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Artemis durch die Nacht. Bei der Razzia wurden Vermögenswerte von 6,4 Millionen Euro beschlagnahmt.

© Paul Zinken/dpa

Brandenburg: Bordell-Pakt mit den Höllenengeln

„Artemis“-Betreiber sollen Geschäftskontakte zu kriminellen Rockern gehabt haben

Berlin - Taxis rollen an, ein Türsteher begrüßt die Gäste. Vor dem „Artemis“ in Berlin-Halensee, dem bekanntesten und größten Bordell der Stadt, wirkt am Donnerstag alles wie immer. Drinnen dürften es sich wieder Dutzende Männer im Pool, der Sauna und auch in den Zimmern bequem gemacht haben – für 80 Euro Eintritt plus dem Lohn für die Sexarbeiterinnen. Doch nach der Razzia am Mittwoch prüft das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, ob das Großbordell an der Halenseestraße geschlossen werden kann. „Ein entsprechendes Verfahren wurde eingeleitet, die Betreiber wurden zur Stellungnahme aufgefordert“, sagte Ordnungsstadtrat Marc Schulte (SPD). Eine Antwort werde in wenigen Tagen erwartet. Die „Artemis“-Betreiber traten als Saubermänner des Sexgewerbes auf. Sie warben auf BVG-Bussen um Kunden und beschäftigten – neben den Frauen – bis zu 40 Angestellte: Sicherheitsleute, Köche, Bürokräfte. Die bis zu 100 professionellen Frauen wiederum bedienten zwischen drei und 15 Männer am Tag.

Gleichzeitig sollen die „Artemis“- Bosse mit einschlägig bekannten Hells Angels Geschäfte gemacht haben. Beide Betreiber sitzen seit Mittwoch wegen des Verdachts des Menschenhandels, der Steuerhinterziehung und des Sozialversicherungsbetrugs in Untersuchungshaft. Auch vier „Hausdamen“ wurden verhaftet, also ehemalige oder aktive Prostituierte, die im Alltag die Abläufe organisieren. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass die „Artemis“-Betreiber ihre Prostituierten seit der Eröffnung im WM- Sommer 2006 als Scheinselbstständige beschäftigten. Offiziell waren die Sexarbeiterinnen als Freiberuflerinnen selbstständig, mieteten sich auf eigene Rechnung ein und kassierten ihre Freier auf eigene Faust ab – also mehr oder weniger individuelle Preise für individuelle Praktiken. Inoffiziell aber, so der Vorwurf, gab es ein per Dienstplan geregeltes Schichtsystem, Fixpreise für sexuelle Dienstleistungen und Dresscode. Insgesamt seien die Prostituierten wie abhängig Beschäftigte behandelt worden.

Die Betreiber hätten die Frauen anstellen und wie jeder Arbeitgeber Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen, taten es aber nicht. Michael Kulus vom Hauptzollamt Berlin schätzte den Schaden der Sozialkassen auf mindestens 17,5 Millionen Euro. Zum Vergleich: Kulus zufolge registrierte das Hauptzollamt 2015 in ganz Berlin 60 Millionen Euro Schaden.

Eine Prostituierte hatte die Ermittler im Sommer 2015 auf die Spur gebracht. Sie hatte sich an die Polizei gewandt, weil sie von ihrem damaligen Partner – ein Rocker der Hells Angels – zum Anschaffen ins Großbordell geschickt worden war. „Sie war dabei nicht immer freiwillig tätig“, sagte Staatsanwalt Michael Stork. Wenn die Frau nicht genug Geld verdiente, soll es Schläge gegeben haben. Die Frau soll so heftig malträtiert worden sein, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als zur Polizei zu gehen. Als sie von den Arbeitsabläufen im „Artemis“ erzählte, wurden die Ermittler hellhörig. Sie machten sich unter strengster Geheimhaltung an die Arbeit, maximal 15 Personen waren eingeweiht. Die Betreiber hätten ihre Geschäfte unter „extremer Abtarnung“ organisiert, seien hochprofessionell vorgegangen. Die Betreiber sollen nicht nur Sozialbeiträge und Steuern hinterzogen haben – darüber hinaus sei „ein unmittelbarer Bezug zur Organisierten Kriminalität in einem vermeintlich legalen Betrieb“ festgestellt worden, sagte Andreas Behm von der Staatsanwaltschaft. Mehrere Hells Angels sollen ihre Prostituierten mit Wissen der Betreiber zur Arbeit ins „Artemis“ geschickt haben, dafür gab es freien Eintritt und Sonderkonditionen. Kürzlich war in einem Mordprozess gegen deutsche und türkische Rocker publik geworden, dass sich die Crew um einen berüchtigten Weddinger Hells-Angels-Boss im „Artemis“ traf.

Man sei „auf den Spuren der Strafverfolgung bei Al Capone gelandet“, sagte Behm. Der legendäre US- Mafioso war in den 1930er-Jahren in allerlei Illegales verstrickt gewesen – allerdings konnte er vor Gericht nie dafür belangt werden. Schließlich wurde er dann doch verurteilt: wegen Steuerhinterziehung.

Am Mittwoch waren 6,4 Millionen Euro an „Vermögenswerten“ beschlagnahmt worden. Fast 100 Prostituierte wurden vernommen, sie bestätigten die Aussagen der Tippgeberin weitgehend. Die Frau steht unter Polizeischutz – im Rotlichtmilieu droht ihr Rache. Das sichergestellte Beweismaterial sei so umfangreich, so Zollsprecher Kulus, dass die Auswertung Monate dauere.Cay Dobberke,

Hannes Heine, Timo Kather

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