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Bundestagswahl 2017: Brandenburg in der Krise

Die Politik in Brandenburg steckt in der tiefsten Krise seit der Wiedervereinigung. Und eine Wahrheit aber hat bislang keine der demokratischen Parteien ausgesprochen. Ein Leitartikel von PNN-Redakteur Thorsten Metzner.

Brandenburgs Politik steckt in der tiefsten Krise seit der Wiedergeburt der Demokratie, seit der Neugründung des Landes vor über zweieinhalb Jahrzehnten. Ja, genau so dramatisch ist Lage, am Tag nach dieser Bundestagswahl, an dem dieses Land seine Stabilität verlor, von der es profitiert hat. Zwei nüchterne Zahlen bringen das auf den Punkt: 301 082 Brandenburger haben der AfD ihre Stimme gegeben – trotz oder wegen rechtsradikaler Entgleisungen ihres Brandenburger Frontmannes, des nichtbürgerlichen Nadelstreifen-Nazis Alexander Gauland, der nicht einmal vor einem Hohelied auf die „Leistungen“ deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen zurückschreckte und jetzt nach dem Sieg zum „Jagen“ auf die Kanzlerin blies. In 77 von 417 Städten und Gemeinden in der Mark, die zweite Zahl, wurde die AfD sogar stärkste Partei, in Cottbus, in Forst, der Heimatstadt von Dietmar Woidke, dem Ministerpräsidenten von der SPD, in Eisenhüttenstadt und das, obwohl die AfD seit 2014 im hiesigen Parlament, nun ja, immer noch übt. Dem Wähler war das egal.

Das Land muss extrem verunsichert sein, wenn es so extrem wählt. Sonst hätte die AfD nie geschafft, was alle demokratischen Parteien verhindern wollten: In der Mitte der Brandenburger Gesellschaft zu punkten, nun den falschen Nimbus zu haben, eine normale Partei zu sein. Was sie nicht ist. Und das in einem bisher so wohltuend unaufgeregten Land, das mit nüchternem Abwägen bisher gut gefahren ist. Vorbei. In diesem Brandenburg, anno 2017, wo es den meisten, nicht allen, so gut geht wie nie seit dem Fall der Mauer. Wo aber eben auch genau deshalb die Ängste vor Verlusten aller Art so groß sind wie nie.

Die unausgesprochene Wahrheit nach der Bundestagswahl

Und nun? Erschreckend ist, dass die Wahrheit am Tag danach keine der Parteien aussprach, die nicht nur demokratisch sind, sondern für die Demokratie stehen: Alle sind ratlos. Keiner hat eine Antwort, ein Rezept, wie man mit dem unheimlichen AfD-Erfolg, mit dieser Stimmung in der Bevölkerung umgeht. Das hat ja nicht einmal die AfD selbst, die die Geister rief.

Wohin das führen wird? Selbst in Brandenburg ist zwei Jahre vor der Landtagswahl nichts mehr unmöglich, wenn nun die Verunsicherung der Bevölkerung die Demoralisierung der SPD beschleunigt, die nicht mehr wie früher Verlässlichkeit garantieren kann. Natürlich könnte Dietmar Woidke eine nötige, eine gute Kreisreform durchziehen, die Brandenburg braucht. Und zwar dann, wenn erstens die Regierung sie gut machen würde. Wenn zweitens die große Welt und die kleine in Brandenburg nicht aus den Fugen wären. Und wenn, vor allem, drittens die eigenen Reihen stehen würden.

Also wenn es in Brandenburgs SPD eine übergreifende Autorität geben würde. Nichts davon gibt es. Angst treibt schon Wähler zu irrationalen Entscheidungen. Für verunsicherte Parteien gilt das auch. Wie lange steht die SPD-Landtagsfraktion noch, wo drei, vier Abweichler reichen würden? Droht womöglich gar ein Putsch aus den eigenen Reihen gegen Woidke? Wird er nach Thüringer Vorbild in der Panik erst einmal den Innenminister als Befreiungsschlag entlassen, der mit seiner Provokativ-Kommunikation so viel kaputt gemacht hat? Und kann sich die CDU wirklich so sicher sein, die gerade das Volksbegehren gegen eine nötige, aber schlecht gemachte Reform gestartet hat, am Ende der Sieger zu sein? Brandenburgs Politik steckt in der tiefsten Krise seit 1990. Ohne Not.

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