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Brandenburg: Woidke bläst Kreisreform ab - SPD-Generalsekretärin tritt zurück

Brandenburgs Ministerpräsident bestätigt das Aus für die größte Reform seiner rot-roten Regierung ab. Klara Geywitz gibt daraufhin ihr Amt auf. Und nun?

Es ist seine Reform. Er wollte sie lange durchziehen, notfalls den Volksentscheid riskieren. Und jetzt bereitet er selbst die Absage vor und zieht die Notbremse, weil die Widerstände landaus und landab zu groß geworden sind: Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) blies am Mittwochmorgen die umstrittene Kreisgebietsreform ab. Damit bestätigte er einen PNN-Bericht vom Dienstag, Kurz darauf wurde bekannt, dass SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz, bis zuletzt eine Verfechterin der Reform, im Einvernehmen mit Woidke von ihrem Amt zurücktritt.

Die Absage der Reform erfolge aus "Verantwortung für dieses Land" und nachdem klar geworden sei, "dass die kommunale Ebene die Reform in der jetzigen Art und Weise nicht mitträgt", sagte der Ministerpräsident vor Journalisten. Im November werde es im Landtag keine Abstimmung über den Gesetzesentwurf geben. An einer Verwaltungsreform noch vor der nächsten Landtagswahl 2019 hält er hingegen fest. Ursprünglich sollten nach den rot-roten Regierungsplänen einwohnerschwache Kreise wie die Prignitz fusionieren sowie die Städte Brandenburg, Frankfurt (Oder) und Cottbus ihre Kreisfreiheit verlieren.

Woidke sagte weiter, die etwas über 400 Millionen Euro, die für die Reform nun nicht mehr gebraucht würden, sollen nun in die Infrastruktur speziell im ländlichen Raum investiert werden. Falls sich Gemeinden oder Landkreise zu Fusionen oder Kooperationen entscheiden, werde die Landesregierung dies ebenfalls fördern. Nicht zuletzt will Woidke mit dem Städte- und Gemeindebund und dem Landkreistag diskutieren, zusätzliche Aufgaben von der Landkreis- auf die kommunale Ebene zu übertragen.

Absage stößt auf Erleichterung in Brandenburg

In Brandenburg dürfte die Absage weitgehend auf Erleichterung und Zustimmung stoßen. In der Landes-SPD, nach der Niederlage bei der Bundestagswahl und wegen der Reform tief verunsichert, führt sie kurz vor dem Landesparteitag am 18.November allerdings zu neuen Erschütterungen - den Anfang machte die SPD-Generalsekretärin mit ihrem Rückzug, der sich schon am Dienstag angedeutet hatte. Anders als Woidke wollte Geywitz die Reform ungeachtet der immer breiteren Ablehnungsfront selbst in der eigenen Partei durchziehen.

Bei einem internen Treffen in der Staatskanzlei, für das Woidke am vergangenen Donnerstag extra seinen Urlaub unterbrochen hatte, ging es schon weitgehend um das administrative, politische und kommunikative Management für den Ausstieg und den weiteren Fahrplan. Und dafür sind noch einige Fragen und Abstimmungen offen, vor allem mit der Landtagsfraktion und mit den Chefs der kommunalen Spitzenverbände.

Auch die Rückzugsoperation ist riskant

Die Rückzugsoperation ist für den bereits wegen der Kreisreform unter Druck stehenden Regierungschef ebenso riskant, wie es ein Festhalten wäre. Teilnehmer der Krisenrunde bei Staatskanzleichef Thomas Kralinski, auf der das Ausstiegsszenario durchdekliniert wurde, waren neben Woidke unter anderem Fraktionschef Mike Bischoff, Kommunalexperte Daniel Kurth, der für Bundesangelegenheiten zuständige Staatssekretär und frühere SPD-Bundesgeschäftsführer Martin Gorholt, nicht aber Geywitz.

