zum Hauptinhalt

Coronakrise: Brandenburg geht in die Selbstisolation

Schulen, Kitas, Hochschulen, Nahverkehr: In allen Bereichen des öffentlichen Lebens wird es wegen der Coronakrise Einschränkungen geben. Ein Überblick.

Potsdam - Brandenburgs Kenia-Landesregierung unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) schaltet wegen der Corona-Pandemie in den Krisenmodus um. Auf einer Sondersitzung des Kabinetts am Freitag in Potsdam wurden weitere Einschränkungen für das gesellschaftliche Leben im Land beschlossen, darunter die Schließung der Schulen wie in Berlin und den meisten anderen Bundesländern. Woidke, der auch Präsident des Bundesrates ist, sprach von der „größten Herausforderung in der Geschichte der Bundesrepublik seit ihrer Gründung“. Was kommt auf die 2,5 Millionen Brandenburger jetzt zu?

Wann schließen die Schulen und Kitas in Brandenburg?

Ab nächsten Mittwoch. Dann findet an den 863 allgemeinbildenden Schulen, an denen rund 240 000 Kinder und Jugendliche lernen, kein regulärer Unterricht mehr statt. Auch in den rund 1900 Kindertagesstätten findet ab Mittwoch keine reguläre Betreuung mehr statt. Das alles gilt zunächst bis zum Ende der Osterferien am 19. April. Die Kinder und Jugendlichen seien selbst nicht durch das Coronavirus gefährdet, betonte Ministerpräsident Woidke und bat bei den Bürgern um Verständnis für die „schwere Entscheidung“. „Ich weiß, dass das für viele Menschen Härten bedeutet.“ Der Schritt sei dennoch notwendig, um das Verbreiten des Coronavirus zu verlangsamen, da Schulen und Kitas ein sozialer Raum seien, wo sich Generationen treffen. Dass die Schulen und Kitas nicht sofort geschlossen werden, begründete Woidke damit, den Kommunen, aber auch Schulen und Eltern noch Zeit zu geben, Vorbereitungen zu treffen. So könnten Lehrer den Montag und den Dienstag noch nutzen, um Wochenpläne für die Schüler zu erarbeiten. Einigen Schulen, in denen es Corona-Verdachtsfälle gibt, werden vorher geschlossen. Das gelte etwa für Potsdam, hieß es. 

Gibt es eine Notbetreuung für die Kinder von Eltern, die nicht freinehmen können?

Es soll eine Notbetreuung geben, die bis Mittwoch vorbereitet und organisiert werden soll. Allerdings wurde diese Möglichkeit auf der Pressekonferenz der Landesregierung einschränkt für Kinder, deren Eltern in für das Funktionieren des Staates in den nächsten Monaten dringend nötigen Jobs arbeiten, so wie Krankenschwestern, Pflegekräfte, Polizisten. Auch für Kinder mit Behinderungen soll es Betreuung geben. Welche Berufsgruppen genau die Notbetreuung in Anspruch nehmen dürfen und wo und wie sie abgesichert werden soll, ist noch nicht endgültig abgestimmt. Das genaue Vorgehen soll bei einem für den heutigen Samstag angesetzten Corona-Krisentreffen von Landesregierung, Landräten, Oberbürgermeistern, kommunalen Spitzenverbänden, Kassenärztlicher Vereinigung und Landeskrankenhausgesellschaft besprochen werden.  Wessen Kind wird betreut oder nicht? Das wird eine schwierige Entscheidung, zumal alle vermeiden wollen, dass die Kinder nun zu Hause von den zu den Risikogruppen zählenden Großeltern betreut werden. 

Bekommen die Eltern finanziellen Ausgleich bei Verdienstausfall?

Ministerpräsident Woidke war sichtlich bemüht, bei der Pressekonferenz entsprechende Erwartungen in dieser Hinsicht zu dämpfen. „Die Frage von Verdienstausfällen von Eltern werden wir beachten müssen“, so Woidke. Es werde aber nicht gelingen, alle Härten auszugleichen, was Eltern angehe, die wegen der Betreuung ihrer Kinder zu Hause bleiben müssen. Zuvor hatte der Landeskitaelternbeirat gefordert, dass Eltern durch Kita- und Schulschließungen keine beruflichen Nachteile erleiden dürften. Der Verdienstausfall der Eltern müsse kompensiert werden, sagte Landeselternsprecher Danilo Fischbach den PNN. Unternehmen müssten schnelle Lösungen für Arbeit im Homeoffice bieten. Die Schließung der Einrichtungen als Präventionsmaßnahme sei „richtig und wichtig“, aber die Eltern müssten dennoch entlastet werden. 

