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Fernab der Heimat. Dietmar Woidke wollte Werbung für das Wirtschaftsland Brandenburg nach dem Brexit machen. Dazu kam er kaum.

© Sabine Schicketanz

Brandenburg in Großbritannien: Woidkes Braxit

Brandenburgs Ministerpräsident besucht London – die Reise passt zu ihm. Denn zu Hause ist nach dem Wahldebakel für die SPD alles anders. Selbst in der Ferne verfolgen ihn Brandenburger Probleme.

London - David Ison hält sich nicht mit Floskeln auf. Den feingliedrigen Mann, ergrautes Haar, schwarzes Gewand, treibt die politische Lage in Deutschland um. „Wenn Sie keine Fragen an uns haben – wir haben Fragen an Sie“, sagt er. Ison ist Dekan der St. Paul’s Cathedral in London, er leitet das Domkapitel, einer der größten Kathedralen der Welt. Ihm gegenüber im holzvertäfelten Sitzungsraum: Dietmar Woidke (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident. Isons erste Frage: „Wie schätzen Sie das starke Wahlergebnis der Rechten in Deutschland ein?“

Die Kurzvisite bei St. Paul's ist eine Station von vielen für Woidke während seiner dreitätigen Reise zur sogenannten Auslandspräsentation Brandenburgs in London. Was geplant war als bunte Werbeveranstaltung für das Land, das Berlin umgibt, für Schlösser, Seen und freie Flächen für Wirtschaftsansiedlungen, gerade nach dem Brexit-Votum, hat mit dem Ergebnis der Bundestagswahl eine andere Dimension. Überall, wo Woidke hinkommt, muss er nun selbst ähnliche Fragen beantworten. Denn auch sein Land ist in Aufruhr. Was ist da geschehen in Deutschland, in Brandenburg, wo die AfD zweitstärkste Kraft wurde?

Woidke in London: „Wir müssen weitermachen mit unserer Arbeit für Flüchtlinge“

„Es war ein Schock für uns, wie viele Leute AfD gewählt haben“, beginnt Woidke, auf Englisch, seine Antwort an Dekan Ison. Denn die AfD, das sei nicht nur die politische Rechte, es seien auch Rechtsextremisten und Neonazis. Bei den Menschen herrsche offenbar Angst und Verunsicherung, berichtet Woidke. „Viele denken, dass ihre Zukunft weniger gut sein wird.“ Menschen besonders in Ostdeutschland, in Brandenburg, hätten in den 1990er Jahren viele Probleme bewältigen müssen – wie Arbeitslosigkeit, sozialen Abstieg, familiäre Belastungen. Jetzt hätten sie, ausgelöst durch die hinzukommenden Flüchtlinge, große Befürchtungen, zu verlieren was sie sich erarbeitet haben. Wie er, der Ministerpräsident, damit umgehe? „Wir müssen härter arbeiten, besser werden, mehr tun“, sagt Woidke. „Wir müssen den Menschen besser erklären, dass es in dieser komplexen Welt eben nicht die einfachen Antworten sind, die dauerhaft tragen.“ Das klingt leichter als es ist.

Wie das aussehen soll, dazu bleibt der Regierungschef vage. Man kann spüren, bei allem Bemühen, keine Unsicherheit zu zeigen, dass er sich vortastet, nach seinem Kurs sucht. Den Schock, er hat ihn scheinbar noch nicht verdaut. „Für mich ist dieser Wahlsonntag eine Zäsur in der deutschen Geschichte und ich glaube, wir werden noch lange daran denken, was da passiert ist“, sagt Woidke später. Klar macht er eines: Eine Bewegung nach rechts, eine Abkehr von einer humanen Flüchtlingspolitik, hat er nicht vor. „Wir müssen weitermachen mit unserer Arbeit für Flüchtlinge“, sagt er dem Dekan von St. Paul’s. Er überlegt, spricht langsam und leise. Es helfe nur, die Menschen zusammenzubringen: „Die meisten Stimmen für die AfD gab es in Gemeinden, in denen gar keine Flüchtlinge wohnen.“

Woidke steht unter extremem Druck - die politische Krise verfolgt ihn bis nach London

