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Bundestagswahl 2017: Erosionen in Brandenburg

Die AfD wurde in 88 von 417 Kommunen stärkste Kraft. Eine Brandenburg-Partei gibt es nicht mehr. Ein Blick auf das Land nach der Wahl.

Potsdam - Die Bundestagswahl führte auch in Brandenburg, wo seit 2009 eine inzwischen von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geführte rot-rote Koalition regiert, zu einem dramatischen Rechtsruck, ja einer tektonischen Verschiebung der politischen Karte Brandenburgs. Keine Partei in Brandenburg schafft es mehr, im ganzen Land vorn zu sein. Die CDU ist im Norden und Westen stark, die Linke im Osten, die AfD im Süden, die SPD schwächelt überall. Mehr als 300 000 Brandenburger haben der AfD ihre Stimme gegeben, jeder fünfte, der zur Wahl ging.

Die AfD wurde nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis mit 20,2 Prozent zweitstärkste Kraft noch vor der SPD mit 17,6 Prozent und den Linken mit 17,2 Prozent. Die CDU wurde wie 2013 stärkste Partei, mit 26,7 Prozent. Wie gehen die Parteien mit diesem Wählervotum um? Wo waren die Hochburgen? Ein Überblick.

DIE AFD

Schon am Wahltag konnte man Sätze wie diesen oft hören, der früher in den 90er-Jahren von damaligen PDS-Protestwählern ähnlich formuliert wurde: Es sei gut, wenn mit der AfD eine neue Kraft in den Bundestag käme, um den anderen Dampf zu machen. Nach den nun amtlichen Detailauswertungen räumte die AfD auch in Brandenburg in dramatischem Ausmaß ab: In 88 von 417 Städten und Gemeinden im Land Brandenburg wurde die AfD, die seit 2014 im Landtag sitzt – und dort auch nicht durch besondere und profunde Aktivitäten auffiel – am Sonntag stärkste politische Kraft. Die AfD gewann etwa im CDU-regierten Cottbus, im Linke-regierten Eisenhüttenstadt, auch in Ortrand, wo CDU-Landeschef Ingo Senftleben mal Bürgermeister war, oder auch in Forst, wo Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) lebt.

„Besonders hohe Stimmanteile für die AfD gab es bei dieser Wahl in Brandenburger Regionen mit wenigen jungen Deutschen, wenigen Kindern, geringen Anteilen von Ausländern an der Bevölkerung und geringer Wirtschaftskraft“, heißt es dazu in der Sozialdatenanalyse des Landesstatistikamtes. Im Berliner Umland habe die AfD weniger Zuspruch, „wobei sie in den verstädterten Räumen des Umlandes nur 14,2 Prozent erreichte“. Allerdings ist diese Wahrnehmung viel zu verengt – und sie täuscht: Da im Berliner Umland die meisten Brandenburger leben, holte die AfD nach absoluten Zahlen dort auch viele Stimmen, was in den Prozentanteilen aber weniger ins Gewicht fällt als in kleinen Orten, in dünn besiedelten Gegenden.

Auch der Speckgürtel ist nicht AfD-immun. Auffällig ist aber, dass die AfD überall dort besonders schwach ist, wo die Grünen stark sind. „Im Berliner Umland trafen hohe AfD-Stimmanteile zudem mit niedriger Wahlbeteiligung zusammen, im weiteren Metropolenraum punktete die AfD genau dort, wo die anderen etablierten Parteien besonders schwach waren.“ Wird ein Vakuum gelassen, stößt die AfD hinein. Und während laut Befragungen der Wahlforscher von infratest dimap jeder dritte Brandenburger sich erst am Wahltag entschied, hatten die AfD-Wähler sich langfristig entschieden. Nach der Wählerbefragung von infratest sagten laut rbb fast 61 Prozent der Brandenburger AfD-Wähler, sie hätten sich aus Enttäuschung über andere Parteien für die Rechtspopulisten entschieden. Nur 25 Prozent sagten, ihre Wahlentscheidung sei aus Überzeugung für die eigene Partei gefallen. Spitzenkandidat Alexander Gauland war nur elf Prozent der AfD-Wähler wichtig.

Im Landtag wird nun, da Alexander Gauland in den Bundestag wechselt, wohl der bisherige Vize Andreas Kalbitz neue Nummer eins der Fraktion. Er prophezeite umgehend, dass die CDU „nach einer Weile“ die Ausgrenzung gegenüber der AfD beenden wird. Für Gauland nachrücken wird wohl der Uckermark-AfD-Chef Jan-Ulrich Weiß, der mit einer antisemitischen Karikatur aufgefallen war und gegen den die Justiz Anklage wegen Steuerhinterziehung – Grund war Zigarettenschmuggel im großen Stil – erhoben hatte.

DIE SPD

Brandenburg war einmal, so priesen es die Genossen selbst, die „Herzkammer“ der ostdeutschen SPD. Die SPD hat den Anspruch, die Brandenburg-Partei zu sein. Bei der Bundestagswahl am Sonntag scheiterte die SPD damit krachend. Nur in Potsdam konnte die SPD einen Wahlkreis gewinnen. Es gab Zeiten, da gewann die SPD alle Direktmandate. Nun wurde die von Ministerpräsident Dietmar Woidke geführte SPD in Brandenburg nur drittstärkste Kraft mit 17,6 Prozent, dem historisch schlechtesten Wahlergebnis überhaupt.

