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Die Kreisgebietsreform ist umstritten: Bis 2019 soll die Zahl der Landkreise in Brandenburg halbiert werden.

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Brandenburg: Kommentar über Abwasseranschluss-Gebühren: Verlassenes Land

Dass Grundstückbesitzer für Abwasseranschlüsse aus DDR-Zeiten noch deutlich nach der Wende zahlen mussten, ist eine typische Geschichte für Brandenburg, meint Thorsten Metzner. Ein alter Kommentar aus dem Mai 2009, der trotzdem hochaktuell ist.

Verkehrte Welt, kafkaeskes Brandenburg: Einhunderttausend Hausbesitzer werden jetzt für Abwasseranschlüsse zur Kasse gebeten, obwohl ihre Grundstücke schon seit Jahrzehnten an die Kanalisation angeschlossen sind. Sie sollen nachträglich an den Millionenkosten der nach 1990 in die Mark geklotzten Großkläranlagen beteiligt werden, was damals versäumt worden war. Zahlungsbescheide über tausende Euro - eineinhalb Jahrzehnte zu spät? Und das alles für längst finanzierte, vom Land einst mit Millionen und Abermillionen geförderte Anlagen, für die Märker seit damals schon Monat für Monat die höchsten Abwassergebühren Deutschlands zahlen mussten?

Merkwürdig, dass solch abenteuerliche Geschichten immer in Brandenburg passieren: Da war die Trennungsgeld affäre, bei der höchste Richter, Staatsanwälte und Justizbeamte zu Unrecht Tausende Euro kassierten. Oder die Bodenreformaffäre, bei der sich das Land "sittenwidrig" zehntausend fremde Grundstücke einverleibte. Da ist die Unsicherheit von 7500 Lehrern, die das Land rechtlich fragwürdig zu "Teilzeit-Beamten" ernannte. Und dies noch nicht korrigierte, obwohl alle längst volle Stunden lehren und ein Fiasko vor dem Bundesverwaltungsgericht unausweichlich ist. Das alles hat nichts miteinander zu tun? Das Grundmuster ist gleich. Stets geht es um Altlasten aus der Stolpe-Ära, die das Land wohl noch ewig einholen werden.

Der Brandenburger Weg: Keiner will es gewesen sein

Wenn sie bekannt werden, ist der Umgang damit klassisch: Als Ouvertüre gibt es eine kurze Phase der Betroffenheit, des Aktionismus, der allgemeinen Aufregung, begleitet von vollmundigen Ankündigungen der Politik - ab einem bestimmten Grad der Empörung ist eine Regierungserklärung des Minister- und Stimmungspräsidenten Matthias Platzeck (SPD) garantiert. Man verspricht, das Haus aufzuräumen, bis ziemlich schnell Ruhe einkehrt, alles im Sande verläuft. Man merke: Schuldige, persönliche Konsequenzen gibt es im märkischen Kollektivstaat nie. Vielleicht ist das der Brandenburger Weg, der in der Stolpe-Ära beschworen wurde: Keiner will’s gewesen sein, und weil es keiner war, waren’s eben alle. Zurücktreten kann ja niemand, weil die Kandidaten lange in Pension sind. Wohin diese Daueraffäre, das Prinzip Verantwortungslosigkeit, führt? Zu einem Verlust an Vertrauen in den Rechtstaat, in die Gewalten, ja in Demokratie.

Dass man jetzt etwa die "Altanschließer" zur Kasse bitten kann, basiert auf einem sehr, sehr spitzfindigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts, wonach Satzungen, die in Brandenburg selbst nach 19 Jahren noch nicht gültig sind, auch nicht verjähren konnten. Juristisch mag das korrekt sein. Die Logik aber ist perfide. Kein Finanzamt kann noch Uralt-Steuern kassieren, nach fünf Jahren sind selbst die meisten Straftaten verjährt. Aber bei Abwasseranschluss beiträgen soll das möglich sein? Wenn der Landtag das nicht verhindert, wenn er sich opportunistisch hinter vermeintlichem Recht versteckt, nur versucht, Folgen zu mildern, Härtefälle zu entschärfen, dann geschieht in Wirklichkeit eins: Politik gibt ihren Gestaltungs- und Führungsanspruch auf. Dann ist Brandenburg ein Land, in dem man sich auf nichts mehr verlassen kann. 

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