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Daddeln auf dem Smartphone ist für die meisten Kinder heutzutage Alltag. Mögliche Sextäter können leicht Kontakt aufnehmen.

© Jens Kalaene/dpa

Brandenburg: Wenn der Täter übers Smartphone ins Kinderzimmer kommt

Experten warnen im Innenausschuss im Brandenburger Landtag vor Cyberkriminalität - und der Sorglosigkeit von Politik und Eltern.

Potsdam - „Daddy“ versteckt sich nicht einmal. Er ködert seine möglichen Opfer auf direktem Wege. „Hey, Daddy sucht ein kleines Mädchen, offen für alles, Alter egal“, schreibt der Unbekannte im Internet. Ein anderer sucht auf ähnliche Weise Kontakt im Netz, lockt damit, dass Mädchen ihr Taschengeld aufbessern könnten, wenn sie sich auf ihn einlassen. Diese Annäherungsversuche potenzieller Sextäter stammen aus der vergangenen Woche. Thomas-Gabriel Rüdiger hat sie nicht etwa aus dem Darknet, einem verborgenen Bereich des Internets, gefischt, sondern in einem Chatprogramm gefunden, das gerne von Jugendlichen genutzt wird.

Die Botschaft, die der Kriminologe der Polizei-Fachhochschule in Oranienburg den Landtagsabgeordneten und Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) mit auf den Weg gibt, ist deutlich: Die Gefahren durch Cybercrime sind groß und allgegenwärtig. Die Politik muss mit der Zeit gehen, rechtliche Rahmenbedingungen anpassen zum Schutz gerade von Kindern und Jugendlichen.

In Brandenburg soll das Polizeigesetz verschärft werden

Andere Staaten seien beim Kampf gegen Kriminelle im Internet deutlich besser aufgestellt als Deutschland, sagte Rüdiger am Donnerstag bei einem Fachgespräch zum Thema Cyberkriminalität im Innenausschuss des Potsdamer Landtags. Anlass für die Expertenanhörung: In Brandenburg soll das Polizeigesetz verschärft und um Digitalbefugnisse der Ermittler ergänzt werden soll. Der Entwurf der rot-roten Landesregierung sieht unter anderem vor, Handy-Kommunikation – also auch über Messangerdienste – bei Terrorverdacht auslesen zu können. Anfangs diskutiert wurde auch die Online-Durchsuchung von Computern bei Verdächtigen, doch auf Druck der Linken wurde das Vorhaben wieder gestrichen.

Polizei hat nicht genug Experten für Cyberkriminalität

In Deutschland und damit auch in Brandenburg hätte die Polizei gar nicht genug Experten, um solche Maßnahmen umzusetzen, lässt sich aus den Zahlen schließen, die Rüdiger vorlegt: Nicht einmal 2000 Polizisten – weniger als ein Prozent aller Beamten – befassten sich in Deutschland mit Kriminalität in der digitalen Welt. 366 polizeiliche Social-Media-Accounts gebe es bundesweit, auch die Polizei Brandenburg ist dabei – bei 311 000 Polizisten. In den kleineren Niederlanden gibt es nur 65 000 Polizisten – aber 2500 Accounts, die von Beamten gesteuert werden. Als Polizei in Foren sichtbar aufzutreten, Hatespeech, also Hassreden, nicht zu ignorieren, sondern zu kommentieren, Konsequenzen aufzuzeigen, sei genauso wichtig wie verdeckte Ermittlungen – als Normenkontrolle und Zeichen, dass die Entwicklung einer „Unrechtskultur“ im Netz nicht geduldet werde. Aber: IT-Experten für die Polizei zu finden sei schwierig, so Rüdiger. „In der freien Wirtschaft werden sie einfach besser bezahlt.“

Die vorhandenen Polizisten besser zu schulen ist das Credo von Jan Dirk Roggenkamp, Professor für Polizeifragen und Sicherheitsmanagement an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. „Die digitale Spurensuche hat einen zu geringen Stellenwert in der Aus- und Fortbildung“, sagte er. Da müsse man erst einmal ansetzen und nicht neue Befugnisse wie die Möglichkeit der Online-Dursuchung schaffen – gegen die aus seiner Sicht zwei Dinge sprechen. Erstens sei etwa das dauerhafte Auslesen eines Smartphones ein tiefer Eingriff in die absolute Intimsphäre. „Die Gedankenwelt des Nutzers wird ausgeforscht“, so Roggenkamp. Eine heimliche Rundumüberwachung überschreite alle bisher dagewesenen rechtsstaatlichen Grenzen. „Ihr Smartphone kennt Sie besser als Sie sich selbst“, sagte er. Das Lesen eines fremden Tagebuchs sei nichts im Vergleich zu den Geheimnissen, die ein Handy offenbaren kann. Der zweite Punkt, der aus Roggenkamps Sicht gegen das heimliche, längerfristige Auslesen von Daten spricht: Dies sei nur möglich, wenn die Ermittler ihrerseits Sicherheitslücken knacken und einen Staatstrojaner einsetzen. Die Kenntnisse darüber müssten auf dem Schwarzmarkt von Hacker gewonnen werden – ein heikles Terrain für Sicherheitsbehörden.

Sollten Spiele erst ab 18 Jahren freigegeben werden?

Auch Kriminologe Rüdiger hält es eher für notwendig, Gesetze zu ändern, die dem Opferschutz dienen, anstatt neue Polizeibefugnisse zu schaffen. Computerspiele mit Chatfunktion wie das beliebte, vom Hersteller ab 13 freigegebene Clash of Clans etwa seien ein Einfallstor für Sextäter, die Kontakt zu Kinder anbahnen wollen. Sein Vorschlag: Sämtliche Spiele sollten erst ab 18 freigegeben werden. Hersteller, die ihr Programm für Jüngere anbieten wollen, müssten erst Schutzmechanismen nachweisen, etwa den Einsatz eines staatlich geschulten Moderators im Chat und eines Wortfindeprogramms, das typische Tätersprache erkennt.

Aber nicht nur Politik und Polizei könnten und müssten mehr tun, so Rüdiger. Auch Lehrer und Eltern seien gefordert. Oft seien schon vermeintliche Kleinigkeiten hilfreich, die viele noch immer nicht verinnerlicht hätten: „Kinderbilder gehören nicht ins Netz, also auch nicht auf das Profilbild bei Whatsapp.“ Der Cyberexperte rät auch davon ab, Kinderbilder von Kitas, Schulen oder Sportvereinen online zu präsentieren. „Die Kinder erhalten so einen digitalen Fingerabdruck im Netz – in einem Alter, in dem sie das noch gar nicht verstehen“, warnt Rüdiger. Auf einem Spielplatz würden Eltern sofort einschreiten, wenn ihr Kind von einem Fremden angesprochen würde. Auch im Umgang mit dem Internet wünscht sich Rüdiger diese Sensibilität, damit „Daddy“ kein leichtes Spiel hat.

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