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Landwirtschaft in Brandenburg.

© dpa

Brandenburgs Landwirtschaft nach der Wende: Systematisch getrickst

Ein Gutachter stellt massive Fehler bei der Umwandlung von LPG-Betrieben nach der Wende fest. Deshalb könnte die Agrarförderung zugunsten der Großbetriebe nun überprüft werden

Potsdam – 23 Jahre nach der Wiedervereinigung ist es für zahlreiche frühere Mitglieder von Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in der DDR eine letzte Hoffnung. Beim Amt für Betrugsbekämpfung der EU-Kommission und beim brandenburgischen Landesrechnungshof könnte jetzt die jahrelange Agrarpolitik zugunsten großer industrieller Agrarbetriebe in Brandenburg auf dem Prüfstand gestellt werden. Akten zu den Vorgängen sind bereits angelegt. Im Ernstfall müsste die Abwicklung früherer LPG-Betriebe und die Aufteilung des Besitzes neu aufgerollt werden.

Im Kern geht es um den Verdacht, dass durch die Untätigkeit der Behörden in Brandenburg zu Unrecht Millionensummen an Fördermitteln und EU-Agrarsubventionen an LPG-Nachfolgebetriebe geflossen sind. Grund sind Rechtsverstöße bei der Umwandlung der DDR-Agrarbetriebe, bei der einst zwangskollektivierte Bauern nach der Wende nicht an ihren Besitz gekommen sind. Fördermittel sind für Betriebe, die im Zuge der Umwandlung von LPG-Betrieben in Unternehmensformen nach Bundesrecht gegen die Gesetzesvorgaben verstoßen haben, ausgeschlossen. Weil die Behörden in Brandenburg aber bis heute nicht auf die Einhaltung der Vorschriften wie die saubere Aufteilung des LPG-Vermögens unter den in der DDR zwangskollektivierten Bauern pochen, sind zahlreiche Scheinnachfolgebetriebe früherer Genossenschaften entstanden. Diese dürften als Rechtsnachfolger der betreffenden LPG juristisch nicht anerkannt werden und keine Fördermittel erhalten. In Brandenburg ist das aber jahrelang nicht durchgesetzt worden.

Nach Berechnungen der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum (ARE) geht es in Brandenburg seit 1993 um Summen von mehr als 300 Millionen Euro, die seit 1993 unrechtmäßig an EU-Agrarsubventionen ausgezahlt worden sind. In ganz Ostdeutschland sind es mehr als 1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommen Fördergelder von Bund und Land sowie Begünstigungen beim Erwerb von Flächen. Dabei können nach einem Grundsatzurteil des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt Fördermittelbescheide bei falschen Angaben zur Vermögensauseinandersetzung und nicht fristgerechter Auszahlung von früheren LPG-Mitgliedern zurückgenommen werden – und zwar in vollem Umfang.

In Brandenburg aber schritt die Landesregierung nicht ein, obwohl ihr das Problem lange bekannt und es in der Enquetekommission des Landtags zur DDR-Aufarbeitung wieder hochkam. Bereits 2002 hatte der Jenaer Rechtsprofessor Walter Bayer, der Landesverfassungsrichter in Thüringen ist, in einer Studie die Probleme bei der Neustrukturierung der LPG-Betriebe in den neuen Bundesländern offengelegt. Besonders in Brandenburg gab es wenig Interesse, die Agrarstrukturen aus DDR-Zeiten aufzubrechen. „Rund elf Prozent der Umwandlungen waren mit derart schweren Mängeln behaftet, dass sie auf Grundlage der relevanten Rechtsprechung des BGH als unwirksam zu qualifizieren sind“, heißt es in einem neuen Gutachten Bayers für die Enquetekommission. Von den einst 350 LPG-Betrieben sei die Umwandlung bei 39 Betrieben gescheitert, stellte Bayer nach Durchsicht der Akten in den Registergerichten fest. Dennoch haben die Betriebe, von denen die meisten noch existieren, Subventionen erhalten.

