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Eingepackt. Die schicken Polster im Terminal bleiben unbesetzt.

© Sax/AFP

Das BER-Desaster: Am Flughafen muss überall gelöscht werden

Brandherde in allen Ecken: Die Fliesen sind kaputt, der Tower soll schief sein und sogar 1000 Bäume wurden falsch gepflanzt Die Computer wurden immerhin gerettet – doch jetzt kommt auch noch heraus: Am BER fehlt eine Rettungsstelle.

Man verliert ja schnell den Überblick, was jetzt alles kaputt ist am BER. Oder von welchen Gewerken jetzt die Pläne fehlen, welche Kabel wo liegen und wo es wieder reintropft. Und manchmal weiß man gar nicht, ob die neueste Pfuschanekdote vielleicht doch nur eine Legende ist. Eine aktuelle BER–Mängelliste – mit und ohne Gewähr.

Wo ist das Notarztzentrum?

Hier die jüngste Hiobsbotschaft. Jetzt schlagen auch noch Rettungsärzte Alarm, mit Recht: Im Gegensatz zu Frankfurt am Main oder anderen Airports ist auf „Europas modernstem Flughafen“ (Eigenwerbung), der mit 27 Millionen Passagieren pro Jahr starten soll, 60 000 pro Tag, vor Ort kein Notarztzentrum, keine eigene Rettungsstelle samt Ärzten geplant. „Das ist unverantwortlich. Ich verstehe nicht, wie man so etwas machen kann. Wer das entscheidet, wird dafür die Verantwortung tragen müssen“, sagte Prof. Leo Latasch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin, selbst seit 20 Jahren Bereitschaftsarzt auf dem Flughafen Frankfurt am Main, am Mittwoch den PNN. Dort gebe es täglich 80 bis 90 Patienten, nicht nur Passagiere, auch Mitarbeiter, die in der Flughafenklinik versorgt werden.

Das bisherige Konzept für den BER sieht dagegen vor, dass bei einem Notfall etwa im Terminal der 112-Notruf in der Leitstelle Berlin oder Cottbus eingeht, dann zunächst Rettungssanitäter der BER-Flughafenfeuerwehr anrücken – und aus der einige Kilometer entfernten Rettungsstelle in der Gemeinde Schönefeld der parallel alarmierte Notarzt anfahren muss. Zwar versichern der zuständige Landkreis Dahme-Spreewald und die Flughafengesellschaft, dass alle gesetzlichen Verpflichtungen erfüllt werden, innerhalb der vorgeschriebenen 15-Minuten-Frist die Erstversorgung gewährleistet ist. Doch Rettungsärzte wie Präsident Latasch warnen: „Das reicht nicht aus. Ich halte das für verantwortungslos.“

Sollte es dabei bleiben, prophezeit Latasch juristische Konsequenzen. Da bedarf es nur eines klagenden Patienten, sagte er. „Das läuft unter unterlassener Hilfeleistung. Da ist die Rechtssprechung eindeutig.“ Allerdings deutet sich mit den aktuellen BER-Turbulenzen Bewegung an, dass das letzte Wort womöglich noch nicht gesprochen ist. Der Flughafen schließt Nachbesserungen nicht aus. Auf die will Brandenburg nun drängen, das mit Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) den Aufsichtsratschef stellen wird.

Der Landkreis hat Ende 2012 ein Gutachten in Auftrag gegeben. Silvia Enders, Leiterin des Ordnungsamtes, räumt ein: „Ein Notfallkompetenz-Zentrum am Flughafen wäre die beste Variante.“ Ein ähnlicher Konflikt tobt um das Konzept zur Brandbekämpfung: Wenn es im Bahnhof unter dem Terminal brennt, sollen nach dem Willen des Flughafens bislang die freiwilligen Feuerwehren aus den Dörfern der Umgebung anrücken. Gegen eine Auflage des Potsdamer Innenministeriums, dass die Flughafen-Feuerwehr auch dafür zuständig ist, klagt der Flughafen seit Monaten vor dem Cottbuser Verwaltungsgericht. Als ob es keine drängenderen Probleme gäbe. Aber genügend Zeit, die Probleme zu lösen, hat man ja.

Wie lang ist die Liste des Grauens?

Als Technik-Chef Horst Amann im August die Führung übernahm und im September den Eröffnungstermin im Oktober 2013 festlegte, kannte er wohl noch nicht alle Probleme auf der Flughafenbaustelle. Am Ende konnte er nicht anders, als die Reißleine ziehen. Die „fast grauenhaften“ Probleme, wie er sie nennt, haben sich erst nach und nach gezeigt, es wurden immer mehr. Inzwischen schließt Amann einen vollständigen Umbau nicht mehr aus, zumal an mehreren Stellen gegen die behördliche Baugenehmigung verstoßen worden ist. Um alle Mängel überhaupt zu erfassen, müssen möglicherweise sogar Decken, Schächte, Böden und Wände aufgerissen werden. Die Liste des Grauens ist also noch nicht einmal vollständig, alle Fehler sind noch nicht erfasst. Das aber ist Grundlage dafür, um überhaupt neue Pläne erstellen zu können und dann weiterarbeiten zu können.

