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Brandenburg: Das Versagen

Zur HBS-Affäre tagt heute der Landtag in einer Sondersitzung. Der Ministerpräsident sieht Wirtschaftsminister Ralf Christoffers schon vorher entlastet. Dabei hat der versagt – so wie sein Vorgänger Ulrich Junghanns und – vor allem – die Landesinvestitionsbank (ILB). Selbst die Staatsanwaltschaft sieht nicht gut aus. Eine brandenburgische Pleite

In Luckenwalde, eine Autostunde von Potsdam, steht eine Investitionsruine. Wieder einmal in Brandenburg. Hier wollte die Firma „Human Biosciences“ (HBS) 42 Millionen Euro investieren, 81 Jobs schaffen, Wunderpflaster mit Heilwirkung etwa bei Diabetes herstellen. Klar ist heute, dass alles Lug und Trug war. Dass das Land um 6,5 Millionen Euro Fördermittel ärmer ist, von denen 3,2 Millionen Euro im September 2012 flossen und ins Ausland verschwanden. Dass zwei Manager in Haft sitzen. Wer aber ist verantwortlich für die Förderpleite? Sind die Vorwürfe gegen Linke-Wirtschaftsminister Ralf Christoffers „rundum“ entkräftet, wie es vor der Sondersitzung des Landtags jetzt Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) weismachen wollte? Ist das Land nur Kriminellen zum Opfer gefallen? War Brandenburg 2012 wegen des Förderbescheides von 2008 zur Zahlung verpflichtet, wie Woidke und Christoffers sagen?

Das Land als leichtes Opfer von Betrügern

Der Fall HBS ist einer der schwersten Fälle von Subventionsbetrug im Land. Und Regierungschef Woidke erklärte, man müsse prüfen, „wie wir in Zukunft verhindern, dass wir betrogen werden“. Die Frage stellt sich schon länger, gerade seit dem Jahr 2012, das für die HBS-Affäre das Entscheidende war. Denn HBS ist keine Ausnahme. In diesem Jahr 2012 nämlich kam das Landgericht Potsdam mit Prozessen wegen Förderbetruges, bei denen die ILB betrogen wurde, sich hatte betrügen lassen, schon kaum hinterher. Im März wurden zwei Lausitzer verurteilt, weil sie bei einem Wohnpark in Welzow die ILB täuschten und überhöhte Fördermittel kassierten. Seit Frühjahr wurde wegen Betrugs gegen Klaus Liepelt verhandelt, einst Mitbegründer des Meinungsforschungsinsituts infas und „Papst der Meinungsforschung“, wieder war die ILB im Spiel. Bundesweite Schlagzeilen gab es, als im Juni 2012 der Hotelier und frühere Koko-Geschäftsmann Axel Hilpert verurteilt wurde, weil er sich für das Resort Schwielowsee 9,2 Millionen Euro Fördermittel ergaunert hatte, ohne Eigenkapital. Der Richter rügte, als er das Hilpert-Urteil verkündete, dass ILB – und Wirtschaftsministerium – den Betrug durch fehlende Kontrollen leicht machten. Alle hätten also gewarnt sein können. Müssen.

Die merkwürdige Rolle der ILB

Bei der HBS-Affäre gab es – im Gegensatz zum Fall Hilpert – rechtzeitig Hinweise auf Betrug, Unseriosität und fehlende Bonität. Und zwar ehe Millionen durch die ILB ausgezahlt wurden. Vor allem, bevor am 27. September 2012 die letzten 3,2 Millionen Euro flossen. So wusste die ILB seit 2010, bevor die erste 3-Millionen-Euro-Rate gezahlt wurde, dass HBS-Firmengründer J. 2006 in den USA wegen Förderbetrugs verurteilt war. Und dann? J. habe entlastende Unterlagen vorgelegt, erklärte dazu ILB-Vorstand Tilmann Stenger im Landtag. Laut Wirtschaftsministerium hatte der „Geldwäschebeauftragte der ILB „eine Internetrecherche“ durchgeführt, war J. darauf angesprochen worden, der dann ein Entlastungsschreiben seines Anwaltes schickte. Das reichte der ILB. Die Förderbank argumentiert, dass J. für die HBS seitdem „ausschließlich als Berater aufgetreten“ und weder „Geschäftsführer noch Gesellschafter“ der HBS sei. Beim ersten Spatenstich im September 2009 – ein Jahr nach dem ILB-Förderbescheid – trat J. so auf, nämlich als „Dr. M. Jain Investor“, laut HBS-Pressemitteilung, bis heute auf der Homepage der Firma abrufbar. J. beriet nicht nur, er verhandelte direkt für HBS mit ILB, Wirtschaftsministerium und Christoffers, bis 2013. Und bei genauer Prüfung hätte die ILB schon 2010/2011 erfahren können, dass die von HBS als Vertriebswege angegebenen Firmen pleite waren, die Fabrik in den USA keine war, dass es eine Warnung der US-Gesundheitsbehörde gab, weil das Pflaster keine nachgewiesene Wirkung habe und als Heilmittel nicht zertifiziert sei. Seit Frühjahr 2012 hatte die ILB präzise Hinweise auf Förderbetrug. Und zwar nicht nur anonyme, wie jetzt manche behaupten, sondern auch die eines namentlich bekannten früheren Ingenieurs – wonach die Gefriertrockner für das neue Werk, die einen Mammutanteil der Förderung ausmachten, „mit dem rund Zehnfachen ihres tatsächlichen Wertes angegeben wurden“ und die HBS über „kein Eigenkapital“ verfüge. Alles hat sich nunmehr bestätigt. Zwar schaltete die ILB am 3. Arpil 2012 die Staatsanwaltschaft ein und startete eigene Überprüfungen. Doch nach einem Vor-Ort-Besuch und einem Gutachten hielt die ILB im September 2012 den Betrugsverdacht plötzlich für ausgeräumt. Der gravierendste Fehler der Förderbank: Am 27. September 2012 zahlte sie die 3,2 Millionen Euro aus – obwohl laut Förderbescheid von 2008, mit den Änderungen von 2009 und 2011, eine Auflage durch HBS nicht erfüllt war. Zitat: „Bei jedem Mittelabruf sind .... eine Bestätigung der Hausbank über die gesicherte Gesamtfinanzierung sowie eine aktuelle Bonitätsbescheinigung vorzulegen.“ Beides lag nicht vor. Die ILB gab sich – entgegen dem Förderbescheid, in Abstimmung mit Christoffers – mit einer Erklärung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von HBS zufrieden, die bescheinigte, dass die Gesamtfinanzierung für das Projekt stehe. Dabei ruhten auf der Baustelle längst die Arbeiten, drohte HBS am 26. September 2012 gegenüber ILB, Wirtschaftsministerium und Minister Ralf Christoffers mit „Zahlungsunfähigkeit“, falls die nächste Millionenrate nicht bis 1.Oktober 2012 fließe. Und noch am Tag davor, am 25. September 2012, hatte die ILB selbst Bedenken, zu zahlen – dann der Schwenk.

