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Früher oder später. In Brandenburg und Berlin dauert die Grundschulzeit sechs Jahre, in den anderen Bundesländern nur vier. 34 Brandenburgische Gymnasien und eine Gesamtschule, davon vier Schulen in freier Trägerschaft, nehmen schon Fünftklässler auf. B. Weißbrod/dpa

© B. Weißbrod/dpa

Bildungspolitik in Brandenburg: Zu wenig Klassen für Begabte

Leistungs- und Begabungsklassen verkürzen die Grundschulzeit um zwei Jahre - und sind in Brandenburg so gefragt, dass die Plätze nie reichen.

Potsdam - Längeres gemeinsames Lernen oder frühe Leistungsförderung? Brandenburg hat vor elf Jahren auf Druck der damals mitregierenden CDU einen Schleichweg für Schnellläufer gewählt. Seit dem Schuljahr 2007/2008 können besonders talentierte Schüler mit sehr guten Noten schon nach vier statt sechs Jahren von der Grundschule auf eine weiterführende Schule wechseln. Die SPD gab dem Wunsch des damaligen Koalitionspartners nach, begrenzte die Zahl der Standorte für die Leistungs- und Begabungsklassen (LuBKs) aber auf landesweit 35. 

473 Kinder wurden nicht angenommen

Das wirkt sich bis heute aus: Längst nicht alle Schüler, die eine solche Klasse besuchen wollen, können das auch. Die Anmeldezahlen übersteigen jedes Jahr die Zahl der Plätze. Für das aktuelle Schuljahr gab es 1386 Anmeldungen, wie das Bildungsministerium auf PNN-Anfrage mitteilt. Aufgenommen werden konnten nur 913 Schüler. Das bedeutet: mehr als 470 Kinder gingen leer aus.

Panne bei Aufnahmetests in Werder

Wie umkämpft die Plätze sind und wie viel aus Elternsicht davon abhängt, in welchem Alter das Kind ans Gymnasium wechselt, zeigte sich im Juli in Werder (Havel): 49 Grundschüler, die sich für die Leistungs- und Begabungsklasse am Ernst-Haeckel-Gymnasium beworben hatten, mussten die Aufnahmetests wegen einer Panne beim Prüfungsablauf wiederholen. Und das, obwohl ihnen schon Wochen vorher eine Zu- oder Absage erteilt worden war. Die Empörung der Familien war entsprechend groß.

Oberhavel entschied sich gegen Leistungsklassen

Ein grundsätzliches Problem: Die Klassen für begabte Schüler sind ungleichmäßig über das Land verteilt. Im Landkreis Oberhavel gibt es keine einzige, weil sich der Kreistag 2006 gegen die Einrichtung solcher Klassen aussprach. Die meisten Begabtenangebote gibt es in Potsdam und im Umland. Allein in Potsdam nehmen fünf Gymnasien bereits Fünftklässler auf. Im gesamten Schulamtsbereich Brandenburg/Havel, wo nicht nur das Angebot, sondern auch die Nachfrage am größten ist, kamen auf 315 Plätze 516 Anmeldungen.

CDU: Festlegung auf 35 Standorte ist "ungerecht"

„Die Festlegung auf 35 Standorte ist komplett willkürlich und ungerecht“, kritisiert der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Gordon Hoffmann. Eine Erweiterung der Standorte sei dennoch nicht vorgesehen, heißt es aus dem SPD-geführten Bildungsministerium. Schließlich seien die LubK nur eine Möglichkeit der Begabungsförderung neben anderen Angeboten. Und, Befürchtung der SPD seinerzeit unter Schwarz-Rot: Die sechsjährige Grundschule, für die sich Brandenburg 1990 – neben Berlin – entschied, sollte nicht durch die Hintertür wieder abgeschafft werden, indem es zu viele Angebote gibt. Denn eingeführt wurden die Leistungs- und Begabungsklassen auch vor dem Hintergrund, dass sich gerade in und um Potsdam viele Zugezogene nicht mit dem System der sechsjährigen Grundschule anfreunden können. In den anderen Bundesländern dauert die Grundschulzeit nur vier Jahre.

Plädoyer für sechs Jahre Grundschule

Für ein Kind aus Bayern, das in der fünften Klasse nach Brandenburg wechselt und hier nun wieder an die Grundschule muss, sei das sicher eine Schwierigkeit, sagt CDU-Politiker Gordon Hoffmann. Auch einen Fachunterricht in den Jahrgangsstufen fünf und sechs in Zeiten des Lehrermangels abzusichern, sei in Brandenburg mitunter ein Problem. Trotzdem will auch die CDU am längeren gemeinsamen Lernen festhalten und im Falle einer Regierungsverantwortung nach der Landtagswahl 2019 nicht an dem System rütteln. „Die sechsjährige Grundschule ist in Brandenburg akzeptiert. Sie gehört quasi zur DNA“, sagt Hoffmann. Eltern, aber auch Lehrer wünschten sich Ruhe im Schulsystem. „Wichtiger als die Struktur ist doch, was in den vier oder sechs Jahren Grundschulzeit passiert, ob da guter Unterricht stattfindet“, ist Hoffmann überzeugt.

Auch das Bildungsministerium ist von der sechsjährigen Grundschule überzeugt. Es sei pädagogisch vorteilhaft, wenn sich der Übergang zum stärker fachorientierten Lernen innerhalb ein und derselben Schule entwickeln könne, „ohne Brüche, teilweise mit demselben Lehrer“, sagt Sprecher Ralph Kotsch. Auch entwicklungspsychologisch sei der Übergang in eine weiterführende allgemeinbildende Schule nach der vierten Klasse für Kinder weit ungünstiger. Für das in seiner Ich-Identität noch wenig gefestigte Kind sei die oft mit dem Verlust von Freunden verbundene, frühe schulische Neuorientierung schwierig. Zwei Jahre später gelinge das den meisten besser.

Begabtenklassen schneiden gut ab

Aber eben nicht allen. Deswegen sollen die Klassen für besonders Lernstarke nicht abgeschafft werden, wie das Bildungsministerium betont, dafür gebe es „keine fachlich begründete Veranlassung“. 2012/13 wurden die Klassen durch die Universität Potsdam evaluiert – und schnitten gut ab. Die Schüler der Leistungs- und Begabungsklassen sind zufrieden, mögen den Unterricht, und sie bringen – allerdings auch mit einer besonderen Lehrerausstattung – hervorragende Leistungen, erklärten die Klassentester der Uni. Die Schüler hätten ihren speziellen Interessen und ihren Fähigkeiten entsprechende, sehr gute Lernvoraussetzungen, resümiert auch das Ministerium. Selbst die Linken, die kein Freund der frühen Leistungsselektion sind, haben den Schnellläuferschleichweg im Koalitionsvertrag akzeptiert. Einen Ruf, die Klassen wieder abzuschaffen, gab es auch aus der Richtung schon lange nicht mehr.

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