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Brandenburg: Das Grauen von Jamlitz

Ein Ex-Häftling besuchte früheres KZ bei Cottbus – kurz vor der Gedenkfeier gab es hier zwei Anschläge

Von Sandra Dassler

Cottbus - Fast auf den Tag genau nach 72 Jahren kommt Jakob Richter wieder nach Jamlitz. Im Juni 1944 gehörte der damals 15-Jährige zum ersten Transport jüdischer Häftlinge aus dem KZ Auschwitz-Birkenau in das „Arbeitslager Lieberose“ in Jamlitz nördlich von Cottbus. An dieses Ereignis erinnerte am Samstag eine Gedenkveranstaltung – dort, wo vor Kurzem zwei Anschläge verübt wurden.

„Wir schließen einen rechtsextremistischen Hintergrund der Taten nicht aus“, sagt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Cottbus. Noch aber gibt es keine Hinweise auf den oder die Täter, die am 18. Mai kurz nach 13 Uhr eine zwei Meter hohe Schautafel am Eingang der Gedenkstätte des ehemaligen KZ-Außenlagers Jamlitz-Lieberose im Landkreis DahmeSpreewald in die Luft sprengten.

Es waren vermutlich „Polenböller“, die bei der Aktion am helllichten Tag zum Einsatz kamen. Die Ermittler gehen davon aus, dass es einen Zusammenhang zu dem zweiten Anschlag gut eine Woche zuvor gibt. Damals wurden zwei Informationstafeln der gläsernen Gedenkstätte zerstört. „Wir prüfen natürlich, ob es sich um dieselben Täter handelt“, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft.

In Jamlitz wurden 1944/45 Tausende vorwiegend jüdische Häftlinge durch Zwangsarbeit oder Erschießen getötet. Die Waffen-SS hatte das Lager Ende 1943 als Nebenlager des KZ Sachsenhausen errichtet. Viele Häftlinge des Vernichtungslagers Auschwitz wurden zur Arbeit nach Jamlitz gebracht. Nach dem Krieg wurde das KZ von den Sowjets genutzt. Etwa 10 000 Menschen kamen in das „Speziallager Nr. 6“ – beinahe jeder Dritte fand dort den Tod. Neben Kriegsverbrechern wurden damals viele Menschen zu Unrecht eingesperrt, vor allem Jugendliche und Frauen. Diejenigen, die in der DDR lebten, konnten sich erst nach 1989 um Rehabilitierung bemühen.

Verantwortlich für die Jamlitzer Gedenkstätte ist die evangelische Gemeinde von Lieberose. Pfarrerin Susanne Brusch erzählt, dass sich viele Bürger ehrenamtlich dort engagieren. Deshalb schließt sie aus, dass Einheimische etwas mit dem Anschlag zu tun haben. In den vergangenen beiden Jahren war auch ein zum Gedenken an die ermordeten Häftlinge angelegter jüdischer Friedhof im benachbarten Schenkendöbern geschändet worden. Die Ermittlungen blieben ergebnislos. Dass es sich um dieselben Täter, zumindest aber um dieselben Motive handelt, ist auch deshalb wahrscheinlich, weil in Jamlitz nur die Erinnerungsstätte für ermordete Juden betroffen war. Die für die Opfer des Sowjetlagers blieb verschont.

Seit Beginn der 1990er-Jahre hat sich die Zahl der Anschläge auf Gedenkstätten in Brandenburg stetig verringert. Zuletzt waren im Jahr 2009 zwei Neonazis verurteilt worden, die 2002 und 2008 Anschläge auf die Gedenkstätte „Todesmarsch“ im Belower Wald bei Wittstock verübt hatten.

Der geschätzte Schaden der Zerstörungen von Jamlitz liege bei mehr als 10 000 Euro, sagt Horst Seferens von der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Er fordert angesichts wiederholter Angriffe für die Gedenkstätten in Jamlitz und Schenkendöbern eine Überwachung per Video oder Wachschutz. Zwar stehe bei Orten mit Freiluft-Ausstellungen wie in Jamlitz der freie Zugang für Besucher im Vordergrund. Gleichwohl müssten aber effektive Sicherheitskonzepte greifen. Orte wie Sachsenhausen oder Ravensbrück seien schon durch ihre historische Topografie umfriedet und würden außerdem bewacht. „Wir haben einen Termin bei der Polizei, um über Schutzmaßnahmen zu beraten“, sagt Pfarrerin Susanne Brusch: „Wir wollen aber auch schauen, dass Ehrenamtliche öfter präsent sind, etwa um Gäste zu betreuen.“

Am Samstag ging es aber zunächst um das Gedenken an die Opfer und Überlebenden. Auch Jakob Richter, der aus Chicago anreist, war dabei. Als er vor 72 Jahren das erste Mal in Jamlitz eintraf, begleitete ihn sein Vater. Der kam wenig später im KZ ums Leben. Dieses Mal kam Richter mit seinem Sohn. Sandra Dassler

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