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Polizisten und Demonstranten bei einer Kundgebung am 18. Dezember 2021 in Cottbus. 

© Frank Hammerschmit/dpa

Corona-Proteste in Brandenburg: Bei Telegram auf Bürgerfang

Die Proteste gegen Corona-Maßnahmen in Brandenburg sind von Teilnehmern aus dem bürgerlichen Spektrum dominiert, betonen Verfassungsschutz und Polizei. Aber Rechtsextreme versuchen die Versammlungen für sich zu nutzen.

Potsdam - Sie teilen Aufrufe zu Corona-Demos oder unangemeldeten, als „Spaziergänge“ kaschierten Zusammenkünften in Kanälen wie Telegram und sind auch selbst zugegen. Die Liste der rechtsextremistischen Akteure, die Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller am Mittwoch im Innenausschuss des Landtags aufzählt, ist lang: Die Kleinstpartei Der III. Weg, aber auch die Initiative Ein Prozent der Neuen Rechten, die Identitären, das von AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt gegründete Bündnis Zukunft Heimat, die NPD-Jugendorganisation JN und das in Werder/Havel ansässige Compact-Magazin von Jürgen Elsässer. Sie alle versuchen demnach legale Corona-Proteste auszunutzen, „um extremistische Positionen anschlussfähig zu machen“, so Müller. 

In Cottbus mischt die bekannte "Mischszene" mit 

Vor allem, dass der als gewaltbereit eingestufte III. Weg es etwa in Wittstock (Ostprignitz-Ruppin) geschafft habe, dass Bürger mit ihm gemeinsam demonstrieren, sei bedenklich. In Cottbus sei bei den Versammlungen die bekannte „Mischszene“ aus Neonazis, Hooligans, Kampfsportlern und Bruderschaften aktiv, so Müller. Dieses „toxische Gebilde“ versuche, das bürgerliche Milieu zu gemeinsamen Versammlungen zu bringen. 

Keine Zunahme der Teilnehmerzahlen 

Der Verfassungsschutzchef betont aber auch: Die Extremisten seien bei den Corona-Protesten in Brandenburg „in absoluter Minderzahl“. Auch eine Spaltung der Gesellschaft könne er nicht wahrnehmen, da nur etwa ein Prozent der Brandenburger gegen die Maßnahmen demonstriere. Der Großteil der Teilnehmer bei den Demonstrationen seien keine Extremisten, sagt auch Innenstaatssekretär Uwe Schüler (CDU). „Das bürgerliche Spektrum geht momentan auf die Straße.“ Eine Zunahme der Teilnehmerzahlen sei bislang nicht festgestellt worden. Vom 17. bis 23. Dezember seien 94 Versammlungen mit rund 32 500 Beteiligten, vom 24. bis 30. Dezember 97 Versammlungen mit rund 22 700 Teilnehmern und vom 31. Dezember bis 4. Januar 95 Versammlungen mit rund 24 500 Beteiligten in Brandenburg erfasst worden. Allerdings, so Schüler, nehme die Zahl der nicht angemeldeten Veranstaltungen sprunghaft zu. Auch solche „Spontanversammlungen“ seien zulässig, sofern sie nicht die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdeten. 

Gewerkschaftskandidatin warnt vor Überlastung der Polizei 

Es sei zu befürchten, dass die Vielzahl der Aufzüge „den Polizeiapparat irgendwann lahmlegen“ könnte, sagte die Spitzenkandidatin für den Vorsitz der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg, Anita Kirsten, der rbb-Welle Radio 1 am Mittwoch. Für andere Aufgaben der Polizei könnte dann möglicherweise das Personal fehlen. Allein für die laufende Woche seien mehr als 50 Demonstrationen gegen die Corona-Politik offiziell angemeldet, sagte sie. Zusätzlich würden noch einmal doppelt so viele unangemeldete Aufzüge erwartet. Dies führe zu einer hohen Arbeitsbelastung für die Polizei. Auch die Kontakte zwischen Menschen, die das Infektionsgeschehen antreiben könnten, nähmen dadurch zu. Insgesamt sei die Stimmung bei den Versammlungen mit Corona-Bezug in Brandenburg noch weitestgehend friedlich, sagten sowohl Kirsten als auch Staatssekretär Schüler.
Die Abgeordneten Andrea Johlige (Linke) und Marie Schäffer (Grüne) monierten im Ausschuss, bei den Bürgern entstehe teilweise der Eindruck, dass die Polizei die Einhaltung der Corona-Maßnahmen gerade bei nicht angemeldeten Versammlungen nicht rigoros genug durchsetze. „Man darf sich nicht mit mehr als zehn Personen zu Silvester treffen und dann gehen Tausende ohne Abstand und Maske auf die Straße – das versteht der Bürger nicht“, so Johlige. Die Polizei weise auf Maskenpflicht und Abstand hin, versuche aber, deeskalierend aufzutreten, so Schüler. Im Einzelfall löse die Polizei aber Kundgebungen auf, wenn den Aufforderungen nicht nachgekommen werde. So geschehen ist es am Montag in Potsdam. Gegen den Versammlungsleiter wird wie berichtet wegen Verstoßes gegen die Eindämmungsverordnung ermittelt.  Bislang habe es im Zusammenhang mit Corona-Protesten in Brandenburg insgesamt 209 Strafanzeigen, 488 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten und 421 Platzverweise gegeben.

AfD-Abgeordneter ruft weiter zu "Spaziergängen" auf 

Großen Unmut der Abgeordneten anderer Parteien zog sich am Mittwoch AfD-Innenausschussmitglied Daniel Freiherr von Lützow zu. Er erklärte, nach einer Corona-Infektion nun wieder „spazieren gehen“ zu wollen, schließlich seien „Spaziergänge“ gesund. „Dass unsere paar Hanseln von der Polizei“ nicht jede Versammlung begleiten könnten, sei dabei klar. 

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