Das Fehlverhalten von Minister Christoffers

Nein, eine direkte Anweisung von Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke), dass die ILB die Millionen an HBS freizugeben hat, wie er es bei der Rettungsbeihilfe für die Solarfirma Odersun getan hatte, findet sich in der HBS-Förderakte nicht. Auch der Lügen-Vorwurf lässt sich nicht eindeutig belegen. Aber belegt ist, dass Christoffers gar nichts unternahm, die Auszahlung der 3,2 Millionen Euro an HBS am 27. September 2012 zu verhindern – obwohl er selbst zwei Tage vor Auszahlung eine Verhandlungsrunde mit HBS, darunter J., leitete und Informationen zu den fehlenden, aber erforderlichen Bank-Nachweisen zur Bonität und Gesamtfinanzierung hatte. So steht es in einer Mail für den Minister vom 25. September 2012. Da war von HBS–Finanzflüssen nach Indien die Rede, nötigen Überprüfungen durch die ILB und: „Zur Zuverlässigkeit der Auftragnehmer liegen keine Informationen vor.“ Christoffers erklärt, dass HBS nach dem Förderbescheid vom 24. Oktober 2008 einen Rechtsanspruch auf Fördermittel hatte, wenn die dort formulierten Auflagen erfüllt seien – genau das war nicht der Fall. Seit Frühjahr 2012 wusste Christoffers von den Betrugshinweisen, laut Schreiben der ILB an die Staatsanwaltschaft vom 3. April 2012: „Anlässlich eines Gesprächs zwischen Herrn Dr. J. und Herrn Wirtschaftsminister Christoffers am 30.03.2012 wurde vereinbart, dass anhand eines zu erstellenden Sachverständigengutachtens eine Wertermittlung der zu fördernden Gefriertrockner erfolgen soll“, steht da. „Herr Christoffers ist über die Mitteilung nach §6 SubvG informiert.“ Das Wirtschaftsministerium sah es laut Unterlagen kritsch, dass die ILB die Gelder für HBS seit April 2012 auf Eis gelegt hatte. In einer Zuarbeit des Ministeriums für Christoffers vom 27. September 2012, es ist der Tag der Freigabe der Mittel durch die ILB, heißt es: „Zeitkritische Finanzierungssituation des Unternehmens ... ist durch Versäumnisse der Bewilligungsbehörde verursacht.“ Eine verhängnisvolle Fehleinschätzung.

Geburtsfehler unter Minister Junghanns

Das kann man kurz machen. Unter CDU-Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns hätte der Förderbescheid 2008 nicht erteilt werden dürfen, hätten Ministerium und ILB die Unseriosität von HBS erkennen können. Eine Woche vor der Landtagswahl 2009 trat Junghanns als einziger Regierungsvertreter beim HBS-Richtfest auf, obwohl der damalige Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) sich solche Termine nicht entgehen ließ. Es sei denn, seine Staatskanzlei hielt Projekte für zu riskant.

Zu später Start der Staatsanwaltschaft

Die Mühlen der Justiz Brandenburgs mahlen langsam, sehr langsam. Die ILB hatte die Staatsanwaltschaft Potsdam am 3. April 2012 detailiert über Betrugshinweise informiert: „EILT! Bitte sofort vorlegen“! Die Förderbank drängte zur Eile: „Da weitere Auszahlungen anstehen und eine Klärung dringend erforderlich ist, sind wir auf die kurzfristige Unterstützung der Ermittlungsbehörden angewiesen.“ Als am 27. September 2012 die ILB die nächste Rate zahlte, war nichts passiert. Erst im November 2012 forderte die Staatsanwaltschaft erstmals Akten an. Das Ermittlungsverfahren, das Anfang 2014 mit der Verhaftung der HBS-Manager endete, begann sogar erst im Sommer 2013. Die Millionen waren längst weg.

nbsp;Thorsten Metzner

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