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Brandenburg: Wölfe töten 100 Kilo schweres Kalb

In Lieberose haben Wölfe ein 100 Kilo schweres Kalb im Stall getötet. Wie wird man die Tiere los? Einfach ist es nicht.

Von Sandra Dassler

Trebitz - Als Erstes sah der Mitarbeiter eine Blutspur, 50 Zentimeter breit. „Die Spur führte aus dem Stall heraus und an ihrem Ende lag ein Pansen“, sagt Silvia Balzer, Geschäftsführerin der Agrargenossenschaft Trebitz-Klein Muckrow bei Lieberose im Brandenburger Landkreis Dahme-Spreewald. „Was sonst noch von dem Kälbchen übrig geblieben war – Schädel und Hinterbeine –, fand unser Mitarbeiter etwas weiter weg. Die haben das Tier förmlich zerrissen.“

Gemeint sind Wölfe, und zwar mehrere – da ist sich Silvia Balzer sicher. „Das Anfang des Jahres geborene weibliche Kalb war ja schon etwa 100 Kilogramm schwer und mit einigen anderen Tieren in einem durch Gitter abgetrennten Bereich untergebracht. Die Wölfe haben es im Stall getötet und dann unter den Gittern hindurch nach draußen gezerrt.“

Dass das Kalb von Wölfen gerissen wurde, dass es ein ungewöhnlicher Fall ist, bezweifelt das brandenburgische Umweltministerium nicht. „Wie nehmen das nicht auf die leichte Schulter“, sagt Ministeriumssprecher Jens-Uwe Schade: „Bislang ging es bei Wolfsrissen meist um Tiere, die auf der Weide getötet wurden. Dass Wölfe in Ställe eindringen, ihre Beute zwischen vier Wänden suchen, ist neu.“ Ein sogenannter Rissgutachter sei vor Ort gewesen, hieß es im Landesumweltamt. Der habe auch festgestellt, dass der Stall nicht besonders gesichert war. Die Tore hätten offen gestanden. „Natürlich standen die offen, wie immer, wenn die Temperaturen das zulassen, wir müssen ja lüften“, sagt Silvia Balzer. Wie in vielen Agrarbetrieben stammten die Stallanlagen noch aus der DDR-Zeit: „Als die 1982 oder 1983 gebaut wurden, hat hier noch niemand an Wölfe gedacht.“

„Wir haben auch Gruppen mit größeren, etwa 500 Kilo schweren Kälbern"

400 schon etwas ältere Kälber stehen im Trebitzer Stall. Die Wölfe hätten sich gezielt eines der jüngsten und wehrlosesten Tiere ausgewählt, sagt Balzer: „Wir haben auch Gruppen mit größeren, etwa 500 Kilo schweren Kälbern – da haben sie sich nicht rangetraut. Wölfe sind lernfähig, deshalb machen wir uns große Sorgen, dass sie wiederkommen.“

Ausgeschlossen sei das nicht, sagt Valeska de Pellegrini. Sie ist eine von zwei Brandenburger Wolfsbeauftragten und berät auch Tierhalter. Von einer „nächsten Eskalationsstufe“, die nach Ansicht mancher Kritiker nun erreicht ist, will sie nichts wissen. „Die Ställe sind ja offen“, sagt sie: „Der Wolf läuft in sie hinein, wie er unter einer Brücke durchläuft. Nur dass es im Stall interessanter riecht.“

Allen, die ähnliche Ställe wie die Agrargenossenschaft nutzen, empfiehlt de Pellegrini, nur den oberen Teil der zweigeteilten Tore zu öffnen. Auch ein Elektro- oder Weidenetzzaun wäre praktikabel. Schäfern sei die Umstellung am leichtesten gefallen, sagt de Pelligrini: „Die mussten schon immer Zäune bauen. Für Rinderhalter ist das Neuland.“ Wenn aber ein Wolf stabil auf Nutztiere geprägt sei, weil es einfacher ist, als sich mit Wildschweinen anzulegen oder lange hinter Rehen herzulaufen, sollte man handeln, sagt Ministeriumssprecher Schade: „Es besteht die Gefahr, dass eine Wölfin dieses Verhalten an ihre Nachkommen weitergibt.“ Ob es reicht, den Wolf, der sich in die Nähe von Nutztieren wagt, mit Gummigeschossen zu beschießen, bezweifeln Experten wie Valeska de Pellegrini. „Wenn so etwas wie ein nachhaltiger Lerneffekt eintreten soll, müsste man den Wolf immer genau in dem Moment beschießen, wenn er beschließt, ein Nutztier zu erbeuten. Das ist nicht praktikabel.“

Go West: Wenn in Belgien ein Lausitzer Wolf auftaucht

Also doch töten – „entnehmen“, wie es im Fachjargon heißt? „Auch das wirkt nur unter bestimmten Bedingungen abschreckend“, sagt Valeska de Pellegrini. In der Schweiz würde bei Wölfen, die sich oft in der Nähe von Siedlungen und Nutztieren aufhalten, ein Jungtier in Anwesenheit des Rudels geschossen. „Es macht ja keinen Sinn, einen einsamen Wolf, der allein unterwegs ist, zu töten.“

Auf Herdenschutz werden die Landwirte auch dann nicht verzichten können. Manchmal hält ein Rudel, das ein Revier beherrscht und Rehe jagt, am effektivsten andere Wölfe, die es nach Nutztieren verlangt, fern. Deshalb sagen einige Schäfer im Landessüden: „Lasst mir bloß meine Wölfe in Ruhe.“ Zwar gibt es noch wolfsfreie Flecken in Brandenburg, viele Jungwölfe wandern aber auf der Suche nach eigenen Revieren ab – meist nach der Devise „Go west“. Kürzlich ist in Belgien ein Lausitzer Wolf aufgetaucht, der in einigen Medien als „Brandenburger Exportschlager“ gefeiert wurde.

Ginge es nach Silvia Balzer, könnte Brandenburg alle Wölfe exportieren. „Mal abgesehen davon, dass einem so ein Kalb leidtut, weil es ja wie jedes Wesen um sein Leben kämpft, geht es natürlich auch um wirtschaftliche Verluste“, sagt sie. Zwar habe man ihr vom Land Hilfe in Form von kostenlos zur Verfügung gestellten Elektrozäunen angeboten. Ob sie eine Entschädigung erhalte, sei aber völlig unklar. „Ganz abgesehen davon, dass die entsprechende Richtlinie in Brandenburg nur für Weidetierhalter gilt. Weil offenbar niemand damit gerechnet hat, dass Wölfe ihre Beute auch in Ställen suchen.“

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