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Der Richter will unter anderem prüfen lassen, ob die Maskenpflicht in jedem Fall rechtens ist.

© Sebastian Gabsch

Corona-Regeln in Berlin und Brandenburg: Kontroverse nach Richter-Beschwerde beim Verfassungsgericht

Vorerkrankte, die auf Impfung hoffen, lehnen das Vorgehen eines Richters aus Brandenburg gegen die Corona-Regeln ab. Sein Arbeitgeber, das Landgericht Berlin, hält sich mit einer Bewertung zurück.

Potsdam/Berlin - Die Verfassungsbeschwerde eines Berliner Richters gegen mehrere Corona-Regeln der Länder Brandenburg, Berlin und des Bundes löst heftige Debatten aus. Johannes Igel ist empört. Durch eine Aussage in der 190 Seiten umfassenden Schrift fühlt er sich „verhöhnt“, wie er sagt. Es ist eine Passage, in der es um Impfungen gegen das Virus geht. 

„Dabei wird verkannt, dass die im Schnellverfahren entwickelten Impfungen selbst ein nicht zu unterschätzendes Gefahrenpotenzial bergen. Keiner will, dass sich Fälle wie mit dem Schmerzmittel Contergan wiederholen“, heißt es in der Beschwerde, die wie berichtet im Dezember beim Bundesverfassungsgericht eingegangen ist

„Das ist eine Unverschämtheit“, sagt Johannes Igel. Der 59-Jährige lebt in Storkow, im brandenburgischen Landkreis Oder-Spree. Der Frührentner ist selbst Contergan-Geschädigter. Weil seine Mutter während der Schwangerschaft das Schlafmittel eingenommen hat, sei er zu 80 Prozent körperlich beeinträchtigt. 

Einen der größten Arzneimittelskandale in der Bundesrepublik mit den Corona-Impfungen in Verbindung zu bringen, halte er für völlig unangemessen. Denn als das Schlafmittel Contergan in den 1950er Jahren eingeführt wurde, habe es in Deutschland keine Zulassungsbehörde für Arzneimittel gegeben. Der Corona-Impfstoff sei jedoch von mehreren Behörden weltweit geprüft und zugelassen worden

„Ich selbst werde mich impfen lassen und stehe voll hinter den Maßnahmen der Corona-Einschränkungen“, sagt der Brandenburger. Contergan-Geschädigte kämpfen derzeit beim Bundesgesundheitsministerium darum, als Risikogruppe anerkannt und schnellstmöglich eine Impfung zu erhalten, so Igel.

Der Brandenburger Pieter Schleiter, Strafrichter am Berliner Landgericht, hat seine Verfassungsbeschwerde als Privatperson eingereicht. Er sagt zu den Vorwürfen auf Anfrage: „Es liegt mir fern, Menschen zu verhöhnen. Es geht mir gerade um den Schutz von uns allen.“ Nicht umsonst dauere die Entwicklung und Zulassung eines unbedenklichen Impfstoffes etwa acht bis 17 Jahre. Wo wissenschaftliche Forschung nicht hinreichend vor einem Praxiseinsatz gegengeprüft sei, drohten schlimme Schäden. „Das muss rechtlich verhindert werden“, sagt er. 

Auf die Frage, warum er in Kauf nehme, dass seine Beschwerde, die er in dem Podcast „indubio“ auf dem Blog „Die Achse des Guten“ am Donnerstag vorgestellt hat, Zuspruch bei Corona-Leugnern und Verharmlosern der Pandemie findet, antwortet der 43-Jährige: „Als Jurist bevorzuge ich eine Sprache mit klaren Wortbedeutungen ohne suggestive Inhalte und ohne Framing." 

Die genannten Wörter benutze er nicht. „Ich halte sie auch für schädlich, da sie unsere Gesellschaft spalten und eine dringend nötige offene, sachliche und einander zugewandte Debatte unter den Menschen erschweren“, sagt er. Abgesehen davon gelte Folgendes: „Würde man seine eigenen Äußerungen davon abhängig machen, ob auch die Falschen applaudieren, könnte man nichts mehr sagen.“

Das Landgericht Berlin beurteilt die Beschwerde inhaltlich nicht 

Sein Arbeitgeber bewertet die Inhalte von Schleiters Schreiben nicht. Der Präsident des Landgerichts Berlin nehme inhaltlich keine Kommentierung dazu vor, dass ein Richter des Gerichts eine Verfassungsbeschwerde gegen bestimmte Corona-Regeln erhoben habe, teilt Sprecherin Lisa Jani auf Anfrage mit. Für das Landgericht seien zum Schutze der Bediensteten und der Gerichtsbesucher alle nach den Corona-Regeln notwendigen Maßnahmen getroffen worden. 

Unabhängig davon sei festzuhalten, dass auch Richterinnen und Richter dem Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) unterliegen. „Sie dürfen von ihnen als verfassungswidrig angesehene Rechtsnormen einer verfassungsgerichtlichen Prüfung unterziehen“, so die Sprecherin. Schleiter hat, wie berichtet, gegen eine ganze Reihe von Regeln, nämlich gegen Bestimmungen des Infektionsschutzgesetzes, die Sars-CoV-2-Eindämmungsverordnung und die Sars-CoV-2-Quarantäneverordnung des Bundeslands Brandenburg, die Sars-CoV-2-Verordnung Berlin sowie gegen das Handeln der Bundeskanzlerin und der 16 Ministerpräsidenten seit Beginn der Pandemie eingelegt. 

Ist das Mäßigungsgebot verletzt? 

„Die Einhaltung der zur Eindämmung von Corona beschlossenen Regelungen ist angesichts des derzeitigen Infektionsgeschehens grundsätzlich zumutbar“, sagt Katrin-Elena Schönberg, Vorsitzende des Berliner Landesverbandes des Richterbundes. Es stehe Richtern und Staatsanwälten zwar frei, sich eine Meinung zu bilden, die angeordneten Maßnahmen zu kritisieren und dafür auch die rechtlichen Möglichkeiten wahrzunehmen und eine Verfassungsbeschwerde einzulegen. 

„Zu beachten ist aber stets das Mäßigungsgebot, dem Richter unterliegen“, sagt Schönberg, die selbst Richterin am Kammergericht Berlin ist. „Sie haben sich innerhalb und außerhalb des Amtes, auch bei politischer Betätigung, so zu verhalten, dass das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit nicht gefährdet wird.“ Ob Schleiters Beschwerde dagegen verstoße, könne sie mangels Kenntnis des genauen Inhalts nicht beurteilen.

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