Deutlich wird, selbst weit weg von Potsdam: Der 55-Jährige steht unter extremem Druck, die politische Krise einzudämmen, in die die Bundestagswahl Brandenburg katapultiert hat – und seine Partei, in der Unruhe herrscht. Und im Zwiespalt, das AfD-Ergebnis nicht zu unterschätzen, es gleichzeitig aber nicht stark- zureden. Kann er da, wie es die Spitzen des Koalitionspartners Die Linke einfordern, die von seiner rot-roten Regierung zum Zukunftsprojekt erklärte Kreisreform weiter durchziehen – in einem Land, in dem jeder Fünfte, der zur Wahl ging, AfD gewählt hat? Wo ein Volksbegehren läuft gegen seine Reform, gegen die schon 130 000 Menschen bei einer Volksinitiative unterschrieben haben? Welche Auswirkungen würde das haben, spätestens 2019 bei der Landtagswahl, in die die SPD mit dem historisch schlechtesten Wahlergebnis geht – mit 17,6 Prozent, weniger als die AfD, die 20,2 Prozent bekam, nur hauchdünn vor den Linken (17,2 Prozent)? Wie lange folgen ihm noch die eigenen Leute? Während er in London ist, hat der Uckermark-Kreistag gegen die Kreisreform gestimmt. Einstimmig. Mit den Stimmen von SPD und Linken. Wieder ein Kreistag mehr. Was wird, was kann Woidke da überhaupt noch tun, so verfahren wie die Lage ist?

Ein hartes, klares Ja, das gibt es von Woidke in London zur Kreisreform nicht. Nicht mehr. Er wiederholt, dass eine Reform nötig, ja unausweichlich sei, um die überschuldeten kreisfreien Städte handlungsfähig und die Verwaltungen im Land leistungsfähig zu halten. Es sind auffällig leise Töne. „Es muss strukturelle Veränderungen geben. Ob sie erfolgen wie geplant, liegt ja momentan ohnehin nicht mehr in der Hand der Regierung, sondern beim Landtag.“ Er könne sich da „Veränderungen durchaus vorstellen“. Es gelte, die Anhörungen abzuwarten und auszuwerten. Erst einmal Zeit gewinnen. Gleichsam warnt Woidke vor Rückschlüssen auf die Landtagswahl, was wohl ein Appell sein soll an seine Partei: „Es hängt an uns, wie die Landtagswahl läuft. Das müssen wir realisieren.“ Die CDU fordert er zum Dialog auf. Das Kreisreform- Volksbegehren sei ja eine außerparlamentarische Oppositions-Initiative der CDU, aber sie zahle nur aufs Konto anderer ein. Er meint die AfD. Brandenburgs Politik müsse im Landtag „zu einem Umgang kommen, der das Land voranbringt“, so Woidke. „An mir wird das nicht scheitern.“ Er sei bereit, sich mit CDU-Partei- und Fraktionschef Ingo Senftleben zusammenzusetzen. „Er weiß, dass ich gesprächsbereit bin.“

Brandenburgs Kohleausstieg: Für einen kurzen Moment liegen die Nerven blank

Die Botschaft, die Woidke verbreitet – egal ob zur politischen Lage in Brandenburg oder zum britischen Brexit – ist fast schon eintönig: Je größer die Herausforderungen, desto enger müsse Zusammenarbeit sein. Ärger, Abstrafen, das helfe gar nichts. Weder bei den AfD-Wählern noch bei den Brexit-Befürwortern. Für Rolls Royce, den britischen Konzern, der in seinem Turbinenwerk im brandenburgischen Dahlewitz 2200 Menschen beschäftigt, offenbar der richtige Ton. Sein Gespräch mit Rolls Royce-Chef Warren East sei gut verlaufen, trotz Brexit-Unsicherheit, sagt Woidke. „Wir haben über weitere konkrete Projekte gesprochen.“

Für seine Botschaften, die er, der Ostdeutsche, in London alle auf Englisch vorbringt – was, wie mehrfach zu hören ist, ja sein Vorgänger Matthias Platzeck nicht gekonnt habe – bekommt Woidke wohlwollenden Applaus. Auch beim Empfang in der deutschen Botschaft am Donnerstag, wo gut tausend Gäste den Tag der deutschen Einheit nachfeiern, unter ihnen Großbritanniens Verteidigungsminister Michael Fallon. Dort wirkt der groß gewachsene Woidke, umrahmt von den Männern der Potsdamer Riesengarde Lange Kerls, die in ihren Kostümen die London-Präsentation begleiten, allerdings lange angespannt. Die Nachrichten an diesem Abend aus Brandenburg nehmen ihn mit: vier Tote nach Sturm „Xavier“. Als er dann noch angegangen wird zum Thema Braunkohle, liegen Woidkes Nerven kurz blank: Gegenüber einem Journalisten, der Brandenburg als Klimasünder bezeichnet, ist der Regierungschef wenig diplomatisch, bricht das Gespräch schließlich ab. Am nächsten Morgen folgt ein Statement des SPD-Landesvorsitzenden Woidke zur Bundespolitik. Angela Merkel sitze die Regierungsbildung aus, aber Brandenburg erwarte Antworten – auch zum „Erhalt der Lausitz als Industrieregion“. Damit schneidet er selbst an, was mit einem Jamaika-Bündnis sein neues Problem werden könnte: Besiegelt die neue Bundesregierung den Kohleausstieg im Koalitionsvertrag, wird der Strukturwandel der Lausitz, seiner Heimatregion, noch schneller zur Überlebensfrage. Auch für ihn.

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