Die Brandschutzanlage

Fest steht: Es wurde abweichend von der Baugehmigung gebaut, die Frischluftzufuhr funktioniert nicht, für einige Teile ist die Betriebszulassung schon wieder abgelaufen. Die Komponenten von Bosch und Siemens funktionieren jeweils für sich, aber nicht miteinander. Eine Genehmigung wird die Baubehörden für diese Anlage jedenfalls nicht erteilen, wie sie selbst mitteilte. Denn es ist keineswegs sichergestellt, dass im Brandfall 15 Minuten lang eine 2,15 Meter hohe rauchfreie Schicht entsteht, damit das Terminal evakuiert werden kann. Vielmehr entstehen am BER Verwirbelungen. An mehreren Stellen muss von geschossübergreifenden Lösungen auf geschossweise Anlagen umgestellt. Selbst Planer räumten ein, dass man wegen vieler Änderungswünsche der BER-Geschäftsführung bis Sommer 2012 bis an den Rand des technisch machbaren gegangen sei. Auch bei der Sprinkleranlage muss nachgesteuert werden: Neue Leitungen sind nötig, weil zusätzlich Sprinklerköpfe eingebaut werden.

Wird der Beton aufgerissen?

Folgenreich sind auch Fehler beim Einbau der insgesamt 60 Kilometer langen Kühlleitungen. Diese haben keine Dämmung, die aber nötig ist. Die Leitungen sind aber nicht nur unter den Decken, sondern auch im Mauerwerk verlegt worden. Ob die Betonwände dafür wieder aufgebrochen werden müssen, steht noch nicht fest. Dies trifft auf ein weiteres Problem zu: Auch die Brandschutzbeschichtung von Stahlträgern ist fehlerhaft. Überdies müssen die Kabelschächte erneuert werden, diese sind in der Chaosphase auf der Baustelle bis Mai 2012 völlig überlastet und gegen jede Vorschrift mit Leitungen versehen worden.

Welche neuen Probleme gibt es?

Weniger dramatisch ist es an anderer Stelle, etwa beim Kühlsystem und der Tankanlage unter dem Rollfeld des Flughafens. Beim Kühlsystem für die IT-Technik muss draufgesattelt werden, um zu verhindern, dass die Technik im Sommer überhitzt und notabgeschaltet werden muss. Die Kühlagregate sind unterdimensioniert, jetzt soll nachgerüstet werden. Und für die Tankanlage mit ihrem kilometerlangen Leitungssystem fehlen noch Sicherheitsnachweise, es gibt auch Probleme mit Rohrverbindungen. Beide Probleme waren nach Angaben der Flughafengesellschaft aber für die Eröffnung im Oktober 2013 nicht „terminkritisch“ und lassen sich beheben. Das trifft auch für zu kurze Rolltreppen in dem unterirdischen Bahnhof oder die undichten Belüftungsschächte zu, durch die bei Regen Wasser in den Bahnhof läuft. Auch das Datennetzwerk, über das der Flughafen gesteuert wird, läuft noch nicht rund, hier muss ebenfalls noch nachgerüstet werden.

Was passiert mit der Technik?

Auch die Fußbodenfließen zeigen erste Schäden – weil die Schutzabdeckung fehlt. Durch die Fahrten mit Baugeräten wie Gabelstapler zeigen sich Risse. Zumindest sensible Technik wie Check-in-Geräte, Gepäckbänder oder Röntgenapparate wurden rechtzeitig vor Beschädigungen durch die Umbauarbeiten geschützt oder weggeschafft. Alle Check-in-Geräte sind durch Folien geschützt. Die Gepäckbänder laufen regelmäßig, damit sie keinen Schaden nehmen. Der Zoll hat im Sommer 2012 eigens angeschaffte Ausstattung wie Schreibtische, Schreibtischstühle und IT-Technik in verschiedenen Zollliegenschaften eingelagert. Mittlerweile wird die Technik in anderen Dienststellen eingesetzt, unter anderem am Flughafen Tegel, wo durch erhöhtes Fluggastaufkommen und Erweiterungsbauten ein Bedarf besteht. Andere bereits eingebaute Anlagen am BER seien „gegen Beschädigung und Verschleiß geschützt“ worden. Dazu zählen zwei Gepäckröntgengeräte im Wert von je rund 50 000 Euro. Derzeit wird geprüft, ob die Geräte ausgebaut und zu anderen Dienststellen gebracht werden.

Gibt es keine guten Nachrichten?

Wie man’s nimmt. Manchmal wird einfach gnadenlos übertrieben, auch wenn auf der BER–Baustelle ja so einiges möglich ist, was man vorher nicht für möglich gehalten hat. Aber entgegen aller Gerüchte kann man – nach jetzigem Stand – sagen: Der Tower ist nicht schief, es steht kein Wasser im Keller, das Terminal versinkt nicht, die Landebahn ist nicht unterspült und senkt sich nicht.

Die letzte Meldung

Eine Bestätigung gab es bislang nicht dafür: Aber nun sollen auch noch von den Landschaftsgärtnerfirmen rund 1000 Bäume am BER falsch gepflanzt worden sein, oder besser: Es sollen falsche Arten und Sorten sein. Das Problem: Sie sind gut angewachsen, eine Komplettrodung lässt sich nur schwer rechtfertigen. Deshalb: Ein Teil bleibt stehen, 600 Bäume aber sollen herausgerissen werden.

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