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Ein Stahlportal markiert symbolisch den Eingang zum ehemaligen Gutshaus Klessin.

© dpa

Brandenburger Weltkriegs-Schauplatz: Klessin wird Gedenk- und Erinnerungsort

Das Oderbruch ist bekannt für die schwersten Kämpfe des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden. Deutlich wird das rings um das einstige Gut Klessin. Seit Jahren werden dort Kriegstote geborgen. 

Klessin - Ein großes rostfarbenes Stahlportal steht wie ein Mahnmal mitten auf einer kleinen Anhöhe nahe des 150-Seelen-Örtchens Klessin im Oderbruch (Märkisch-Oderland). „Es symbolisiert den Eingang zum früheren Gutshaus, der als einziges nach den schweren Kämpfen zwischen Roter Armee und Deutscher Wehrmacht im April 1945 noch stand“, erklärt Reinhard Tietz. Der Rest des Ortes und der weitläufigen Gutsanlage habe in Trümmern gelegen.

Tietz ist stellvertretender Vorsitzender des Heimatvereins im benachbarten Wuhden (Märkisch-Oderland), der sich darum bemüht, diesen authentischen Kriegsschauplatz aus der Vergessenheit zu holen. Das Stahlportal ist Teil der Gedenk- und Erinnerungsstätte, die am 6. Mai 2022 feierlich eingeweiht werden soll. Zu Füßen der Konstruktion sind die Umrisse des früheren Gutshauses deutlich zu erkennen. Der Heimatverein hat den Schutt der Anlage in Drahtgeflechten zusammengehäuft und dort aneinandergereiht, wo sich einst die Außenwände des um 1800 erbauten Hauses befanden. Mulden voller rotem Ziegelschutt zeigen, wo Granaten einschlugen und Tote lagen. 19 große Infotafeln in vier Sprachen mit Abbildungen historischer Fotos zur Geschichte des Ortes von der ersten Besiedelung in der Jungsteinzeit bis heute werden noch aufgestellt.

Immer wieder musste der Kampfmittelräumdienst ran

Um so weit zu kommen, war es für den 22 Mitglieder zählenden Heimatverein allerdings ein langer Weg. Tietz hatte als Kind in den 1950er Jahren mit Freunden auf dem Schutt der Gutsanlage und in den einstigen Schützengräben gespielt. „Es gab viele Unfälle, weil natürlich viel Kriegsmunition herumlag neben den Knochen der gefallenen Soldaten. Das hat mich geprägt und nicht mehr losgelassen“, beschreibt der gelernte Autoschlosser. Er konnte damals auch mit einigen Zeitzeugen der Kämpfe sprechen. Nach der Wende trat er in den Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge ein. Gemeinsam mit Vereinsmitgliedern begann er das sechs Hektar große Gelände zu beräumen, das zu DDR-Zeiten vom Klessiner Landwirtschaftsbetrieb als Müllhalde genutzt worden war.

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„Wir kamen nur langsam vorwärts“, macht der 68-Jährige deutlich. Immer wieder musste der Kampfmittelräumdienst ran. Ein Glücksumstand war, dass Mitglieder des Hamburger Vereins zur Bergung Gefallener in Osteuropa (VBGO) ab 2005 begannen, die Kriegstoten von Klessin zu bergen. 19 Einsätze habe es seitdem gegeben, sagt der VBGO-Vorsitzende Albrecht Laue. 237 Tote seien bisher gefunden worden - sowohl deutsche Soldaten als auch Angehörige der Roten Armee. Anschließend seien sie auf umliegenden Soldatenfriedhöfen bestattet worden. Und die Arbeit sei noch nicht beendet.

Seit Jahren werden rings um das einstige Gut Klessin Kriegstote geborgen. 
Seit Jahren werden rings um das einstige Gut Klessin Kriegstote geborgen. 

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„Klessin war im Frühjahr 1945 der am stärksten und am längsten umkämpfte Stützpunkt der Deutschen auf den Seelower Höhen. Auf engstem Raum sind hier so viele Menschen gestorben wie sonst nirgends“, ergänzt VBGO-Historiker Wolfgang Ockert. Seit mehr als 30 Jahren erforscht er die damaligen Kriegsereignisse, befragt Zeitzeugen, studiert historische Dokumente und alte Luftbilder.

Strategisch wichtiger Punkt für die deutsche Wehrmacht

Das etwas erhöht liegende Gutsgelände sei im Frühjahr 1945 strategisch ein wichtiger Punkt für die deutsche Wehrmacht gewesen. Von hier aus waren die fünf Brücken über die etwa zwei Kilometer entfernt liegende Oder gut einsehbar. Deswegen sollte Klessin unbedingt gehalten werden, erläutert der Historiker. Etwa 320 deutsche Soldaten waren seinen Recherchen nach auf dem Gut stationiert und letztlich wochenlang von der zahlenmäßig weit überlegenen Roten Armee eingekesselt worden. Rund 1200 Wehrmachtssoldaten sollten sie freikämpfen, das misslang.

1843 Namen deutscher Soldaten, die in Klessin kämpften, hat der VBGO inzwischen herausgefunden. Nur etwa 80 von ihnen sollen die Kämpfe überlebt haben. Etwa 700 bis 800 Rotarmisten fielen in dem und um den Ort, sagt Ockert. „Genauere Angaben bekommen wir von russischer Seite leider nicht.“

Eine rostige, sowjetische Granathülse.
Eine rostige, sowjetische Granathülse.

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Während seiner jahrelangen Recherche stieß er auf weitere interessante Fakten aus der Geschichte des Gutes. So soll das frühklassizistische Haupthaus, an dem Dichter Theodor Fontane wohl auf seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg vorbeikam, Inspiration für seinen 1878 geschriebenen Roman „Vor dem Sturm“ gewesen sein.

Die schweren Kämpfe vor 76 Jahren begreifbar machen

Der spätere Kessel von Klessin sei inzwischen das am besten dokumentierte Kampfgebiet im Oderbruch, sagt VBGO-Vorsitzender Laue. „Wir wollten nicht nur die Toten bergen, sondern unsere Arbeit auch in den historischen Kontext setzen, um die schweren Kämpfe vor 76 Jahren begreifbarer zu machen“, betont er.

Das sei ganz in seinem Sinne, meint der Landrat von Märkisch-Oderland, Gernot Schmidt (SPD). „Gerade weil die Initiative dafür direkt von den Bürgern vor Ort kam, hat die Kreisverwaltung das Vorhaben immer unterstützt, auch finanziell“, sagt er.

Was die beiden Vereine leisten, sei enorm, sagt Johann-Heinrich von Cappeln, Enkel der letzten Gutsbesitzer, die bereits im Februar 1945 ebenso wie die Klessiner Anwohner vor dem Krieg geflohen waren. „Es ist wichtig, dass nachfolgende Generationen wissen, was sich hier abgespielt hat“, meint er. Führungen über das Gelände soll es regelmäßig geben. Die Arbeit mit Schulklassen werde zum Schwerpunkt, wenn der Gedenk- und Erinnerungsort Klessin im nächsten Jahr fertiggestellt sei, erzählt Heimatvereinsvizechef Tietz. (dpa)  

Jeanette Bederke

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