Was wird mit den Abiturprüfungen, die im April anstehen?

Die Abiturprüfungen 2020 werden nicht abgesagt. Das betonte Bildungsministerin Britta Ernst (SPD). Es bleibe dabei, dass die Abiprüfungen wie geplant ab 20. April losgehen und abgelegt werden können. Schon jetzt seien Nachprüftermine für den Mai vorgesehen. Man werde anbieten, die Prüfungen im April zu absolvieren oder auf den Mai auszuweichen, sagte Ernst. „Das Abitur in Brandenburg ist überhaupt nicht gefährdet.“ In der Kultusministerkonferenz aller Bundesländer habe man sich bereits verständigt, das Sonderabitur 2020 gegenseitig anzuerkennen. 

Was ist mit den Hochschulen? 

Wie Berlin verschiebt nun auch Brandenburg seinen Semesterstart, wie Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) am Freitag mitteilte. Der Beginn der Präsenzveranstaltungen im Sommersemester 2020 an den staatlichen Fachhochschulen und Universitäten wird bis zum 20. April 2020 verschoben. Dies betrifft sowohl Lehrveranstaltungen, als auch Tagungen und andere öffentliche Veranstaltungen. Alle aktuell laufenden bis dahin geplanten Präsenzlehrveranstaltungen werden verschoben oder im Online-Format fortgesetzt. Darauf hätten sich das Wissenschaftsministerium und die Hochschulen gemeinsam verständigt, so Schüle. Den privaten Hochschulen werde empfohlen, ihren Semesterstart analog zu verschieben. Der Forschungsbetrieb, die Verwaltung sowie die Bibliotheken an den Hochschulen sollen zunächst weiterhin aufrechterhalten werden. 

Warum hat die Landesregierungso lange gezögert?

Noch am Donnerstag hatte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) betont, dass sie von flächendeckenden Kita- und Schulschließungen wenig halte, da unter anderem medizinisches Personal gebunden würde, das dann bei den Kindern zu Hause bleiben müsste. Zudem gebe es in Brandenburg viele berufstätige Frauen und Alleinerziehende, für die eine Absicherung der Kinderbetreuung schwer zu bewältigen sei. Mit regionalen Unterschieden argumentierte die Staatskanzlei noch am Freitagmorgen gegen landesweite Schulschließungen. Das Umdenken habe allerdings schon am Donnerstagabend eingesetzt, erklärten Nonnemacher und Woidke, da auch Experten unter dem Eindruck der Entwicklung in Italien ihre Meinung hinsichtlich der Wirksamkeit von Schulschließungen geändert hätten, etwa Christian Drosten, Virologe der Berliner Charité. Das Land habe gehofft, um so drastische Maßnahmen herumzukommen, so Woidke, „aber wir dürfen nicht glauben schlauer zu sein als die Experten“. 

Welche Maßnahmen ergreift Brandenburg sonst noch?

Nach einer Allgemeinverfügung von Gesundheitsministerin Nonnemacher sind wie berichtet am Donnerstag in Brandenburg Großveranstaltungen ab einer Teilnehmerzahl von 1000 Menschen bis auf weiteres untersagt. Veranstaltungen mit mindestens 100 Teilnehmenden müssen den Kreisbehörden schriftlich angezeigt werden. Außerdem gilt ab sofort für alle Reiserückkehrer: Personen, die sich innerhalb der letzten 14 Tage in einem Risikogebiet oder einem besonders betroffenen Gebiet wie dem Landkreis Heinsberg in Nordrhein-Westfalen aufgehalten haben, dürfen für einen Zeitraum von 14 Tagen beginnend ab der Rückkehr Einrichtungen wie Kitas, Schulen, Hochschulen, Heime, Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen nicht betreten. Das Kabinett reaktiviert zudem für den Kampf gegen Corona den bereits bei Hochwassern und großen Waldbrandlagen bewährten zentralen Krisenstab, der ab dem heutigem Samstag seine Arbeit aufnimmt und von Nonnemacher geführt wird. Auch das Innenministerium ist eingebunden. Die Krankenhäuser bereiten sich nach ihren Worten auf „einen Ansturm von schwer Erkrankten“ vor. In Brandenburg gibt es laut Nonnemacher auf Intensivstationen 701 Betten und 502 Beatmungsplätze. Es werden Zelte außerhalb der Notaufnahmen vorbereitet, hieß es. Das Land habe 644 000 Atemschutzmasken bestellt. Um Engpässe bei der Belieferung des Handels zu vermeiden, lockert das Land das Sonntagsfahrverbot für Lkw.