Die SPD sei „weitgehend ohne soziostrukturelles Profil“, heißt es in der Wähler-Analyse des Statistikamtes. „Ihr trotz hoher Verluste bestes Ergebnis von 18,5 Prozent erreichte die Partei in Regionen mit einem hohen Anteil an Wahlberechtigten ab 70 Jahren, insbesondere im weiteren Metropolenraum.“ Und: „War aber der Anteil junger Deutscher im Wahlgebiet niedrig, erreichte die SPD dort nur 15,8 Prozent.“ Besonders schlecht schnitt die SPD in AfD-Hochburgen ab. In der SPD beginnt nun die Debatte, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind: Wird nun der Druck stärker, die umstrittene Kreisgebietsreform abzublasen? SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz sah am Montag keine Versäumnisse im Land, auch keinen Zusammenhang zur umstrittenen Kreisreform, verwies auf den Bundestrend. Sie setzt darauf, dass die SPD mit der neuen Oppositionsrolle im Bund auch in Brandenburg verlorenes Terrain zurückgewinnen kann. Dagegen mahnte Gernot Schmidt, SPD-Landrat von Märkisch-Oderland, bei seiner Partei eine selbstkritische Analyse auch von Defiziten und Versäumnissen im Land an.

DIE CDU

Selbst die CDU, die in Brandenburg die Bundestagswahl mit 26,7 Prozent gewonnen hat und neun von zehn Direktmandaten holte, kann nicht nur jubeln. Auch hier läuft eine Grenze durch Brandenburg. Auffällig ist, dass die CDU vom Nordosten über Nordwesten und Südwesten punktet, von der Uckermark bis Potsdam-Mittelmark vorn lag – aber im Südosten hinter die AfD fiel. Landesweit haben 397 000 Menschen der CDU die Zweitstimme gegeben, 482 000 waren das noch bei der Bundestagswahl 2013.

Die CDU stütze sich ungeachtet der Stimmverluste in Brandenburg immer noch auf christlich geprägte Wähler, die in ländlichen Räumen im eigenen Haus wohnen, heißt es in der Sozialdatenanalyse zur Wahl. „Eine niedrige Wohneigentumsquote, wie sie in städtischen Regionen anzutreffen ist, wirkt sich hingegen negativ auf das Abschneiden der Christdemokraten aus.“ Schwach ist die Union auch in sozialen Brennpunkten. Der brandenburgische CDU-Generalsekretär Steven Bretz sagte, die Partei wolle gründlich alles auswerten, „um jene, die bei dieser Wahl einen Denkzettel verpassen wollten, zurückzugewinnen“. Jedwede Kooperation mit der AfD schloss Bretz kategorisch aus.

DIE LINKE

Im Zweifelsfall hilft marxistische Dialektik bei Krisen. „80 Prozent in Brandenburg haben die AfD nicht gewählt“, sagte Landesgeschäftsführerin Anja Mayer. Die Linken – sie haben die Talfahrt bei den letzten Landtagswahlen bereits hinter sich – sind bei der Bundestagswahl nicht weiter abgestürzt. Mit einem Ergebnis von 17,7 Prozent stagniert die Partei, die im Land mitregiert, auf dem Niveau der Landtagswahl 2014. Wo die Kirche noch Mitglieder hat, ist die Linke am Schwächsten, so die Sozialdatenanalyse. Am stärksten ist die Linke in Frankfurt (Oder) (21,6 Prozent), in Potsdam (21,2 Prozent), im Barnim (20,6 Prozent) und in Märkisch-Oderland (20,2 Prozent), wo die Linke in Strausberg sogar 26,1 Prozent holte.

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für die Grünen dürfte das Ergebnis eine Warnung sein, dass es mit dem Wiedereinzug in den Landtag 2019 knapp werden kann. Die Partei kam auf 5,0 Prozent, die für den Einzug in ein Parlament benötigt werden. Nach der Sozialdatenanalyse ist es eine Partei der Jungen, Erfolgreichen im Speckgürtel. „Für die Grünen zeigen die strukturellen Zusammenhänge, dass sie im Berliner Umland immer dort am erfolgreichsten waren, wo der Anteil der Kinder, die Bevölkerungsdichte und die Steuerkraft im Wahlgebiet besonders hoch waren“, heißt es.

„Den geringsten Zuspruch erhielten die Grünen mit 3,1 Prozent in Gebieten mit einer geringen Steuerkraft pro Einwohner.“ Schwach sind sie auch in den ländlichen Regionen. Auch das ist auffällig: Wo die Grünen stark sind, ist die AfD schwach. Die meisten Stimmen holten die Grünen in Kleinmachnow (14,1), die wenigsten in Schraden in Elbe-Elster (0,4). In der Lausitz, wo die Partei für den Kohleausstieg eintritt, holte man zwischen zwei und drei Prozent. Hochburgen sind Potsdam, Oberhavel, das Havelland und Potsdam-Mittelmark.

DIE FDP

„Wir sind wieder da“, sagte FDP-Landeschef Axel Graf von Bülow. Die Liberalen, die 2013 aus dem Bundestag und 2014 aus dem Brandenburger Landtag geflogen waren, sind nun auch mit zwei märkischen Liberalen im deutschen Parlament, mit Linda Teuteberg und Martin Neumann. Das sei eine gute Ausgangsbasis, um bei der Landtagswahl 2019 wieder in den Landtag einzuziehen. Im Brandenburger Maßstab kam die FDP auf sieben Prozent, wobei sie „stark im konfessionell geprägten Berliner Umland, schwach in strukturschwachen Regionen ist“. Hochburgen sind Potsdam-Mittelmark (9,2 Prozent), Potsdam (8,2 Prozent) und Cottbus (8,1 Prozent).

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