Der Wissenschaftler hatte dieses Ergebnis bereits im August 2002 an das Agrarministerium weitergeleitet, die betroffenen Betriebe blieben anonym. Es gab auch zahlreiche Gerichtsverfahren. Allein beim Landwirtschaftsgericht Königs Wusterhausen haben frühere LPG-Mitglieder und deren Erben zwischen 1990 und 1999 in 222 Verfahren überwiegend erfolgreich auf Abfindung und Herausgabe von Vermögen klagten. Reagiert hat die Landesregiergung aber nicht. Parlamentsanfragen, ob sich aus Bayers Studie Hinweise auf unrechtmäßige Zahlungen von Fördermitteln ergeben, wich das Ministerium damals aus. Auch sah es in Bayers Studie trotz der Befunde „keine Grundlage für Einzelfallprüfungen“.

Dabei ist nach Darstellung von Bayer und der ARE bei der Umwandlung von LPG-Betrieben systematisch getrickst worden bis hin zur Bilanzfälschung, um die Auszahlung von Vermögensanteilen an LPG-Mitglieder zu verhindern. Die ARE, die in der DDR zwangskollektivierte und enteignete Landwirte und Neubauern vertritt, sieht das Verhalten der Behörden in Brandenburg in einer Linie mit der Bodenreformaffäre um die sittenwidrige Enteignung von Bodenreformland. Der Bundesgerichtshof hatte 2006 festgestellt, dass das Land Brandenburg nicht mit Nachdruck nach den Erben von Bodenreformland gesucht und sich 10 000 Flächen sittenwidrig selbst angeeignet hat. Es sei nur darum gegangen, die industriellen Agrarstrukturen aus der DDR zu bewahren, sagt ARE-Bundeschef Manfred Graf von Schwerin. Dabei sollte von Gesetzes wegen ursprünglich durch die Umwandlung der LPG-Betriebe „eine vielfältig strukturierte Landwirtschaft“ und Privateigentum im Osten wiederhergestellt werden. Stattdessen entstanden riesige Agrarindustriebetriebe (siehe Kasten).

Auch die anderen ostdeutschen Bundesländer sind betroffen. Selbst dort, wo die Behörden häufiger geprüft haben, war laut Bayer „die Prüftiefe im Einzelfall nicht ausreichend“. Gesetzesverstöße, wie missachtete Zahlungsansprüche von LPG-Mitgliedern, seien von den Verwaltungen in allen neuen Ländern nur unzureichend aufgedeckt worden.

Der Befund für Brandenburg ist in Bayers Gutachten für die Enquetekommission besonders drastisch. Demnach ist fast jede LPG-Umwandlung „mit Fehlern behaftet“. Die Gesetzesvorgaben zur Aufteilung des LPG-Vermögens unter ausscheidenden Mitgliedern seien „flächendeckend missachtet“ worden. Allein im Registergerichtsbezirk Potsdam, wo die LPG-Nachfolgebetriebe die Unternehmensform anzeigen und umfangreiche Unterlagen vorlegen mussten, entsprachen 67,3 Prozent der Umwandlungen nicht den Vorschriften. Bei fast einem Drittel der Fälle sind nicht einmal alle nötigen Unterlagen eingereicht worden, sodass die Rechtmäßigkeit nicht einmal geprüft werden kann. Nur bei einem von 52 Agrarbetrieben im Registergerichtsbezirk Potsdam konnte festgestellt werden, dass bei der Aufteilung des LPG-Vermögens die Gesetzesvorschriften eingehalten wurden. Und 11,2 Prozent der in den Handels- und Genossenschaftsregistern eingetragenen LPG-Umwandlungen sind dort laut Bayer eigentlich unwirksam, aber nicht beanstandet worden. In Cottbus war die Quote mit 29 Prozent in ganz Ostdeutschland am höchsten.

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