Wie viele Menschen in Brandenburg gelten offiziell als infiziert? 

Bis zum Freitagabend waren bereits mehr als 40 Menschen registriert, die mit dem Virus Sars-CoV-2 infiziert sind, berichtete das Gesundheitsministerium. Die kommunalen Gesundheitsämter ermittelten der Mitteilung zufolge in allen Fällen sowohl mögliche Kontaktpersonen als auch Zusammenhänge zu bislang bekannten Fällen. Von den 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten haben bislang insgesamt zwölf Infektionsfälle gemeldet, die meisten Infizierten (12) hat bislang die Stadt Cottbus registriert. 

Wie geht es mit demöffentlichem Nahverkehr weiter? 

In Brandenburg sind bisher keine Einschränkungen vorgesehen. Der Berliner Senat will den öffentlichen Nahverkehr „auf ein Mindestmaß reduzieren“, dazu solle ein Konzept erstellt werden, teilte die Senatskanzlei am Freitagmorgen mit. „Der Fokus soll auf den Schienenverkehr gelegt werden“, hieß es weiter. Einen Termin, wann dies umgesetzt werden solle, wurde nicht mitgeteilt. Nach Informationen dieser Zeitung hat der Senat in den vergangenen Tagen bei der BVG abgefragt, wo die wichtigsten Verkehrsströme sind und an welchen Punkten wie viele Menschen einsteigen. „Wir warten jetzt auf Entscheidungen“, sagte eine Sprecherin. Es sei unproblematisch, den Betrieb bei einzelnen Verkehrsmitteln zu reduzieren oder ganz einzustellen. Sollte die BVG die Anweisung bekommen, den Busverkehr ganz einzustellen, sei dies die gleiche Situation wie an den Streiktagen im vergangenen Jahr, als Verdi die BVG bestreikt hatte. Auch bei den Schienenverkehrsmitteln Straßenbahn und U-Bahn könne leicht zum Beispiel jede zweite Fahrt gestrichen werden. Allerdings werden die verbleibenden Bahnen dann natürlich um so voller sein, hieß es – was die Ansteckungsgefahr wiederum erhöht. Noch am Donnerstag hatte Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) im Verkehrsausschuss etwas ganz anderes gesagt, als der Regierende am Freitag: Demnach solle der ÖPNV „so lange wie möglich aufrechterhalten werden“, damit medizinisches Personal und Polizisten an ihren Arbeitsplatz gelangen können. In einem ersten Schritt hatte die BVG, wie berichtet, am Mittwoch das Einsteigen beim Fahrer und den Verkauf von Tickets durch ihn gestoppt. Falls es zu Einschränkungen des Betriebs durch erkrankte Fahrer gebe, seien Notfallpläne vorhanden, so Günther am Donnerstag weiter. Nach Angaben der BVG sei noch keiner der 15000 Mitarbeiter erkrankt.

Wie steht es mit Desinfektionsmittelnim Nahverkehr? 

Die BVG will das nicht. Über ihren Twitter-Kanal BVG Kampagne („Weil wir dich lieben“) teilte die BVG bereits am Donnerstag kurz und flapsig mit: „Ist aktuell nicht geplant. Wer aber will, kann sich natürlich Desinfektionsmittel mitnehmen selbst. Auch Handschuhe können für das Festhalten und Öffnen von Türen relevant sein.“ Die S-Bahn teilte am Freitag mit, dass ab sofort die Türen fast aller Züge sich am Bahnsteig automatisch öffnen. So müssen Fahrgäste nicht mehr mit der Hand den Knopf zum Öffnen drücken. Nur bei den Zügen der DDR-Baureihe 485 funktioniert dies nicht, diese Wagen fahren auf den Linien S46, S47, S8 und S85. Die BVG wird ihre Türen nicht automatisch öffnen, da das in den meisten U-Bahnen nicht funktioniert.

