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Brandenburgs Innenminister Schröter und seine Pläne für die künftigen Landkreise.

© Bernd Settnik/dpa, Schilli/PNN

Brandenburg gegen rot-rote Reform: Breite Front gegen Kreisreform – besonders in der SPD

Eine Umfrage zeigt: Die Brandenburger lehnen die Kreisreform ab. Großen Ärger handelte sich der Innenminister mit den Kreisnamen ein, im Spreewald ist die Wut groß. Doch Karl-Heinz Schröter kontert: Es sei keine Zeit, um große Reformeuphorie zu entfachen.

Potsdam - Die von Brandenburgs Landesregierung geplante Kreisgebietsreform – das zentrale Vorhaben von Rot-Rot - stößt bei den Bürgern auf breite Ablehnung. Das ist das Ergebnis einer Umfrage von infratest dimap im Auftrag des rbb-Nachrichtenmagazins „Brandenburg Aktuell“ und der „Märkischen Oderzeitung“ (MOZ). Demnach lehnen 69 Prozent der Befragten die Kreisreform ab, bei der von 14 Landkreisen und vier kreisfreien Städten nur neun Kreise und die Landeshauptstadt Potsdam als Gebietskörperschaften übrig bleiben. Nur 28 Prozent der Brandenburger halten der repräsentativen Umfrage zufolge die Kreisreform wegen sinkender Einwohnerzahlen überhaupt für nötig.

Außerhalb des Speckgürtels sind drei von vier Bürger gegen die Reform

Das bisherige Argument der Landesregierung für die Reform lautete: Die Kreisstrukturen, das letzte Mal gestrafft 1993, passen nicht mehr zu einem Land, in dem vor allem in den berlinfernen Regionen immer weniger Menschen, im Speckgürtel aber immer mehr leben werden.

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Doch das schlägt bei den Bürger offenbar nicht durch, wie die Umfrage von rbb und MOZ zeigt. Am größten ist die Ablehnung mit 73 Prozent in den Städten Cottbus, Frankfurt (Oder) und Brandenburg/Havel, die ihre Kreisfreiheit verlieren sollen und sich mit aller Kraft dagegenstemmen. Diesen Städten droht sogar, dass sie in den neuen Kreisen nicht einmal Kreisstadt werden, weil es ein Bewerbungsverfahren geben soll und am Ende der Landtag entscheidet. Im Berliner Umland liegt die Ablehnung bei 60 Prozent, im Rest Brandenburgs sind Dreiviertel der Brandenburger gegen die Reform. 

Bei den SPD-Anhängern dringt die Parteispitze nicht durch

79 Prozent der Brandenburger befürchten, dass mit den geplanten Fusionen zu Großkreisen die Wege zu Verwaltungen und Behörden zu lang werden. In den drei betroffenen Kreisstädten haben sogar 82 Prozent der Bürger Sorge vor unzumutbar weiten Wegen.

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Bemerkenswert ist die Haltung der Brandenburger zur Kreisreform nach ihrer Parteipräferenz. Demnach ist die Ablehnung unter den Anhängern der SPD von Landesparteichef und Ministerpräsident Dietmar Woidke am größten. Von den SPD-Anhängern lehnen 76 Prozent die Kreisgebietsreform ab. Das deckt sich mit der bisherigen Resonanz an der Parteibasis, wo das Reformvorhaben trotz Werbeversuchen der Parteispitze wenig Verständnis findet. Auf Platz zwei der Ablehnung landen AfD-Anhänger mit 75 Prozent. Bei der CDU, die gemeinsam mit Freien Wählern und FDP die Volksinitiative gegen die Reform maßgeblich prägt und die stramm auf die 20 000 nötigen Unterschriften zuläuft, liegt die Ablehnung bei 71 Prozent. Bei den im Land mitregierenden Linken und bei den oppositionellen Grünen sind 59 Prozent der Anhänger gegen die Reform.