Auch die Linke als Koalitionspartner war vorgewarnt, dass sich etwas anbahnt. Der große Bahnhof in der Regierungszentrale, die dort parkenden gepanzerten Ministerpräsidenten-Limousinen, obwohl Woidke offiziell im Urlaub war, sind Finanzminister und Linke-Parteichef Christian Görke nicht verborgen geblieben. Sein Büro liegt direkt vis-à-vis der Staatskanzlei. Bislang war die Linke-Spitze dafür, die Reform durchzuziehen. Die Linken sind in der Frage seit Monaten stabiler aufgestellt als die SPD. Dort hatte Woidke noch bei der Klausur der Landtagsfraktion in Neuhardenberg mit Neuwahlen gedroht, als es bei einer Probeabstimmung zunächst mehr Abweichler gab als erwartet.

Die geplante Kreisreform sorgte für viel Gegenwind

Den letzten Ausschlag für den Kurswechsel Woidkes dürften nach dem AfD-Erfolg bei der Bundestagswahl in Brandenburg – die Rechtspopulisten landeten knapp hinter der CDU, noch vor der SPD auf Platz zwei – die Anhörungen im Innenausschuss des Landtages gegeben haben. Von deren Ausgang hatte Woidke das weitere Vorgehen abhängig gemacht, Veränderungen nicht ausgeschlossen und nur noch von „einer Reform“ gesprochen. Das Ergebnis war so eindeutig wie verheerend für die rot-rote Koalition: Der Gesetzentwurf zur Kreisneugliederung war von den kommunalen Vertretern aus dem Land einhellig abgelehnt worden.

Selbst die Kommunalebene in der SPD läuft dagegen Sturm. Zudem würde nun auch noch das Risiko drohen, dass die Reform womöglich verfassungsrechtlich angreifbar wäre: In der 17-stündigen Marathonsitzung hatten aus dem Land angereiste Kommunalvertreter stundenlang warten müssen, teilweise bis nach zwei Uhr am Morgen. Schon vorher hatten sich Kreistage in ganz Brandenburg – mit den Stimmen von SPD und Linken – gegen die Reform positioniert. Und eine von der CDU-Opposition angeführte außerparlamentarische Volksinitiative „Kreisreform stoppen“ hatte 129.000 Unterschriften gesammelt.

Aktuell läuft ein Volksbegehren, um einen Volksentscheid über die Kreisreform zu erzwingen. Vergangene Woche ging selbst Alt-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) aus Sorge um den „inneren Zusammenhalt“ Brandenburgs mit der Warnung davor an die Öffentlichkeit, die Reform nach dem Motto „Augen zu und durch“ durchzuziehen.

Brandenburgs Politik steht vor einem Herbststurm

Die Kreisfusionen und Einkreisungen der hochverschuldeten Städte Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg an der Havel werden nun obsolet. Die stattdessen geplante Verwaltungsreform soll auf Pflichtkooperationen setzen. Seit den Anhörungen liegt ein entsprechender Kompromissvorschlag des Landkreistages auf dem Tisch, den dessen Präsident, Mittelmark-Landrat Wolfgang Blasig (SPD) vorgetragen hatte. Auch der Städte- und Gemeindebund mit dem Potsdamer Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) als Präsidenten würde dieses Modell mittragen.

Danach könnten Landkreise und kreisfreie Städte dazu verpflichtet werden, zum Beispiel Gesundheits-, Kataster- oder auch Jugendämter kreisübergreifend gemeinsam zu betreiben. Dies wäre ein „goldener Zügel“ im Gegenzug für die nötige Teilentschuldung der kreisfreien Städte. Die entsprechenden Gesetze könnten 2018 beschlossen werden, womöglich zusammen mit dem Doppelhaushalt für 2018/2019, mit einem Programm für Digitalisierung, Infrastrukturaufbau, Brandenburgs Landregionen, Bildung.

Aber erst einmal steht Brandenburgs Politik vor einem Herbststurm. CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben hat vergangene Woche bereits den Rücktritt von Ministerpräsident Woidke nach dem Vorbild des sächsischen Regierungschefs Stanislaw Tillich gefordert. Spekuliert wird deshalb auch, ob Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) über die verunglückte Gebietsreform stürzt. Woidke sei gegen ein „Bauernopfer“, heißt es.

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Leitartikel: Die Kreisreform ist gescheitert, die Aufgabe bleibt. Wenn die Änderungen ein Erfolg werden sollen, müssen sie eine spürbare Verbesserung für die Bürger bringen, meint Gerd Nowakowski in seinem Leitartikel.

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