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Zwangsarbeit für den Sozialismus. Auch in der DDR wurden politische Häftlinge zur Arbeit herangezogen.

© Historische Sammlung der Deutschen Bahn AG/Alfred Schulz

DDR-Häftlingsarbeit bei der Reichsbahn: Eine bleibende Lücke im Leben

Eine Studie der Deutschen Bahn über die Zwangsarbeit politischer Häftlinge bei der DDR-Reichsbahn nimmt auch die frühere Strafvollzugseinrichtung Brandenburg-Görden unter die Lupe. Und die war berüchtigt.

Wenige Jahre vor ihrem Zerfall hat Peter Bosse sich gegen die DDR entschieden. Im Februar 1987 landete er, nachdem er für sich und seine Familie in Schwedt einen Ausreiseantrag gestellt hatte und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, in der Strafvollzugsanstalt Brandenburg. Hier musste er in der Außenstelle des Reichsbahnausbesserungswerks Potsdam als Krananschläger schuften. „Das war eine sehr schwere körperliche Arbeit im Drei-Schicht-System, vorbei an jedem Arbeitsschutz und bei unzureichender Ernährung“, erzählt der 64-Jährige.

DDR-Häftlinge mussten im RAW Potsdam arbeiten

Dass die Deutsche Bahn jetzt eine Studie über die Zwangsarbeit politischer Häftlinge für die Reichsbahn vorgelegt hat, hat ihn aus dem Märkischen Viertel im Norden Berlins zur Buchvorstellung an den Potsdamer Platz gelockt. „Ich war dort aber der einzige Zeitzeuge vom Gefängnis Brandenburg“, erzählt er. „Die Reihen lichten sich.“ Deshalb zeigt Peter Bosse sich ein wenig enttäuscht darüber, „wie die Bahn mit dem Thema umgeht. Die Entschuldigung von Herrn Grube ist da. Aber die Zeit vergeht, und uns geht es natürlich um Entschädigung für die Zwangsarbeit.“

Mit der Studie reagiert die Bahn auf Forschungen über die Zwangsarbeit in DDR-Haftanstalten aus dem Jahr 2014. Damals fand der Politikwissenschaftler Christian Sachse heraus, dass in der gesamten DDR-Zeit politische und kriminelle Häftlinge für die Reichsbahn im Gleisbau und auf Jochmontageplätzen arbeiten oder in den Ausbesserungswerken die Waggons reparieren und verschrotten mussten. Etwa zeitgleich legte Tobias Wunschik von der Stasi-Unterlagenbehörde offen, dass in DDR-Gefängnissen Häftlinge in nicht geringem Umfang für den Westexport Waren produziert hatten. Seitdem fordert der Opferverband UOKG – die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft – die Entschädigung ehemals politisch Inhaftierter.

Brandenburg war zentrale Haftanstalt der Häftlingsarbeit für die Reichsbahn

Dass 1967 die Haftanstalt in Brandenburg zu einem zentralen Ort der Häftlingsarbeit für die Reichsbahn wurde, bestätigt auch die aktuelle Bahn-Studie „Die Reichsbahn und der Strafvollzug in der DDR“. „Mitte der 60er-Jahre hatte die Reichsbahn die Idee, die Gefangenen des größten Gefängnisses der DDR in Brandenburg als Arbeitskräfte zu nutzen und baute zu diesem Zweck ein eigenes Zweigwerk innerhalb des großen Geländes“, erzählt Christopher Kopper, Professor für Geschichte an der Universität Bielefeld und Mitverfasser des Buches.

Bis Ende der 1980er-Jahre mussten hier bis zu 300 Häftlinge Eisenbahnwaggons warten oder auseinandernehmen. Die Haftanstalt stellte damit mehr als die Hälfte der jährlich rund 500 Häftlinge, die die Reichsbahn DDR-weit in Abstimmung mit der Verwaltung Strafvollzug für sich arbeiten ließ. Wie viele davon aus politischen Gründen einsaßen, lässt sich nicht rekonstruieren. Der Anteil politischer Häftlinge war in der als Schwerverbrecherknast berüchtigten Haftanstalt mit unter 20 Prozent vergleichsweise niedrig. Diese wurden, wie in anderen DDR-Haftanstalten auch, häufig drangsaliert. „Die Vorarbeiter, die sogenannten Gefängnisbrigadiere, waren oft Langzeitsträflinge, Mörder und Totschläger, die die politischen Gefangenen oftmals unterjochten und für die schlechtesten Arbeiten ausnutzten“, weiß Christopher Kopper von Zeitzeugen.

Strenge Hierarchie mit Langzeithäftlingen als Vorarbeiter

„Die Regie lag in Brandenburg fest in den Händen der Langzeit-Strafgefangenen“, bestätigt Peter Bosse. Allerdings genossen seiner Erfahrung nach die politischen einen gewissen Schutz: „Die Kriminellen wussten, dass wir in die Bundesrepublik entlassen werden würden und hofften, dass wir dort auf ihr Schicksal aufmerksam machen.“

Dennoch war es für ihn kaum auszuhalten: „Die DDR hat mich kriminalisiert, mich von meiner Frau und den beiden Kindern getrennt und in eine Zehn-Mann-Zelle gesteckt, in der Mörder gefangen waren.“ Einer habe in Leipzig seine Frau mit einem Schraubenzieher umgebracht. „Der hat mir das Essen eingeteilt. Und da jeden Morgen aufzuwachen und eine Arbeit zu verrichten für den Staat, den ich eigentlich schon lange verlassen wollte – das ist heute noch schwer.“

Die Gefangenen erhielten nur einen Bruchteil des Lohns

Der Nutzen der Häftlingsarbeit für die Reichsbahn ist schwer zu beziffern. Sie zahlte zwar den gleichen Lohn an die Strafvollzugsverwaltung wie für freie Beschäftigte, ordnete die Häftlinge aber der untersten Lohnstufe zu. Entscheidend war, dass sie für die gefährliche, schwere Arbeit kaum jemanden gefunden hätte. Die Gefangenen selbst erhielten einen Bruchteil des Geldes. „In der Regel bekamen sie nur 50 bis 60 Mark monatlich für private Einkäufe“, stellt Kopper fest. „Die brauchten sie dringend, weil die Ernährung vitaminarm war, und die Häftlinge auch Zahnpasta und Seife selber kaufen mussten.“ Fündig wurde die Wissenschaftler vor allem in den Landesarchiven, in den Akten des Ministeriums des Innern sowie der Verwaltung Strafvollzug.

Am 23. November 1987 wurde Peter Bosse in der dritten großen Amnestiewelle der DDR, kurz vor dem Besuch Erich Honeckers in der Bundesrepublik, vorzeitig entlassen. Im Februar 1988 durfte er ausreisen. „Die Narben sind da“, erzählt er. „Die Zeit in Brandenburg ist täglich präsent.“ Heute lebt Bosse wieder im Ostteil von Berlin. Für seine Erfahrungen hätten die Menschen dort kaum Verständnis. „Das alles ist lange her. Niemand will das wahrhaben, aber die Betroffenen haben eine Lücke im Leben“, sagt er.

Lesen Sie auch unser Interview mit UOKG-Vizechef Dieter Dombrowski zur Entschädigung der Häftlinge hier >>>

Isabel Fannrich-Lautenschläger

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