Verheerende Reaktionen auf Schröters Gesetzesentwurf

Allerdings war den Brandenburgern bei der über das vergangene Wochenende angehaltenen Umfrage noch nicht bekannt, was Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) genau plant. Am Donnerstag hatte er einen Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Neugliederung der Landkreise und kreisfreien Städte“ vorgestellt. Für Aufsehen sorgten Begriffe wie „Neugliederungsbefehle“ und „untergehende Landkreise“. Die Kommentare in der Landespresse waren, zumal Schröter ohnehin Basta-Politik vorgeworfen wird, verheerend. Die MOZ unkte, ob neben den Begriffen sich auch das Denken aus der Zeit der preußischen Kreisordnung von 1872 in den Amtsstuben erhalten habe. „Da steht der Brandenburger doch sofort still, stellt das Denken ein und schlägt die Hacken zusammen.“ Die "Lausitzer Rundschau" kommentierte: "Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und sein Kabinett versuchen offenbar, ihre umstrittene Verwaltungsstrukturreform auf Gedeih und Verderb ins Ziel zu prügeln." Das zeige einmal mehr, "wie weit sich die rot-rote Landesregierung mit ihrem Prestigeprojekt mittlerweile von den Bürgern im Land entfernt hat".

Der Spreewald fehlt in den Kreisnamen

Schröter hatte am Donnerstag erstmals auch Namen für die neuen Landkreise genannt: im Norden Prignitz-Ruppin und Uckermark-Barnim, im Süden Dahmeland-Fläming und der Superkreis Niederlausitz, größer als das Saarland. Damit provozierte Schröter noch mehr Widerspruch, als es ohnehin schon gibt. Denn der Name einer Region fehlt dabei, die wie keine andere über die Grenzen des Landes hinaus für Brandenburg steht: der Spreewald. Bislang fand man den Namen bei den Kreisen Dahme-Spreewald, der mit Teltow-Fläming fusioniert werden soll, und bei Oberspreewald-Lausitz, der im Superkreis um Cottbus aufgehen soll.

Blank Wut im Spreewald bringt Volksinitiative Zulauf

Was dieser Schritt Schröters auslöste, hat die CDU-Landtagsabgeordnete Roswitha Schier am gestrigen Freitag erfahren. Sie lebt in Lübbenau im Oberspreewald-Lausitz-Kreis. Am Vormittag sammelte Schier für die Volksinitiative gegen die Reform Unterschriften in Lübbenau, den Termin hatte sie zuvor in der Lokalpresse angekündigt.

„Die Leute sind extra aus den umliegenden Dörfern gekommen, um zu unterschreiben“, sagte Schier. „Weil jetzt der Spreewald fehlt, gibt es noch mehr Gegenwind. Die Leute haben gefragt, wie das sein kann.“ Der Grund: Die Region hat sich auf den Tourismus eingestellt, der Spreewald ist eine Marke, es wurde in Hotels und Übernachtungen investiert, die Zahl der Besucher und Übernachtungen steigt. Zudem sei der Spreewald nach Potsdam die wichtigste Tourismusregion, das bedeutendste Reiseziel im Land. „Binnen eineinhalb Stunden hatte ich 220 Unterschriften“, sagte die CDU-Abgeordnete. Das sind zweieinhalb Unterschriften pro Minute.

REAKTION DES INNENMINISTERS

Am Freitagabend äußerte sich Innenminister Karl-Heinz Schröter auf die Umfragewerte zu Kreisreform. Wir dokumentieren die Erklärung im Wortlaut:

„Die aktuell überwiegende Ablehnung der Kreisgebietsreform überrascht mich in keiner Weise. Man muss dabei vor allem drei Aspekte ganz nüchtern berücksichtigen. Zum einen sind Kreisgebietsreformen niemals populär. Es sind keine Vorhaben, die von begeisterter Zustimmung der Bürger getragen werden. Das war bei jeder solchen Reform feststellbar – egal wo und wann sie durchgeführt worden sind. 