Kann es auch zu einer völligen Einstellung des ÖPNV kommen? 

Experten sehen das kritisch. Dann wären viele Berliner Ortsteile am Stadtrand völlig abgehängt. Ein Verkehrsplaner nannte Kladow, die beiden Spandauer Großsiedlungen Falkenhagener Feld und Heerstraße, Hakenfelde, und die Reinickendorfer Ortsteile Konradshöhe und Tegelort als Beispiele. Es sind die Teile in der Stadt, die 2019 besonders unter dem Verdi-Streik beim Busbetrieb der BVG gelitten hatten. In den Ostbezirken sei die Situation etwas besser, da dort noch die Straßenbahn eine wichtige Funktion hat. Ortsteile wie Müggelheim, Rahnsdorf, Biesdorf-Süd und Kaulsdorf-Süd seien jedoch nur per Bus zu erreichen – aber auch das Klinikum Buch. 

Wie werden Risikopatienten zu Hause jetzt geschützt? 

Die ambulanten Pflegedienste versuchen, ihr Angebot an die neue Situation anzupassen – und das heißt: es zu beschränken, wo es geht. 

Für die einzelnen Hausbesuche wurden die Sicherheitsmaßnahmen bei einigen Anbietern erhöht, bei den meisten nicht. Viele sparen an Mundschutz und Handschuhen, wenn kein Infektionsrisiko besteht, um die Vorräte nicht zu schnell schrumpfen zu lassen. Es zeige sich jetzt schon, dass die Vorräte an Mundschutz und Desinfektion zur Neige gingen und nicht genug für Nachbestellungen am Markt verfügbar sei. 

Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Wirtschaft? 

Schon jetzt hat die Corona-Krise gravierende Auswirkungen. So hat die Geschäftsführung von Tropical Islands nach einer Mitteilung des Landkreise Dahme-Spreewald „beschlossen, den laufenden Gastbetrieb einschließlich des Hotelbetriebes zunächst bis einschließlich 19. April 2020 auszusetzen“. In dem Freizeitresort waren bereits im Februar auch Corona-Abstriche von mehr als 100 Mitarbeitern genommen worden, nach dem ein Infizierter aus Nordrhein-Westfalen dort zu Gast gewesen war. Alle Tests waren aber negativ ausgefallen. In der kommenden Woche sollte für die geplante Tesla-Gigafabrik in Grünheide (Oder-Spree) im Rahmen des laufenden Genehmigungsverfahrens eine große Anhörung mit hunderten Bürgern in Erkner stattfinden, die erst einmal abgesagt wurde. „Es wird einen neuen Termin geben“, sagte Woidke. „Auf den Zeitplan hat das keine Auswirkungen.“ Die Einbußen für die Wirtschaft seien insgesamt schon deutlich, so Woidke. Im Landeshaushalt sollen Mittel für die Gewährung von Darlehen zur Liquiditätssicherung von Unternehmen eingestellt werden. 

Gibt es Auswirkungen auf die Nato-Übung Defender, die auch Brandenburg betrifft? 

Ja, nun doch. Die Truppenbewegungen der US-Streitkräfte für die Großübung „Defender Europe 20“, bei der Konvois in Lehnin (Potsdam-Mittelmark) Station machen sollten, seien „faktisch ausgesetzt“, teilte die Bundeswehr am Freitag mit. Es würden absehbar keine weiteren Schiffe in Belgien und den Niederlanden entladen, noch weitere Soldaten auf deutschen Flughäfen eingeflogen. Mit wenigen Ausnahmen seien die Truppenbewegungen in Deutschland abgeschlossen. In enger Abstimmung mit allen an dem Manöver beteiligten Nationen werde zeitnah über das weitere Vorgehen entschieden, hieß es in einer Bundeswehr-Erklärung weiter. Bereits am Mittwoch hatte das US-Verteidigungsministerium erklärt, die Zahl der US-Soldaten zu reduzieren. An dem Manöver, das in Deutschland, Polen und den baltischen Staaten abgehalten werden soll, sollen rund 37000 Soldaten aus 18 Nato-Staaten teilnehmen. Die USA wollten mehr als 20000 Soldaten nach Europa entsenden.

Zur Startseite