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Klar im Urteil. Heinrich Amadeus Wolff, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth (links), und Ralf Alleweldt, Jura-Professor an der Fachhochschule der Polizei in Oranienburg, am Freitag im Untersuchungsausschuss.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Brandenburgs Verfassungsschutz und NSU-Untersuchungsausschuss: Operativ schwach

Brandenburgs Verfassungsschutz darf vieles nicht, was andere Verfassungsschutzbehörden in Deutschland aber dürfen: Experten sehen Reformbedarf beim Verfassungsschutz und Verfehlungen im Fall des V-Mann „Piatto“.

Potsdam - Brandenburgs Verfassungsschutz ist nach Einschätzung von Experten operativ nur bedingt schlagkräftig. Er hat deutlich weniger nachrichtendienstliche Befugnisse als die Inland-Geheimdienste anderer Bundesländer und arbeitet auf inzwischen veralteten Rechtsgrundlagen. Diese Einschätzung gaben unabhängige Sachverständige im NSU-Untersuchungsausschuss des brandenburgischen Landtages, der am Freitag erstmals in öffentlicher Sitzung tagte. Angehört wurden Heinrich Amadeus Wolff, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth, und Ralf Alleweldt, Jura-Professor an der Fachhochschule der Polizei in Oranienburg, zur „Sicherheitsarchitektur des Landes Brandenburg von 1990 bis heute“. Beide Wissenschaftler halten die parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes in Brandenburg für ungenügend. Zu dem gleichen Ergebnis war jetzt ein Gutachten des wissenschaftlichen Beratungsdienstes im Landtag (PNN berichteten) gekommen.

Brandenburger Verfassungsschutz war in den früheren 1990er-Jahren kaum gewollt

„Sie haben eine Behörde, die operativ in Deutschland unter dem Radar segelt“, sagte Wolff. Brandenburgs Verfassungsschutz setze mehr auf politische Information, auf Aufklärung der Bevölkerung, weniger auf verdeckte Operationen. Schon in der Landesverfassung, in der Formulierung zum Verfassungsschutz, werde deutlich, dass die Behörde offenbar in den früheren 1990er-Jahren kaum gewollt war.

Wolff dürfte da einen besonders guten Überblick haben. Er ist einer der renommiertesten Fachleute auf diesem Gebiet. Er war Mitglied der Regierungskommission des Bundes zur Überarbeitung der Sicherheitsgesetze, trat als sachverständiger Zeuge vor den NSU-Untersuchungsausschüssen im Bundestag, Sachsen und Baden-Württemberg auf. Er hat 40 innenpolitische Gesetzgebungsverfahren im Bund und diversen Bundesländern mit Stellungnahmen begleitet. Er hat die Bundesregierung, auch den Bundesnachrichtendienst (BND) vor Gerichten vertreten und vertritt aktuell die FDP in Karlsruhe bei der Verfassungsbeschwerde gegen die Vorratsdatenspeicherung. Bei seinem Auftritt im Potsdamer Landtag plädierte er für eine Ausweitung der Befugnisse des Verfassungsschutzes im Land, der bislang eine Abteilung mit knapp 100 Mitarbeitern im Innenministerium ist.

Vieles ist in Brandenburg bisher nicht erlaubt

Denn Brandenburgs Verfassungsschutz darf vieles nicht, was für andere Verfassungsschutzbehörden in Deutschland übliche Instrumente sind. Konkret nannte Wolff etwa den Einsatz von IMSI-Catchern, um den Standort eines aktiven Handys aufzuspüren und Gespräche abzuhören. Auch eine „präventive Wohnraumüberwachung“ sei bisher nicht erlaubt, und auch nicht der Zugriff auf passwortgeschützte Foren im Internet. Ungenügend geregelt seien bisher auch langfristige Observationen. Zugleich müssten aber die Befugnisse der parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages „dringend ausgeweitet werden“, sagte Wolff. Brandenburg hinke da hinterher. Ausdrücklich wies Wolff darauf hin, dass auch eine Reform des Verfassungsschutzes zu einer eigenständigen Landesbehörde – also außerhalb des Innenministeriums – oder zu einem gemeinsamen Amt mit Berlin möglich wäre, „was aufgrund der räumlichen Nähe nahe läge“.

Über den Brandenburger Verfassungsschutz wird seit Längerem in der Landespolitik gestritten. Vor allem die Linken wollen ihn klein halten. Bei der Vorstellung des letzten Verfassungsschutzberichts hatte Behördenchef Carlo Weber auch auf technische und personelle Probleme hingewiesen. Man gleiche das bislang auch in der Familie der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern aus, hatte Weber gesagt.

Verstrickungen des Brandenburger Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit dem NSU

Der NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag soll vor allem auch mögliche Verstrickungen des brandenburgischen Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit der rechtsextremen NSU-Terrorzelle aufklären, die für zehn Morde in Deutschland verantwortlich ist. Es war ein Hauptgrund, dass er eingesetzt wurde. Über den V-Mann „Piatto“, einen wegen Gewaltverbrechen vorbestraften Rechtsextremisten, hatte Brandenburgs Verfassungsschutz 1998 Hinweise erhalten, dass ein Neonazi-Trio in Sachsen untergetaucht war und Waffen beschaffen wolle. Diese Information war aber nicht an die Polizei weitergegeben worden. Nach einer Zusammenkunft mit den Verfassungsschützern aus Sachsen und Thüringen hatte es Brandenburg damals ablehnt, dass die Quelle für die Hinweise der Polizei in Thüringen, die nach drei untergetauchten Neonazis suchte, offengelegt wird.

Kritiker sehen darin ein schweres Versäumnis, weil damit möglicherweise die NSU-Morde hätten verhindert werden können. Brandenburgs Verfassungsschutz und die Landesregierung pochten nach Bekanntwerden der NSU-Morde im Jahr 2011 darauf, dass der V-Mann wichtige Informationen für das Verbotsverfahren gegen die Neonazi-Bruderschaft „Blood & Honour“ gesammelt und geliefert habe.

Sammler von Informationen, aber keine Strafverfolgungsbehörde

Es geht, wie beide Experten deutlich machten, um ein Spannungsfeld. Zwar sei der Verfassungsschutz grundsätzlich „allein ein Sammler“ von Informationen, aber keine Strafverfolgungsbehörde, sagte Alleweldt, der an der Fachhochschule der Polizei Verfassungs- und Europarecht lehrt, Spezialgebiet: Grund- und Menschenrechte. Doch wenn schwere Straftaten etwa gegen Leib und Leben bekannt werden, gebe es dennoch eine Pflicht zum Handeln. „Nichtstun ist da keine Option“, sagte er. Alleweldt sprach sich dafür aus, dies gesetzlich klarer zu regeln. Quellenschutz könne kein absolutes Gewicht haben.

Die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher hakte prompt nach, wie die beiden Wissenschaftler im Rückblick die Nichtweitergabe der Information im Fall „Piatto“ sehen. Nach einigem Zögern antwortete Alleweldt so: „Es wäre vertretbar gewesen, die Information weiterzugeben.“ Der Sachverständige Wolff ging weiter: „Es spricht dafür, dass damals eine Übermittlungspflicht bestand.“

In seiner Oktober-Sitzung befasst sich der Untersuchungsausschuss mit dem Einsatz von V-Leuten.

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