Zum zweiten darf man nicht übersehen, dass im Osten und so auch in Brandenburg die letzten 25 Jahre von ständigen, tiefgreifenden Veränderungen geprägt gewesen sind. Fast alles ist anders geworden seit der Einheit. Die Menschen sehnen sich nach Stabilität und Kontinuität; sie möchten, dass die Dinge einfach auch mal so bleiben können, wie sie sind. Man kann für eine solche Einstellung nur großes Verständnis haben. Es ist heute keine Zeit, um große Reformeuphorie zu entfachen. Deshalb erwarte ich eine solche auch nicht.

Und zum dritten ist der Reformbedarf für die Bürger aktuell auch nicht wirklich mit Händen zu greifen, denn die bestehenden Verwaltungen funktionieren ja im Großen und Ganzen ordentlich. Das alles zusammen macht die Skepsis und Reserviertheit gegenüber der geplanten Reform nur allzu verständlich.

Nur eben: Wir machen die Reform auch nicht für heute – sondern für morgen und übermorgen. Die heute bei den Bürgern weit verbreitete Skepsis ändert nichts an der Notwendigkeit dieser Reform. Die einzelnen Teile des Landes entwickeln sich auseinander und es kommt darauf an, das Land zusammenzuhalten. Eine Landesregierung, die Verantwortung für das ganze Land trägt, kann dieser absehbaren Entwicklung nicht untätig zusehen. Sie muss vorausschauend handeln und darf nicht abwarten, bis der Problemdruck so groß geworden ist, dass es wirklich und wahrnehmbar im Gebälk der Verwaltungen knirscht. Dann wäre es nämlich zu spät.

Besser ist es, heute zu handeln. Es ist gerade dieser vorausschauende Ansatz der Reform, der die Entwicklung nicht der nächsten Jahre, sondern Jahrzehnte in den Blick nimmt, der das Werben für das Vorhaben zum heutigen Zeitpunkt schwer macht. Das ist mir völlig klar.

Die laut Brandenburg-Trend insgesamt sehr stabile politische Lage im Land zeigt eins sehr deutlich: Die Kreisgebietsreform ist nicht beliebt, aber auch nicht der große Aufreger bei den Menschen, den sich die Kritiker gerne wünschen. Die Brandenburger sind sehr bodenständige und vernünftige Leute. Sie wissen, dass ein Umbau von Verwaltungen und Änderungen von Verwaltungsgrenzen nichts mit dem Verlust von „Heimat“ und „Identität“ zu tun haben und lassen es sich auch nicht einreden. Die Brandenburger wissen sehr gut, dass Heimat etwas ganz anderes ist.

Was Befürchtungen angeht, die Wege zur Verwaltung würden in Zukunft länger werden, so werden wir diese durch sachliche Argumente entkräften. Es ist in ganz Deutschland nirgendwo so, dass man 100 Kilometer zum nächsten Amt fahren müsste – und das wird natürlich auch in Brandenburg nicht so sein. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass in stärker aufgestellten neuen Landkreisen der Bürgerservice ausgebaut wird und Dienstleistungen sogar näher zu den Bürgern heranrücken. Das ist jedenfalls meine Erwartung. Ein gut aufgestellter Landkreis kann dort mehr tun, als ein Landkreis, dessen Verwaltungskraft nach und nach immer weiter abnimmt. Ich denke, dass es gelingen kann, manche Sorgen und Befürchtungen nach und nach zu zerstreuen. Was ich aber auch in Zukunft nicht erwarte ist, dass die Bürger begeistert am Weg der Reform Spalier stehen und applaudieren – denn das ist, wie alle Erfahrungen der Vergangenheit und aus anderen Ländern zeigen, eine völlig unrealistische Erwartung. In der heutigen Zeit erst recht. Ich bleibe also Realist.“
 

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