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Braunkohletagebau: Die Ostsee? Der Ostsee!

In diesem Jahr beginnt die Flutung des riesigen Braunkohletagebaus bei Cottbus – mit Spreewasser. Die Dimension: mehr als zwei Mal so groß wie der Müggelsee. Aber was macht das mit dem Fluss?

Ein echter Meerwert? Für Ostseeurlauber aus Berlin dürfte sich die Reisezeit in ein paar Jahren halbieren. Der Weg führt dann in die Lausitz, wo noch in diesem Jahr die Flutung des Cottbuser Ostsees beginnen soll. Mit avisierten 19 Quadratkilometern wird er das größte Gewässer Brandenburgs, weit vor Schwieloch- und Scharmützelsee – und gut zweieinhalb Mal so groß wie der Große Müggelsee, mit dem er sich gewissermaßen das Wasser teilen muss, aber dazu später. Wo zurzeit noch die riesige, staubige Wunde des Braunkohletagebaus Cottbus-Nord klafft, soll in fünf, sechs Jahren gebadet, gesurft, Boot gefahren und am Wasser gewohnt werden können. Eine große Chance für die Gegend. Aber ein Risiko für den Wasserhaushalt der Region und für die Qualität der Spree.

Im Frühjahr soll der Zulauf fertig sein, der das Wasser von der Spree in den neuen See leitet. Im November könnte die Flutung beginnen – sofern das Brandenburger Landesbergamt die überarbeitete Planung des Kohlekonzerns LEAG genehmigt. Bis zum vergangenen Freitag konnten Einwendungen gegen die Pläne der LEAG erhoben werden, die das Braunkohlegeschäft von Vattenfall übernommen hat. Die muss das Amt nun prüfen.

„Fünf bis sechs Jahre“ soll die Flutung des Cottbuser Ostsees laut LEAG dauern. Wie realistisch dieser Zeitplan ist, hängt stark vom Wetter ab. 126 Millionen Kubikmeter soll der See fassen, aber wegen der absehbaren Versickerung wird für die Flutung mit 280 Millionen gerechnet. Ein Fünftel soll Grundwasser sein, die anderen 80 Prozent sollen durch jene 145 Meter lange Rohrleitung strömen, die vom mit der Spree verbundenen Hammergraben zum Seeufer führt. Also 224 Millionen Kubikmeter. Für diese Wassermenge müsste die Cottbuser Spree eineinhalb Jahre lang komplett in den Ostsee abgeleitet werden. Wird sie natürlich nicht; „die Flutung steht an vierter Stelle“, sagt Stefan Korb von der Cottbuser Stadtentwicklungsverwaltung. Vorrang hätten Trinkwassergewinnung, Wasserhaltung und die industrielle Nutzung.

Im Sommer dürfte die Spree nur sporadisch genug Wasser führen; im Winter sind die Pegel meist höher.

„So nimmt die Ökologie der Spree keinen Schaden“, heißt es bei der LEAG. In den Umweltverbänden gibt es allerdings versierte Kritiker des Vorhabens, die diese Behauptung bezweifeln. In ihrer Einwendung gegen die Planung beschreiben sie eine Reihe möglicher Gefahren: Eisenocker bedrohe den Spreewald – sowohl direkt über den künftigen Ableiter des Sees als auch indirekt über aufsteigendes Grundwasser in der für die Tagebaue bisher künstlich trockengelegten Region. Hinzu kämen hohe Sulfatkonzentrationen, die die Trinkwasserqualität der Spree bis nach Berlin beeinträchtigen könnten und Bauwerke wie Brücken und Schleusen angreifen – also vor allem mit Steuergeld finanzierte.

Die im Einzugsgebiet der Spree gelegenen Wasserwerke Frankfurt (Oder) beschlossen nach einer Sondersitzung des Aufsichtsrates Mitte Januar, sowohl eine Einwendung gegen die LEAG-Pläne zu schreiben als auch gerichtlich gegen die erwartete Flutungsgenehmigung durch das Bergbauamt vorzugehen. „Wir sind der Meinung, dass das so nicht passieren darf“, sagt Wasserwerk-Geschäftsführer Gerd Weber. Nur um die Flutung überhaupt genehmigen zu können, plane das Potsdamer Umweltministerium, den Sulfat-Richtwert fürs Spreewasser von 280 auf 350 Milligramm pro Liter anzuheben. Die technischen Möglichkeiten, den Grenzwert von 250 Milligramm pro Liter im Trinkwasser einzuhalten, seien ausgereizt. Künftig bliebe nur noch, stillgelegte Brunnen zu reaktivieren und neue Grundwasserquellen zu erschließen – auf Kosten der Verbraucher, nicht der Verschmutzer. Die LEAG verwies als Reaktion auf ein eigenes Gutachten, wonach die Sulfatbelastung der Spree nichts mit der Flutung zu tun habe.

Die Umweltverbände verlangen in ihrer Stellungnahme zu den Planungsunterlagen, dass der LEAG verbindliche Grenzwerte für Sulfat und Eisenocker vorgegeben werden. Keinesfalls dürfe das Kohleunternehmen zu früh aus der Haftung entlassen werden, mahnen sie.

Und auch die Vorfreude auf den See selbst ist bei Ökologen gedämpft: Der sei zwar riesengroß, aber – mit Ausnahme der Ränder – ganz überwiegend nur zweieinhalb Meter tief und obendrein kaum durchströmt: Da sowohl Zu- als auch Ableiter im Nordosten gebaut werden, sei „eine Hui- und eine Pfui-Zone“ zu befürchten, wobei letztere die größere werden dürfte. Dass vom höher gelegenen Süden her weiteres Grundwasser – samt Sulfat und Eisenocker aus dem Boden – nachströmen dürfte, kann die Sache noch verschlimmern, wie Erfahrungen aus dem weiter südlich gelegenen Lausitzer Seenland lehren. „Man kann den Schaden nur noch managen“, heißt es bei den Berliner Wasserbetrieben, die zumindest so lange keine akute Gefahr fürs Berliner Trinkwasser sehen, wie genug Nachschub ankommt. Acht Kubikmeter pro Sekunde sollen es via Spree auch im Sommer sein. Aber die werden in Trockenperioden oft unterschritten.

Zwar kann der See einerseits saisonale Schwankungen ausgleichen, aber andererseits befördert er massiv die Verdunstung: An heißen Sommertagen können durchaus zwei Kubikmeter „verschwinden“ – pro Sekunde! Das entspricht in Trockenphasen dem halben Spreedurchfluss. Aus Sicht der Umweltverbände wäre es auch deshalb besser, einen etwas tieferen See mit kleinerer Oberfläche anzulegen. Eine Bürgerinitiative aus den umliegenden Dörfern fordert ohnehin, den finalen Wasserspiegel zwei Meter tiefer zu planen, damit ringsum nichts in die Keller drückt. Und die Grünen im Potsdamer Landtag warnen eindringlich davor, die LEAG zu schnell aus der Verantwortung für den See zu entlassen, damit nicht die öffentliche Hand für alle Folgeschäden haftet. „Die tatsächlichen Auswirkungen werden wir ja erst in 30, 40 Jahren kennen“, sagt René Schuster von der Grünen Liga. Dann wird auch klar sein, ob der Cottbuser Ostsee eine Alternative zum Meer im Norden ist – oder mit seinem Namen eher das Original beleidigt.

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