist aus Nordafrika eingereist sind und rund um Stationen der U8 mit Drogen dealen, treffen sich zunehmend mit Berlinern, die als Salafisten beobachtet werden. „Beide Milieus“, sagte ein Ermittler, „werden größer.“ In der nächsten Woche sollen die Plädoyers im Prozess gegen den radikalen Prediger Ismet D. gehalten werden. Das Urteil folgt zügig. Senator Geisel wird es als einer der Ersten lesen. Werner von Bebber/Hannes Heine

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